Aus dem Traum vom Kanzleramt ist für Jens Spahn die harte Realität der Opposition geworden. Doch neue Themen könnten ihm eine Gelegenheit zur Rückkehr bieten.
Jens Spahn
„Es schadet nicht, wenn die Opposition weiß, wie es ist, in Krisen zu regieren.“
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Berlin Nur etwas mehr als ein Jahr ist es her, da hatte Jens Spahn (CDU) noch weitreichende Visionen. Ob er nicht der geeignetere Kandidat für die Kanzlerkandidatur als Parteikollege Armin Laschet wäre, soll er ausgelotet haben.
Aus der Vision des Kanzleramts ist für den früheren Gesundheitsminister inzwischen die harte Realität der Opposition geworden. Selbst in der geschwächten CDU/CSU-Fraktion bleibt Spahn nun gerade einmal die Rolle als einer von zwölf Vize-Vorsitzenden im Fraktionsvorstand.
Und dort muss der 41-Jährige sich auch noch neu erfinden. Anstatt seiner Fachthemen Gesundheit und Finanzen – Spahn war seit 2018 Bundesgesundheitsminister und zuvor seit 2015 parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium – lautet sein Spektrum nun Wirtschaft, Klima, Energie, Mittelstand und Tourismus.
Als Gesundheitsminister war er zwar wegen seines Pandemiemanagements mehrmals angezählt worden. Nach dem Wechsel in die Opposition war viel über ihn, aber über Monate nichts von ihm zu hören.
Jetzt ist er wieder da und stellt den Themenschwenk als selbstbestimmte Entscheidung dar. „Die Gesundheitspolitik hat mich 20 Jahre umgetrieben, und ich halte das noch immer für ein interessantes Thema. Aber jetzt ist Zeit für etwas Neues“, sagte Spahn im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Ob gewollt oder nicht, der neue Themenfokus könnte für den gebürtigen Münsterländer die Chance sein, wieder an Profil zu gewinnen. Der Ukrainekrieg hat gerade das Thema Energie so weit nach vorn auf die politische Agenda gebracht wie wohl nie zuvor. „Es schadet nicht, wenn die Opposition weiß, wie es ist, in Krisen zu regieren“, sagt Spahn.
Norbert Röttgen
Der Unionspolitiker hat sich nach einer derben Niederlage neu erfunden. Schafft Jens Spahn das auch?
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Er wäre nicht der erste Unionspolitiker, der tief fällt, sich dann aber in einem anderen Bereich neu erfindet. Fraktionskollege Norbert Röttgen scheiterte 2012 krachend im Kampf um das Amt des Ministerpräsidenten in NRW, was ihn auch seinen Posten als Bundesumweltminister kostete. Danach kehrte er auf die Bildfläche des Bundes zurück – als Sicherheits- und Außenpolitiker. Heute gibt es zu diesen Themen kaum eine Talkshow ohne Röttgen.
Spahns Versuch, dieser Gangart zu folgen, macht ihm ausgerechnet jener Röttgen selbst schwer. Seit Wochen trommelt dieser öffentlichkeitswirksam für einen Stopp von russischen Gaslieferungen als Reaktion auf Wladimir Putins Angriffskrieg in der Ukraine – und stellt sich damit gegen die Fraktionslinie.
Spahn und die meisten Unionsabgeordneten stützen in dieser Frage die Regierung, insbesondere ausgerechnet Spahns neuen wichtigsten Gegenspieler: Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne).
Nicht nur bei der Frage nach einem Gasembargo beschleicht einen das Gefühl, Spahn würde selbst noch mit am Kabinettstisch sitzen, wenn er über Habecks bisherige Arbeit spricht. Habeck mache es „bisher gut. Die Realität anzuerkennen und voranzugehen, das ist eine wichtige Eigenschaft in Krisenzeiten.“
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Trotz aller nach außen getragenen Differenzen sind Union und Ampelregierung beim Thema Energie bislang tatsächlich recht nah beieinander. Dem Gasspeichergesetz hat die CDU/CSU zugestimmt. Auch den Schutzschirm für die Unternehmen, die unter den hohen Energiepreisen leiden, hält Spahn für sinnvoll.
Doch richtet der gelernte Bankkaufmann den Blick nach vorn, dürfte es in den nächsten Wochen auch beim Thema Energie noch ordentlich krachen. Spahn spricht von einem Kipppunkt bei den Grünen und in der Regierung: „Der Pragmatismus-Vorrat der Grünen ist offensichtlich aufgebraucht, viel Sinnvolles wird blockiert.“
Das bezieht er insbesondere auf die Weigerung Habecks, die letzten deutschen Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, um sich schneller von russischem Gas unabhängig zu machen. Habecks Ministerium hatte diese Option geprüft, war aber zu dem Schluss gekommen, dass das zu unsicher sei, insbesondere aufgrund fehlender Verträge für Brennelemente.
Jens Spahn
Der frühere Gesundheitsminister ist der neue Gegenspieler von Vizekanzler Robert Habeck.
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„Das ist ein vorgeschobenes Argument“, entgegnet Spahn. Wenn Regierung und Versorger an einem Strang zögen, sei es sicherlich kein Problem, an die notwendigen Brennelemente zu kommen. Unter Experten ist das umstritten.
Wenn es nach Spahn geht, werden er und seine Parteikollegen womöglich schon früher als gedacht diese Entscheidungen wieder selbst treffen können, anstatt sie zu kritisieren. Nicht nur Habeck, vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wirft er „ein Verweigern politischer Führung“ vor, ob bei der Impfpflicht, Waffenlieferungen an die Ukraine oder bei den Investitionen für die Bundeswehr. Dieses Muster „wird nicht reichen, vier Jahre unser Land zu führen“.
Welche Rolle Spahn einnehmen könnte, falls die Union tatsächlich in näherer Zeit oder auch erst nach einer der nächsten Bundestagswahlen wieder in Regierungsverantwortung kommen sollte, ist fraglich.
Sein Ansehen in der Partei hat schwer gelitten, zum innersten Zirkel des neuen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz gehört er offensichtlich nicht. Spahn wird sich sein Ansehen über die Inhalte zurückerarbeiten müssen. Seine neuen Themen dürften ihm immerhin genügend Möglichkeiten dazu geben.
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