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13.04.2020

18:18

Folgen der Pandemie

Die Krise trifft die Metaller schwer: Kurzarbeit für die Hälfte der Beschäftigten erwartet

Von: Frank Specht

Arbeitgeber und IG Metall wollen eine schwere Wirtschaftskrise durch die Corona-Pandemie verhindern. Doch ihre Rezepte unterscheiden sich.

Fahrzeugproduktion: Autobauer wie hier VW leiden besonders unter der Coronakrise. Paul-Langrock.de

VW-Werk

Fahrzeugproduktion: Autobauer wie hier VW leiden besonders unter der Coronakrise.

Berlin Die Coronakrise trifft die Metall- und Elektroindustrie mit voller Wucht. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall erwartet, dass Ende April die Hälfte der rund vier Millionen Beschäftigten in Kurzarbeit sein werden.

Die Kapazitätsauslastung liegt nur noch bei 65 Prozent – niedriger als im Rezessionsjahr 2009. „Diese Situation lässt sich nicht unbegrenzt durchhalten“, warnte Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger. Unternehmen und ihre Mitarbeiter bräuchten eine Perspektive, wann sie wieder schrittweise in die Ausweitung der Produktion einsteigen könnten.

Auch IG-Metall-Chef Jörg Hofmann zeigt sich alarmiert: „Wir hoffen natürlich, Pleiten verhindern zu können“, sagte der Gewerkschafter im Interview mit dem Handelsblatt. Aber rund acht Prozent der Unternehmen mit insgesamt 85.000 Beschäftigten hätten bereits Liquiditätsprobleme. 18 Prozent sähen akute oder mittlere Insolvenzgefahr in den kommenden drei Monaten. 

Die Arbeitgeber und die Gewerkschaft haben unabhängig voneinander die Situation in der Schlüsselindustrie erfragt. An der IG-Metall-Befragung hatten sich in der vorletzten Woche rund 4 000 Betriebe beteiligt.

Rund ein Drittel meldet einen kompletten Abbruch beim Auftragseingang, vor allem im Fahrzeugbau, im Stahlbereich und im Kfz-Handwerk. Bei weiteren 37 Prozent ist das Auftragsvolumen stark eingeschränkt.

An der Gesamtmetall-Befragung nahmen vom 2. bis zum 7. April 1 431 Unternehmen teil. 43 Prozent nutzen bereits Kurzarbeit, nach einer Überschlagsrechnung von Gesamtmetall sind davon etwa 1,2 Millionen Beschäftigte betroffen. Weitere 40 Prozent der Unternehmen planen, das Instrument kurzfristig zu nutzen. Damit könnte noch rund eine Million betroffene Beschäftigte dazukommen.

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Die gut zwei Millionen Kurzarbeiter, mit denen das Arbeitsministerium in seiner Verordnung zur Ausweitung der Kurzarbeit kalkulierte, würden also allein in der Metall- und Elektroindustrie erreicht, sagte Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander.

Andere stark vom Wirtschaftseinbruch betroffene Branchen wie das Gastgewerbe oder die Luftfahrt kämen dann noch obendrauf. „Die Entscheidung, ob und wann wieder hochgefahren wird, muss die Politik treffen“, sagte Zander.

Sie müsse aber achtgeben, dass sich der Shutdown nicht zu einer massiven Wirtschaftskrise entwickele. So könne etwa überlegt werden, ob nicht die Autohäuser wieder öffnen, weil den Fahrzeugbauern das komplette Vertriebsnetz weggebrochen sei.

Der Automobilbau ist am stärksten von der Krise betroffen, in der Gesamtmetall-Umfrage berichten 39 Prozent der Betriebe des Wirtschaftszweigs von starken oder sehr starken Produktionseinschränkungen. Die Aufträge der Autobauer brachen im ersten Quartal um 26 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein.

Hofmann verweist aber darauf, dass gerade im Fahrzeugbau viele Lieferketten gestört seien. Die Wirtschaft könne nur europäisch koordiniert wieder in Fahrt kommen: „Es nützt nichts, hier ein Wiederanlaufszenario zu starten, wenn Italien und Spanien weiter im Shutdown sind“, sagte der IG-Metall-Chef. Es gebe Tausende Teile von europäischen Zulieferern, die nicht innerhalb von ein paar Tagen ersetzbar seien.

Uneinigkeit beim Thema Kurzarbeit

Uneins sind Arbeitgeber und IG Metall beim Thema Kurzarbeitergeld. Zander wandte sich gegen die Gewerkschaftsforderung nach einer generellen Aufstockung der Leistung. Angesichts der hohen Zahl der erwarteten Kurzarbeiter müsse man auch die Kosten im Blick behalten. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) verfügte Ende 2019 über eine Rücklage von rund 26 Milliarden Euro.

Auch dürfe man die BA, die derzeit mit der Antragsflut kämpfe, jetzt nicht durch eine erneute Rechtsänderung zusätzlich belasten. Zur finanziellen Entlastung der Unternehmen forderte Zander eine großzügigere Stundungsregel bei den Sozialbeiträgen. Es könne nicht sein, dass die Unternehmen die für März und April gestundeten Beiträge schon im Mai zahlen sollen.

Dagegen sprach sich IG-Metall-Chef Hofmann erneut für eine Aufstockung des Kurzarbeitergelds aus. „Anders als in der Finanzkrise haben wir heute oft Kurzarbeit null“, sagte er. Gerade in Niedriglohnbranchen komme man aber mit 60 beziehungsweise 67 Prozent des früheren Nettoeinkommens, die als Kurzarbeitergeld gezahlt werden, nicht über die Runden. Eine Aufstockung sei auch geboten, um die Kaufkraft zu stärken und so ein schnelleres Wiederanziehen der Konjunktur zu ermöglichen.

Allerdings werden sich auch Arbeitsplatzverluste nicht gänzlich verhindern lassen. In der Gesamtmetall-Umfrage berichten sieben Prozent der befragten Unternehmen bereits von betriebsbedingten Kündigungen.

Da der Arbeitsmarkt derzeit aber nicht aufnahmefähig sei, sollte die Politik „zumindest temporär die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds über zwölf Monate hinaus verlängern“, fordert der IG-Metall-Chef.

Die BA hatte vor Ostern von einem regelrechten Ansturm auf das Kurzarbeitergeld berichtet. Bis zum 6. April hätten 650 000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet, teilte die Nürnberger Behörde mit, das waren 40 Prozent mehr als eine Woche zuvor. Die Anzeigen kämen aus nahezu allen Branchen. Schwerpunkte sind laut BA unter anderem der Einzelhandel und das Gastgewerbe.

Unternehmen, die schon länger in Kurzarbeit sind und bald die maximale Bezugsdauer von zwölf Monaten erreichen, sollen die staatliche Leistung bis Jahresende weiter in Anspruch nehmen dürfen. Das hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in der vergangenen Woche mitgeteilt.

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