Die Luftverkehrsbranche will das Vorkasseprinzip beibehalten. Doch eine Bundesratsinitiative aus Niedersachsen genießt breite politische Unterstützung.
Flughafen Düsseldorf
An den NRW-Flughäfen waren laut der Landesregierung von Mitte Mai bis Mitte Juli mehr als 258.000 Passagiere von Flugausfällen betroffen.
Bild: dpa
Berlin Niedersachsens Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU) hat die Initiative der Landesregierung verteidigt, wonach Passagiere ihre Flüge künftig beim Check-in bezahlen sollen. „Zuletzt betrafen rund 80 Prozent der Streitfälle bei der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr den Flugverkehr. Allein diese Zahl macht deutlich, dass Handlungsbedarf in Sachen Verbraucherschutz besteht“, sagte Althusmann dem Handelsblatt.
Das von SPD und CDU regierte Niedersachsen will das Vorkasseprinzip abschaffen. Eine Bundesratsinitiative, die an diesem Dienstag im Kabinett beschlossen wurde, könnte in der nächsten Bundesratssitzung am 16. September auf die Tagesordnung der Länderkammer kommen. Althusmann sagte: „Bei der Umsetzung unseres Vorstoßes würden nur geringe Mehrkosten für die Fluggesellschaften entstehen. Dagegen würde Reisenden eine Menge Ärger erspart.“
Das Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz begrüßte die Bundesratsinitiative, weil es die Verbraucherrechte stärke. Zustimmung signalisierte auch der Vorsitzende der Verbraucherschutzministerkonferenz, Dirk Adams (Grüne).
Die niedersächsische Initiative liege in den Gremien des Bundesrats zwar noch nicht vor, daher sei eine Prüfung derzeit noch nicht möglich, teilte das Ministerium auf Anfrage des Handelsblatts mit. Grundsätzlich entspreche der Vorstoß aber einer langjährigen Forderung der Verbraucherschutzminister in den Ländern.
Die Lufthansa, Deutschlands größte Airline, lehnt indes die Abschaffung der Vorauszahlungen für Flugtickets ebenso ab wie der Branchenverband BDL (Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft). BDL-Hauptgeschäftsführer Matthias von Randow meint: „Eine Abschaffung der Vorauskasse würde dem Verbraucher nicht nutzen, sondern schaden.“ In der Konsequenz würde das bedeuten, dass die Tickets teurer würden, sagte von Randow dem Handelsblatt. Das Ausfallrisiko müsse einbezogen, auf alle Tickets umgelegt und damit mitfinanziert werden.
Von Randow erklärte: „Zudem würde sich dies negativ auf die Auslastung von Flugzeugen und damit negativ auf die Klimabilanz auswirken. Das wäre auch ein ökologischer Nachteil und kontraproduktiv für den Klimaschutz.“
Ein Sprecher der Lufthansa wies darauf hin, dass die Airline trotz der vielen Flugplanänderungen die Erstattungen „nahezu vollständig in der vorgegebenen Frist von nur sieben Tagen“ leiste. „Insofern gibt es für diese politische Initiative keinen Anlass“, sagte der Sprecher dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Zudem stelle sich die Frage, ob es im Interesse von Fluggästen ist, durch ein Verbot der Vorkassepraxis de facto die günstigeren Frühbuchertarife einzuschränken.
Anlass für die Initiative aus Niedersachsen sind Tausende Flugstornierungen in diesem Sommer. Alle Airlines streichen Verbindungen, weil es vor allem an Personal fehlt. In der Regel werden die Tickets unmittelbar nach der Buchung bezahlt. Das kann bei Urlaubsreisen viele Monate im Voraus bedeuten.
Die Rückerstattung von Flugticktes ist oft problematisch. Das zeigen nicht nur aktuelle Zahlen der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP). Das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) ermittelt wegen der schleppenden Erstattung bei stornierten Flügen gegen Fluggesellschaften. Wie eine Sprecherin der Behörde dem Handelsblatt mitteilte, wurden in der Zeit von Januar 2022 bis zum 1. August 2022 bislang 123 Bußgeldverfahren eingeleitet.
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Eigentlich müssen Fluggesellschaften das Geld für ausgefallene Flüge innerhalb von sieben Tagen erstatten. Wegen Verstößen gegen die Rückerstattungsverpflichtung gemäß der Fluggastrechteverordnung registrierte das LBA im laufenden Jahr bisher 700 Beschwerden. Trotz der zahlreichen Anzeigen von Passagieren hat das Luftfahrt-Bundesamt bis Ende Juli lediglich 14 Bußgelder gegen säumige Airlines verhängt.
In Deutschland ist das Luftfahrt-Bundesamt die offizielle Durchsetzungs- und Beschwerdestelle für die Rechte der Fluggäste. Nach EU-Recht steht Passagieren eine Ausgleichsleistung zwischen 250 und 600 Euro zu, wenn eine Fluggesellschaft einen Flug streicht oder dieser sich um mehr als drei Stunden verspätet. Kommen die Airlines dem nicht nach, können Betroffene beim Luftfahrt-Bundesamt Beschwerde einreichen. Dieses prüft dann, ob es eine Geldbuße gegen die Airline verhängt.
Das Bundesverbraucherministerium erinnerte an die Pflicht der Fluggesellschaften, bei berechtigten Ansprüchen Erstattungen, Ausgleichszahlungen und Entschädigungen schnell und unbürokratisch zu leisten. Wenn dies nicht laufe, werde das Ministerium die Vorkassepraxis überprüfen.
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Allerdings existieren drei Urteile des Bundesgerichtshofs, der noch im Jahr 2016 das Vorkasseprinzip der Airlines für rechtmäßig erklärt hat. Die Verbraucher seien durch die EU-Fluggastverordnung ausreichend geschützt, und das Insolvenzrisiko sei durch staatliche Kontrolle in Grenzen gehalten, befanden die Bundesrichter. Mögliche Zinsnachteile der Kunden würden regelmäßig durch Preisvorteile bei frühen Buchungen ausgeglichen.
Seitdem haben sich aber die Zeiten geändert, meinen Verbraucherschützer, die nun auch auf eine Gesetzesänderung dringen: Nur kurze Zeit nach dem BGH-Urteil blieben Tausende Kunden der insolventen Air Berlin bis auf Weiteres auf ihren Ticketkosten sitzen. Es folgten der Chaossommer 2018 und schließlich der Coronaschock im März 2020.
Hunderttausende Tickets wurden von jetzt auf gleich storniert, der Lufthansa-Konzern schaltete die automatisierte Erstattung ab, um nicht durch den Abfluss von Kundengeldern in Milliardenhöhe direkt in die Pleite abzustürzen.
Den Neustart in diesem Sommer hat das Luftverkehrssystem auch verpatzt. Fehlende Arbeitskräfte an den Flughäfen und in den Jets führten zu vielen Verspätungen, sodass allein Lufthansa in München und Frankfurt an die 7000 Flüge streichen musste, um das System zu stabilisieren.
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