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14.07.2021

19:06

EU-Klimaschutzpaket

Benzin- und Dieselmotoren vor dem Aus: EU wagt die grüne Revolution

Von: Christoph Herwartz

PremiumUm die Klimaziele zu erreichen, will die EU ihre Wirtschaft massiv umbauen. Was das für Autofahrer und energieintensive Unternehmen bedeutet.

Klimaziel

EU-Kommission präsentiert Klimakonzept „Fit for 55“ für Wirtschaft und Verbraucher

Klimaziel: EU-Kommission präsentiert Klimakonzept „Fit for 55“ für Wirtschaft und Verbraucher

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Brüssel Noch 13,5 Jahre sollen in Europa neue Benzin- und Dieselautos zugelassen werden. Danach werden nur noch Neuwagen akzeptiert, die kein CO2 ausstoßen. So sieht es der Vorschlag der EU-Kommission zur Umsetzung der europäischen Klimaschutzziele vor, den Kommissionschefin Ursula von der Leyen und -vizepräsident Frans Timmermans am Mittwoch vorstellten.

Die Klimakrise könne eingedämmt werden, sagte Timmermans dem Handelsblatt. Aber: „Die großen Emittenten müssen dazu radikale Entscheidungen treffen.“ Das Enddatum für Verbrenner hatte in der Kommission bis zum Schluss zu den strittigen Fragen gehört. Europaparlament und Mitgliedstaaten müssen den Vorschlägen noch zustimmen.

Die Autoindustrie gibt sich gelassen. „Auf die weitere Absenkung der CO2-Werte von Pkws und leichten Nutzfahrzeugen sind wir vorbereitet“, sagte VW-Chef Herbert Diess dem Handelsblatt. „Es ist fast schon irrelevant geworden, ob die Reduktion um ein paar Prozentpunkte mehr oder weniger ausfällt.“

Daimler-Vorstand Markus Schäfer warnte aber auch: „Im etablierten System von Verbrennungsmotoren hat sehr viel Stabilität geherrscht. Künftig werden wir Zeiten in dieser Transformation erleben, in denen sich die Belegschaft auf ein Stück weit mehr Unsicherheit einstellen muss.“

Energieintensive Branchen fürchten international einen Wettbewerbsnachteil, wenn in der EU der Ausstoß von CO2 verteuert wird. „Wenn es nicht gelingt, die Versorgung mit grünem Strom für die nächsten Jahrzehnte zu sichern“, sagte Covestro-Vorstand Klaus Schäfer, „droht eine Deindustrialisierung.“

Auf den Weg hin zu einer Kreislaufwirtschaft

Die EU-Kommission setzt auf klimaneutrale Autos und strikte Energie-Einsparungen in der Industrie, um ihr Klimaziel für 2030 zu erreichen. Zu diesem Datum will die EU 55 Prozent weniger CO2 ausstoßen als im Jahr 1990.

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„Die Wirtschaft auf Basis fossiler Energien hat ihre Grenzen erreicht“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Mit dem Klimaschutzpaket begebe man sich auf den Weg hin zu einer Kreislaufwirtschaft.

Ein wesentlicher Bestandteil des umfassenden Gesetzespakets, das die Kommission vorschlägt, ist die Reduktion von CO2 im Straßenverkehr. Die Kommission will, dass im Jahr 2035 alle neu zugelassenen Autos emissionsfrei fahren. Dazu sollen die Flottengrenzwerte verschärft werden, die bisher bestimmten, dass die neuen Autos eines Herstellers im Schnitt unter einer bestimmten CO2-Marke bleiben müssen.

Dabei konnte die Industrie sparsame mit schmutzigen Autos verrechnen. Nun aber wird der Wert bis 2035 auf null gesenkt, wodurch dieses Gegenrechnen nicht mehr möglich ist. Die Konsequenz wäre ein Siegeszug der Elektroautos, während Benzin- und Diesel-Pkws langsam verschwänden.

Einzelne Modelle könnten allerdings auch mit klimaneutral hergestellten E-Fuels fahren, die wie Benzin im Motor verbrannt werden. Porsche setzt auf diese Technologie.

Verbrenner-PKW werden es ab 2035 in der EU schwer haben. dpa

Autoauspuff

Verbrenner-PKW werden es ab 2035 in der EU schwer haben.

Damit der Vorschlag der EU-Kommission Gesetz wird, muss es dafür Mehrheiten sowohl im Europaparlament wie auch in den Mitgliedstaaten geben. In beiden Institutionen könnte es noch Versuche geben, das Datum nach hinten zu verschieben. Während viele Gesetze des Klimaschutzpakets wahrscheinlich über etwa zwei Jahre hinweg verhandelt werden müssen, könnte es bei den Flottenverbräuchen schneller gehen, da sich dafür nur wenige Zeilen in der bestehenden Verordnung ändern müssten.

Verfechter der E-Fuels warnen vor einer überstürzten Umstellung und verweisen darauf, dass die Erforschung der Energieform voranschreitet. Wenn diese Technologie deutlich günstiger würde, könnten klimaneutral betankte Verbrennermotoren durchaus eine Zukunft haben. Außerdem kritisieren sie, dass bislang nicht genug sauberer Strom verfügbar sei, um genug Elektroautos klimaneutral zu betanken.

Die EU-Kommission setzt aber darauf, dass in den kommenden Jahren massiv Windparks und Sonnenkollektoren gebaut werden, und erwartet, dass bis 2030 etwa 30 Millionen Elektroautos in Europa fahren. Als Zwischenschritt sieht die Kommission vor, die Emissionen bei den Flottenverbräuchen bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 2021 abzusenken.

