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14.07.2022

05:05

Fachkräftemangel

Orientierungslose Schüler scheuen die Entscheidung für einen Ausbildungsberuf

Von: Barbara Gillmann

Mehr als die Hälfte aller Jugendlichen ist bei der Berufswahl überfordert, zeigt eine Bertelsmann-Studie. Das verschärft den Fachkräftemangel, denn viele scheuen die Entscheidung für eine Lehre. 

Ein Schuljahr ist geschafft. Aber die Berufswahl fällt vielen Schülerinnen und Schülern schwer. dpa

Ferienbeginn in Sachsen-Anhalt

Ein Schuljahr ist geschafft. Aber die Berufswahl fällt vielen Schülerinnen und Schülern schwer.

Berlin Die Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland fühlt sich auf der Suche nach dem richtigen Beruf überfordert und findet sich im Informationsdschungel nur schwer zurecht. Das gilt vor allem für Jugendliche, die höchstens den Hauptschulabschluss erreichen.  

Ausreichend finden lediglich 37 Prozent die Unterstützung durch Schule, Arbeitsagenturen und Eltern bei der Suche nach dem richtigen Beruf. Das ergab eine repräsentative Umfrage für die Bertelsmann Stiftung unter 1666 14- bis 20-Jährigen. 

Zugleich zeigte sich: Auch sogenannte Digital Natives wünschen sich Ansprechpartner aus Fleisch und Blut. Für knapp die Hälfte der jungen Leute sind Gespräche mit Lehrerinnen, Ausbildern und Berufsberatern am wichtigsten. 

Die verbreitete Hilflosigkeit ist nach Ansicht der Studienautoren ein Grund dafür, dass die Bewerberzahlen auf dem Ausbildungsmarkt seit 2020 massiv eingebrochen sind. „Nicht wenige Jugendliche werden mangels klarer Berufsperspektiven eher einen weiteren Schulbesuch anstreben“, schreibt das Team um Ausbildungsexpertin Claudia Burkard. Die Entscheidung für einen Beruf werde so „immer weiter nach hinten verschoben“.

„In der Coronakrise wurde zu Recht eine zügige Digitalisierung der Berufsorientierung eingefordert“, sagt Burkard, „doch für viele sind die direkte Erfahrung und das persönliche Gespräch immer noch essenziell“. Daher müssten jetzt, da wieder persönliche Kontakte möglich sind, dringend „wieder mehr Praktika und  Betriebsbesuche stattfinden“. 

Auch die Wirtschaft selbst sieht Handlungsbedarf: „Die bessere Information junger Menschen über ihre vielfältigen Berufschancen ist eine wichtige Herausforderung, der sich die Partner in der beruflichen Bildung gemeinsam stellen müssen“, sagt der Vize-Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Achim Dercks. Denn unklare Vorstellungen der Jugendlichen seien nach den DIHK-Umfragen unter Ausbildungsbetrieben eines der größten Hemmnisse für die Ausbildung.

DIHK: „Wir müssen jungen Menschen früher und intensiver Praktika ermöglichen“

In der Pandemie habe der DIHK die Kampagne „Nutze Dein Talent“ lanciert – speziell für orientierungslose Jugendliche am Ende der Schulzeit. „Wir wollen und müssen aber noch besser werden: Bildungsstätten, Eltern, Politik und wir als Wirtschaft müssen jungen Menschen noch früher und intensiver praktische Einblicke ins Berufsleben ermöglichen“, wirbt Dercks. Denn „nichts fasziniert Menschen so stark wie die Möglichkeit, eigene Chancen persönlich zu erleben“. Oft genug führe ein Praktikum zum Ziel.

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks fordert eine „bundesweit flächendeckende Berufsorientierung“ als Teil einer „Bildungswende“. Auch dort heißt es: Digitale Ausbildungsmessen oder virtuelle Speed-Datings seien gut, könnten aber „echtes und physisches Erleben, etwa durch Praktika, nicht ersetzen“.

Eltern sind die wichtigsten Influencer für die Berufswahl

Auch wenn sich viele Berufe rasant geändert und zudem digitalisiert haben: Die wichtigsten „Influencer“ der Jugendlichen bei der Berufswahl sind noch immer die Eltern – drei Viertel der befragten Jugendlichen suchen ihren Rat. Es folgt die Schule mit 55 Prozent. Die Berufsberatung der Arbeitsagentur landet mit 36 Prozent nur auf dem vierten Platz, noch hinter dem Internet. 

Allerdings gibt es große Unterschiede. Bei Jugendlichen mit niedriger Schulbildung gaben weniger als zwei Drittel an, dass sie von den Eltern unterstützt werden. „Und wenn Eltern bei der Berufswahl nicht helfen können, werden die Gesprächs- und Beratungsangebote der Schule und der Bundesagentur verstärkt genutzt“, betont Burkard. Jeder Zweite aus dieser Gruppe schätzt auch den Rat der Arbeitsagentur. 

Von den Berufsportalen ist das Berufsinformationszentrum (BIZ) der Agentur für Arbeit das populärste: Zwei Drittel der Jugendlichen kennen es. Kein Wunder: Für sehr viele Schulen gehört ein Besuch dort zum Standardprogramm. Allerdings ist die Bekanntheit geringer, je höher das Bildungsniveau. Das stützt die Kritik aus der Wirtschaft, dass gerade die Gymnasien ihre Schüler oft lediglich auf ein Studium vorbereiten. 

Gut informiert in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern – deutlich schlechter in Baden-Württemberg 

Auffällig sind die enormen Unterschiede zwischen den Bundesländern: In Bayern und Mecklenburg-Vorpommern scheint die Berufsorientierung besonders gut zu laufen. Hier ist die Gruppe der Jugendlichen, die sich zufrieden mit Information und Beratung zeigen, mit Abstand am größten. Am Ende der Skala rangiert Baden-Württemberg: Hier ist der Anteil teilweise nur halb so hoch. 

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