Nach langem Streit ringt sich die EU zu Änderungen auf dem Strommarkt durch – vieles ist aber noch unklar. Erleichterungen soll es für Spanien und Portugal geben.
Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez (l.) und Portugals Premier António Costa
Wollen nun schnell Vorschläge für einen Preisdeckel an die Kommission übergeben.
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Brüssel Die EU hat das Problem lange ausgesessen, jetzt zeigt sie nach einem langen Streit etwas Bewegung. Sie will das Problem der hohen Strompreise angehen. Bei ihrem bis zum vergangenen Freitagabend dauernden Treffen haben die Staats- und Regierungschefs die EU-Kommission beauftragt, dafür Vorschläge auszuarbeiten.
Vorangegangen war ein stundenlanger Streit, sodass sich das Gipfeltreffen auch an seinem zweiten Tag bis in die Abendstunden zog. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez soll den Verhandlungssaal wütend verlassen haben. „Weil die Probleme groß sind, sind die Debatten entsprechend“, bestätigte Bundeskanzler Olaf Scholz.
Geprüft werden nun Eingriffe in den Strommarkt, die Deutschland und andere Staaten bisher deutlich ablehnen, weil sie Verzerrungen fürchten. Die Preissenkung könnte „nicht nachhaltig“ sein, fürchtet Scholz. Es könne sogar Probleme mit der Versorgung geben, deutete er nach dem Gipfel an.
Spanien dagegen hatte alles daran gesetzt, schnell die Regeln auf dem Strommarkt zu ändern. Schon seit September versucht Spanien gemeinsam mit Portugal, Frankreich und anderen, die EU zu Änderungen am Strommarkt zu bewegen. Damals hatten die hohen Gaspreise die Bevölkerung aufgebracht, insbesondere weil auch der Strompreis in die Höhe ging.
Seitdem haben sich die Preise etwa verdreifacht, entsprechend ist der Unmut noch weiter gestiegen. In Spanien streiken Lkw-Fahrer und legen damit die Versorgung lahm, in Frankreich fürchtet die Regierung eine neue „Gelbwesten“-Bewegung, was gerade vor der Wahl am 10. April ungelegen für Präsident Emmanuel Macron käme.
Wie viele andere EU-Staaten haben beide Länder die Verbraucher mit nationalen Maßnahmen schon deutlich entlastet. Aber sie wollen Unterstützung.
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Sánchez droht sogar damit, sich gemeinsam mit Portugal vom europäischen Energiemarkt abzukoppeln. Die beiden Länder sind ohnehin nur schlecht mit dem Rest Europas verbunden, was Stromleitungen und Gaspipelines angeht. Doch diese wenigen Verbindungen sind in der Energiekrise wichtig, weil darüber andere Länder zumindest zu kleinen Teilen mit Solarstrom und Flüssiggas beliefert werden können.
Gemeinsam mit dem portugiesischen Ministerpräsidenten António Costa erklärt Sánchez nach dem Gipfel, nun schnell Vorschläge für einen Preisdeckel an die Kommission übergeben zu wollen. Diese habe eine „iberische Ausnahme“ anerkannt und zugesagt, die Vorschläge eilig zu prüfen. Spanien und Portugal sehen einen Preisdeckel damit nur noch als Formsache an, wie spanische Medien übereinstimmend berichten.
Umspannanlage in Mecklenburg-Vorpommern
Eingriffe in den Strommarkt sind kompliziert und können schnell unvorhergesehene Auswirkungen haben.
Bild: dpa
Gemessen daran ist das Ergebnis des EU-Gipfels bemerkenswert zurückhaltend. Dass die EU so lange dem Druck standhalten konnte, hat einen einfachen Grund: Bislang waren die Vorschläge für Eingriffe in den Markt sehr allgemein gehalten.
Die Regierungen verlangten Maßnahmen gegen die hohen Strompreise. Diese sollen vom Gaspreis entkoppelt werden. Aber die EU-Kommission sollte erklären, wie das genau funktionieren kann.
