Viele Regierungschefs dringen auf dem EU-Gipfel darauf, den Verbrenner-Streit rasch zu lösen. Doch der deutsche Kanzler denkt offenbar nicht daran, ein Machtwort zu sprechen.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) in Brüssel
Im Gegensatz zu den anderen EU-Staats- und Regierungschefs hält sich Scholz bewusst aus dem Verbrenner-Streit heraus.
Bild: AP
Brüssel Roberta Metsola kommt gleich zum Punkt. Sie schreibe, um ihre „tiefe Besorgnis“ über die Verschiebung der Abstimmung über wichtige Klimaschutzmaßnahmen auszudrücken, lässt die Präsidentin des EU-Parlaments den schwedischen Premier Ulf Kristersson wissen. Die Verzögerung „riskiert, die Glaubwürdigkeit des Gesetzgebungsverfahrens auf EU-Ebene zu untergraben“ und das „institutionelle Gleichgewicht der Europäischen Union“ zu stören, warnt Metsola in einem Brief, der dem Handelsblatt vorliegt.
Schweden hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne, Kristersson ist für die Agenda der EU zuständig. Der eigentliche Adressat von Metsolas Warnungen ist aber jemand anderes – Bundeskanzler Olaf Scholz. Denn es ist der Streit innerhalb der deutschen Koalition, der die Verabschiedung der Klimaschutzmaßnahmen verhindert. Die FDP hat den längst vereinbarten Kompromiss zum Verbrenner-Aus wieder infrage gestellt – und hält damit das gesamte Klimapaket der EU auf.
Scholz jedoch denkt offenbar nicht daran, ein Machtwort zu sprechen. Zum Auftakt des EU-Gipfels in Brüssel äußerte er sich distanziert: „Wenn ich die Gespräche zwischen der Kommission und der Bundesregierung richtig verstehe, was den zuständigen Kommissar und den zuständigen Minister betrifft, ist das alles auf gutem Weg“, sagte Scholz.
Gemeint sind der Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), deren Büros derzeit die Details aushandeln, wie nach 2035 Autos mit Verbrennungsmotoren zugelassen werden sollen. Dabei soll das Gesetz nicht angetastet werden, das zum Ziel hatte, dass die letzten Diesel- und Benzin-Pkw 2034 verkauft werden.
Doch der Druck auf Scholz, die Sache zu klären, wächst. So sagte Lettlands Premierminister Krisjanis Karins, die gesamte Architektur der europäischen Entscheidungsfindung würde auseinanderfallen, wenn sich alle so verhielten wie Deutschland.
Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Britta Hasselmann, forderte von Scholz eine klare Position auf dem EU-Gipfel. Er müsse klarmachen, dass auf Deutschland Verlass sei. Ihre Kollegin im Europaparlament, Terry Reintke, sagte: „Es wird immer schwieriger, unseren europäischen Partnerinnen und Partnern zu erklären, warum Bundeskanzler Scholz in dieser Frage keine Führung zeigt.“
Die FDP hatte vor gut drei Wochen überraschend die rechtskräftige Einigung auf das Gesetz zum Verbrenner-Aus blockiert, obwohl sie in der Bundesregierung mehrfach entsprechende Beschlüsse mitgetragen hatte. Die plötzliche Wende Deutschlands war in der EU-Kommission, bei Parlamentariern und Vertretern anderer EU-Regierungen auf Unverständnis gestoßen, da die Verhandlungen über das Gesetz längst abgeschlossen waren.
Scholz schloss sich in Brüssel klar der Argumentationslinie der FDP an: Es habe bei den Verhandlungen eine Zusage der EU-Kommission für eine Regelung gegeben, nach der reine E-Fuels-Fahrzeuge auch nach 2035 zugelassen werden können. Nun gehe es nur darum, wie diese Zusage pragmatisch umgesetzt werde. Unterstützung bekam er von Österreichs Kanzler Karl Nehammer.
>> Lesen Sie hier: EU-Kolumne – Deutschland setzt das wichtigste Klimaschutzpaket der Welt aufs Spiel
Andere lesen die Zusage so, dass es allein um Spezialfahrzeuge wie Krankenwagen geht. Mittlerweile hat die Kommission aber Vorschläge gemacht, die eine Ausnahmeregel für alle Fahrzeuge schaffen sollen, die ausschließlich mit E-Fuels gefahren werden können.
E-Fuels sind Kraftstoffe, die in der Regel aus Wasserstoff und CO2 hergestellt werden. Ihre Produktion verbraucht viel Strom. Wenn dieser aus erneuerbaren Quellen kommt, sind sie klimaneutral.
Ohne Deutschland kommt auf EU-Ebene keine ausreichende Mehrheit für das Verbrenner-Aus zustande, weil mindestens Polen, Bulgarien und Italien dagegen sind. Eigentlich ist das Verbrenner-Aus nicht auf der Tagesordnung des Gipfels. Er hoffe dennoch, dass es am Rande des Treffens oder bald danach eine Einigung gebe, sagte der Ministerpräsident der Niederlande, Mark Rutte.
Aus Paris hieß es vor dem Treffen, Präsident Emmanuel Macron werde in Brüssel das Verbrenner-Aus verteidigen. Macron selbst steht unter Druck, einen Erfolg nach Hause zu bringen. Groß angelegte Streiks gegen seine Rentenreform legten tagelang das Land lahm.
Ihm geht es darum, den Widerstand gegen die Atomkraft zu brechen und damit bessere Förderbedingungen zu erreichen, obwohl auch dieses Thema nicht offiziell auf der Agenda ist. Frankreich will seine Kraftwerke modernisieren und ergänzen. Französische Atomkonzerne bieten außerdem in anderen EU-Ländern ihre Dienste an.
>> Lesen Sie hier: Macrons Regierung übersteht Misstrauensvotum – doch die Proteste gegen die Rentenreform halten an
Zuletzt gab es für die Technologie auf EU-Ebene aber einen Rückschlag: Die EU-Kommission führte Atomkraft nicht als förderfähige Technologie auf, als sie ihren Vorschlag für einen „Net Zero Industry Act“ vorlegte. Viele Milliarden sollen in den kommenden Jahren in Wind, Sonne, Batterien und Wasserstoff fließen – nicht aber in Atomkraft.
Die Mitgliedstaaten können genauso wie das Parlament Änderungen vornehmen. Und Frankreich wird viel dafür tun, dass Atomkraft in die Liste aufgenommen wird.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (3)