Betroffen sind davon auch leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen. Für besonders kleine Hersteller gibt es bislang Ausnahmen von den Flottengrenzwerten. Diese sollen 2030 wegfallen. 

Wasserstoff und Strom für Lkws

Damit die vielen Elektroautos auch geladen werden können, soll pro zugelassenem E-Auto eine Kilowattstunde an Ladekapazität entstehen. Außerdem sollen entlang der wichtigsten Autobahnen bis 2025 alle 60 Kilometer zwei Schnellladepunkte mit 150 Kilowatt zu finden sein, 2030 sollen es vier Ladepunkte sein.

Auch die Wasserstoffversorgung soll gesichert werden, insbesondere, um Lkws damit betanken zu können. Außerdem gibt es für sie spezielle Elektro-Ladepunkte mit noch höheren Leistungen. Die Flottengrenzwerte für Lkws hatte die EU erst 2019 verschärft. Zusätzlich soll nun der Diesel, den sie verbrauchen, von einem neuen Emissionshandel erfasst werden.

Nach der Energieversorgung stößt der Verkehrssektor am meisten CO2 aus. Während in anderen Sektoren in den vergangenen Jahren viel Treibhausgas eingespart wurde, sind die Emissionen im Verkehr sogar leicht gestiegen.

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Bei den neuen Autos werden die Verbraucher die Klimaschutzambitionen unmittelbar erleben. Aber auch in anderen Bereichen stehen große Umbauten an. Der CO2-Ausstoß soll für die Industrie deutlich teurer werden. Dazu will die Kommission die Emissionszertifikate verknappen, die Unternehmen für jede Tonne CO2 kaufen müssen. 

Über dieses System lässt sich die CO2-Einsparung sehr genau steuern, weil die betroffenen Unternehmen keine Chance haben, mehr CO2 auszustoßen, als das Gesetz definiert. Wenn die Zertifikate zu teuer werden und Unternehmen keine Chance sehen, ihren Energieverbrauch zu reduzieren, müssen sie ihr Geschäft im Zweifelsfall einstellen.

Bisher war vorgesehen, dass bis 2030 43 Prozent weniger Zertifikate zur Verfügung stehen als noch 2005. Dieser Wert wird nun auf 61 Prozent erhöht. Der Faktor, mit dem die Emissionsrechte von Jahr zu Jahr sinken, wird dazu von 2,2 auf 4,2 Prozent angehoben. Der Schiffsverkehr wird in das System einbezogen.

Industrie wird deutlich stärker belastet

Besonders relevant für die Industrie ist, dass freie Zuteilungen wegfallen sollen. Diese sollen bislang verhindern, dass europäische Unternehmen gegenüber anderen einen Nachteil im globalen Wettbewerb haben.

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Statt der freien Zuteilungen ist nun ein CO2-Grenzausgleich vorgesehen, also eine Art Zoll auf energieintensive Waren, der beim Import dieser Waren erhoben wird. Das soll für einen fairen Wettbewerb sorgen und Staaten außerhalb der EU zu mehr Klimaschutz motivieren. Denn wenn die Waren auch im Ausland klimafreundlich hergestellt werden, kann die Grenzabgabe reduziert werden. Ab 2023 sollen Unternehmen ihre in die EU gebrachten Waren mit dem CO2-Gehalt anmelden. Ab 2025 wird dann die Grenzabgabe fällig. Über einen Zeitraum von zehn Jahren soll sie die freien Zuteilungen Stück für Stück ersetzen.

Ob dieses System aber reibungslos funktioniert, daran gibt es unter anderem in der Industrie Zweifel. Auch im Europaparlament und in den Mitgliedstaaten gibt es Gegner des Instruments.

Dafür gibt es praktische Gründe wie die Tatsache, dass ein enormer bürokratischer Aufwand entsteht, wenn Importeure nachweisen müssen, wie viel CO2 bei der Produktion von Gütern angefallen ist. Außerdem stellt der Grenzausgleich keinen fairen Wettbewerb her für Unternehmen, die energieintensive Waren aus der EU heraus exportieren wollen. Denn einen Exportzuschuss, der parallel zur Importabgabe wirken würde, gibt es nicht.

Außerdem bezweifeln Juristen, dass der Kommissionsvorschlag zum Grenzausgleich dem WTO-Recht entspricht. Laut Welthandelsorganisation müssen ausländische und inländische Anbieter grundsätzlich gleich behandelt werden. Und schließlich könnte der Grenzausgleich diplomatisch schwierig zu vermitteln sein. Kritiker fürchten einen Handelskrieg, der entsteht, wenn andere Länder die Abgaben der EU mit Strafzöllen beantworten.

Die Juristen der EU-Kommission bestreiten, dass es ein Problem mit den WTO-Regeln geben wird, wenn sich die Höhe der Grenzabgabe am in der EU gezahlten CO2-Preis orientiert. Zu den politischen Bedenken heißt es in Kreisen der Kommission, dass nur wenige Güter mit der Abgabe belegt werden, nämlich Zement, Dünger, Eisen und Stahl sowie Aluminium. Und nur wenige Länder exportierten größere Mengen dieser Produkte in die EU, vor allem Russland, China und die Türkei.

Mittelfristig setzt man in Brüssel aber vor allem darauf, dass andere Länder ebenfalls ihre Klimapolitik verschärfen und dann von der Grenzabgabe ausgenommen werden könnten. Immerhin haben 195 Staaten das Pariser Klimaabkommen ratifiziert. Dort ist festgelegt, dass die Klimaerwärmung deutlich unter zwei Grad gegenüber vorindustriellen Werten bleiben soll. Das ist nur zu schaffen, wenn der Ausstoß von Treibhausgasen weltweit massiv sinkt.

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