Darin hat die Brüsseler Behörde mittlerweile nachgegeben und drei Optionen vorgeschlagen, wie die Europäer gemeinsam vorgehen könnten:
Deutschland ist bislang auch deswegen zurückhaltend, weil Steigerungen beim Strompreis wegen langfristiger Verträge nur verzögert bei Privatkunden ankommen. Die CDU fordert aber Bewegung: „Die Vorschläge der Kommission gehen in die richtige Richtung“, sagt der Europaabgeordnete Markus Pieper. „Die Anbieter von erneuerbaren Energien verdienen gerade riesige Summen. Die Industrie und die Haushaltskunden müssen auch das bezahlen.“
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Je länger solch unkoordinierte Eingriffe andauern, desto höher ist die Gefahr, dass Marktteilnehmer die Verzerrungen ausnutzen. So wie Autofahrer Umwege in Kauf nehmen, um im Nachbarland günstiger zu tanken, können auch Stromhändler Rabatte und Preisdeckel ausnutzen.
„Es muss immer klar sein, dass ein Eingriff in die Preise temporär ist“, sagt darum der Strommarktexperte Georg Zachmann vom Institut Bruegel. „Die Anreize, die der Markt setzt, müssen erhalten bleiben.“
Künftig brauchen wir einen Strompreis, der den Mix besser abbildet. CDU-Europaabgeordneter Markus Pieper
Gleichzeitig sei es falsch, einfach nur weiterzumachen wie bisher. „Die Bedingungen haben sich verändert“, sagt er. So ist nicht nur das Gas teurer geworden, auch stellt der massive Ausbau der Erneuerbaren neue Herausforderungen an die Strommärkte. „Darum ist es richtig, über grundsätzliche Anpassungen von Marktmechanismen nachzudenken.“
Auch an solchen Anpassungen wird derzeit gearbeitet. „Künftig brauchen wir einen Strompreis, der den Mix besser abbildet“, sagt Pieper von der CDU. Das entspricht der Forderung vieler EU-Staaten.
Und auch Scholz zeigte sich nun offen dafür, langfristig stehe das Thema ohnehin auf der Tagesordnung. Beim bisherigen Marktdesign ist der teuerste Energieträger preissetzend. Es wird also ein Preis gefunden, bei dem alle benötigten Anbieter ausreichend entlohnt werden. Sobald Atomkraft, Kohle und erneuerbare Energien nicht ausreichen, um die Nachfrage zu bedienen, müssen Gaskraftwerke angeworfen werden, die zurzeit hohe Kosten haben.
Das kann mehrmals täglich der Fall sein und treibt den Preis in die Höhe. Betreiber anderer Kraftwerke machen in diesen Zeiten hohe Gewinne.
Scholz erklärte das Problem mit dem fiktiven Beispiel eines Strommarktes, in dem es nur ein Gaskraftwerk und viele Windkraftanlagen gäbe. Auch in einem solchen Fall wäre das Gaskraftwerk preissetzend. Das Problem sei deutlich. „Aber die Lösung ist noch nicht sichtbar.“
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Eine Überlegung dazu ist, anderen Energieträgern einen niedrigeren Preis zuzuweisen. Diesen Preis müssten die Staaten oder die EU bestimmen.
Wie das genau funktionieren kann, wird seit Oktober von Acer ausgearbeitet, der europäischen Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden. Das bisherige Marktdesign basiert auf einem Gesetz, das zuletzt 2019 überarbeitet wurde und mit Tausenden Seiten voller Detailregelungen arbeitet. Staatlich gesetzte Preisgrenzen wären ein tiefer Eingriff in dieses Regelwerk, die Arbeit darin ist entsprechend aufwendig.
Der Acer-Bericht wird für Ende April erwartet. Ende Mai will die EU-Kommission auf dieser Basis einen Vorschlag machen. Dieser müsste dann das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen, bei dem EU-Parlament und Mitgliedstaaten einbezogen werden.
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