Zuletzt hing das Jobwachstum zur Hälfte von Zuwanderern ab. Nun tritt das lange erwartete Einwanderungsgesetz in Kraft. Doch es wird den Engpass kaum verringern.
Ausländische Fachkräfte
Häufig erhalten Fachkräfte eine Aufenthaltsgenehmigung für sechs Monate – aber nur, wenn ihre Qualifikation zuvor anerkannt wurde.
Bild: dpa
Berlin, Mexiko-Stadt Es sind anstrengende Tage für Sergio Samaniego. Fünf Tage die Woche paukt der mexikanische Krankenpfleger sechs Stunden lang Deutsch – eine komplizierte Sprache, wie er findet. Und am Wochenende schiebt der 31-Jährige Nachtschichten auf der Intensivstation des staatlichen Krankenhauses in der Stadt Chihuahua. Noch.
Denn in Kürze wird der Vater einer kleinen Tochter zunächst ohne Familie nach Bonn ziehen, um dort im Uniklinikum zu arbeiten. In Mexiko sei das Vorankommen kompliziert: die vielen Verbrechen, der fehlende Respekt vor dem Gesetz und die Korruption erschwerten das normale Leben, aber auch die Arbeit, sagt er. „Ich gehe davon aus, dass das alles in Deutschland ganz anders ist.“ Auch ein höheres Gehalt erwartet ihn. Gegenwärtig verdient er mit seinen rund zehn Nachtschichten pro Monat umgerechnet 785 Euro.
Auf Menschen wie Samaniego, der als einer von 24 mexikanischen Schwestern und Pflegern gerade mit Unterstützung der Bundesagentur für Arbeit (BA) auf seinen Einsatz in Deutschland vorbereitet wird, ruhen die Hoffnungen der deutschen Wirtschaft.
Am 1. März tritt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft, um das jahrzehntelang politisch gerungen wurde. Wie zuvor schon Akademiker sollen künftig auch anders beruflich Qualifizierte leichter nach Deutschland kommen können.
Doch die Erwartungen sind gedämpft. BA-Vorstand Daniel Terzenbach rechnet nicht damit, dass anfänglich mehr als 25.000 Fachkräfte jährlich kommen werden. Dabei ist der Bedarf immens. Allein in der Kranken- und Altenpflege sind nur bei der BA knapp 39.000 offene Stellen gemeldet. Trotz des Konjunkturabschwungs berichtet jedes zweite vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) befragte Unternehmen über Probleme bei der Stellenbesetzung.
Bisher war auf die Einwanderung aus EU-Staaten Verlass. Doch in vielen Herkunftsstaaten ist die Arbeitslosigkeit gesunken oder es plagen sie ähnliche demografische Probleme wie Deutschland. Manche Länder wie Polen werben aktiv um Rückkehrer. Auch deshalb war der Anteil von Migranten aus Drittstaaten am Wachstum der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zuletzt schon höher als der von EU-Ausländern.
Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung müssen bis 2060 jährlich unter dem Strich 260.000 Ausländer zuwandern, um den demografisch bedingten Rückgang des Arbeitskräfteangebots zu begrenzen.
Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer ist daher froh, dass das Einwanderungsgesetz jetzt endlich in Kraft tritt. „Die neue Gesetzgebung kann aber nur erfolgreich sein, wenn die administrativen Leitplanken gut aufgestellt sind“, sagt er dem Handelsblatt. Hier liege noch einiges im Argen.
Nötig sei etwa eine personelle Verstärkung bei den Hotspots unter den Auslandsvertretungen und ein elektronischer Datenaustausch der beteiligten Behörden. Die BA sieht noch Bedarf an Unterstützungsangeboten für kleinere Unternehmen bei der Rekrutierung und Integration ausländischer Fachkräfte.
Bilaterale Kooperationsvereinbarungen mit Ländern wie Mexiko, Vietnam oder den Philippinen sollen helfen, gezielt und rasch Fachkräfte für bestimmte Berufe zu rekrutieren. Ziel ist ein „Triple win“: Deutschland, das Herkunftsland und die Fachkraft sollen profitieren.
Das funktioniert nicht immer. Serbien hat gerade angekündigt, eine seit Jahren laufende Kooperation zu beenden. Und selbst wenn die BA den Prozess eng begleitet und unterstützt, dauert es etwa im Fall der mexikanischen Pfleger rund ein Jahr von der Rekrutierung in Mexiko bis zum Arbeitsbeginn als Helfer in Deutschland. Dann folgt noch die Anpassungsqualifizierung.
Aus der SPD kommt jetzt der Vorschlag, auch ein Fachkräfteabkommen mit Nigeria zu schließen – dem Hauptherkunftsland afrikanischer Asylbewerber. „Wir müssen bessere Möglichkeiten für legale Zuwanderung schaffen“, sagt Lars Castellucci, migrationspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, der das Land kürzlich mit der Migrationsbeauftragten der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), besucht hatte.
Die Idee dahinter: Nigerianer sollen zum Arbeiten kommen dürfen, wenn sich die Regierung in Lagos umgekehrt verpflichtet, abgelehnte Asylbewerber ohne Bleibeperspektive aufzunehmen. Derzeit halten sich in Deutschland etwa 10.000 ausreisepflichtige Nigerianer auf.
Sollte sich dieser Mechanismus bewähren, spricht sich Castellucci für eine „Altfallregelung“ aus: Bereits eingereiste Nigerianer, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen und um Integration bemühen, sollen dauerhaft bleiben dürfen. Das wäre allerdings genau der einst von der SPD geforderte „Spurwechsel“ vom Asylverfahren in die Erwerbsmigration, den die Union entschieden ablehnt.
Auch die Wirtschaft ist skeptisch: „Wichtig ist, dass Fachkräfteeinwanderung, Flüchtlingsschutz und Asylrecht strikt getrennt bleiben, sonst schwindet die gesellschaftliche Akzeptanz für die Fachkräfteeinwanderung“, mahnt der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Oliver Zander.
Gerade aus der Bauwirtschaft gibt es aber Forderungen, die Ende 2020 auslaufende Westbalkan-Regelung zu verlängern, die die Bundesregierung einst zur Entlastung des Asylverfahrens beschlossen hatte. Seit 2016 können Bürger aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie ein konkretes Arbeitsplatzangebot haben. 2018 wurden gut 22.000 Genehmigungen erteilt.
„Läuft die Westbalkan-Regelung wie geplant Ende des Jahres aus, befürchten wir einen Arbeitskräfteengpass, der durch den heimischen Arbeitsmarkt nicht aufgefangen werden kann“, warnt der Präsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB), Reinhard Quast. Zumindest in der Startphase biete das Fachkräfteeinwanderungsgesetz für die Baubranche kaum praktischen Nutzen.
Die Westbalkan-Regelung habe sich bewährt, sagt die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Ute Vogt. „Sie sollte deshalb verlängert werden, soweit die benötigten Kräfte nicht über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ohnehin kommen können.“ Es sei aber nicht genug, dass das Gesetz jetzt endlich in Kraft trete: „Man muss auch dafür werben.“
Mehr: Auf der Suche nach Fachkräften müssen Politik und Wirtschaft stärker zusammenarbeiten, fordert Handelsblatt-Redakteur Frank Specht.
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