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08.07.2022

07:07

Freihandel

Nach Ceta auch Mercosur? Brüssel und Berlin machen Tempo bei Handelsabkommen

Von: Julian Olk

Die Ratifizierung des Ceta-Abkommens mit Kanada läuft, selbst beim festgefahrenen Mercosur-Vertrag rückt eine Lösung näher. Doch neue Hürden tun sich auf.

Nach Jahren des Stillstands hat die geopolitische Zeitenwende die Sichtweisen in der Handelspolitik verschoben. Imago Images

Containerhafen im kanadischen Montreal

Nach Jahren des Stillstands hat die geopolitische Zeitenwende die Sichtweisen in der Handelspolitik verschoben.

Berlin Die schlichte Abkürzung „ZP 17, TOP 9“ auf der Tagesordnung wurde dem Thema, das am Donnerstagabend im Bundestag debattiert wurde, kaum gerecht: Die Regierungskoalition hat die Ratifizierung des europäisch-kanadischen Freihandelsabkommens Ceta auf den Weg gebracht.

Fast fünf Jahre war erst die Große Koalition und später die Ampel nicht in der Lage, Ceta zu finalisieren. Doch die geopolitische Zeitenwende hat die Sichtweisen in der Handelspolitik verschoben. Längst ad acta gelegte Verhandlungen sind in Berlin und Brüssel wieder Thema.

Bundesregierung und EU-Kommission haben kürzlich Leitlinien für eine wertebasierte Handelspolitik vorgelegt. Nach Jahren des Stillstands arbeiten die Politiker und Beamten jetzt im Tagesrhythmus – nicht nur bei Ceta, auch bei Mercosur, Chile, Mexiko, Australien und Indien.

Vergangene Woche hat die EU-Kommission mit Neuseeland das erste Abkommen mit den erneuerten Standards beschlossen. Doch noch immer gibt es auch Hürden für weitere Abkommen.

Ceta: Verfahrene Lage in Frankreich

Auch das Ceta-Gesetz steht noch unter Vorbehalt. Das Abkommen ist seit fast fünf Jahren vorläufig in Kraft. Für eine vollständige Umsetzung müssen es allerdings die nationalen Parlamente ratifizieren.

Passagen zum Investitionsschutz und zu Schiedsgerichten in dem Vertrag sind äußerst umstritten. In der neuen Bundesregierung hatten sich die Grünen bislang strikt gegen die Ratifizierung gestellt, während SPD und FDP das Abkommen unterzeichnen wollten.

Der nun gefundene Kompromiss ist deshalb auch nicht ganz simpel. Die Einigung sieht vor, Ceta um Interpretationserklärungen zu ergänzen, die die Umsetzung der umstrittenen Vertragsteile weitmöglichst einschränken. Die Erklärungen müssen die EU-Kommission mit Kanada einen. Dafür ist im Herbst eine Sitzung des sogenannten „gemeinsamen Komitees“ anberaumt. Im Vorfeld muss die EU sich darüber einigen, welche Erklärungen sie einbringen will.

Sobald so die problematischen Schiedsgerichte entschärft seien, könne das Abkommen im Bundestag ratifiziert werden, erklärt Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge. „Ich bin sehr froh, dass wir beschlossen haben, bei Ceta Nachbesserungen zu verhandeln“, sagte sie dem Handelsblatt. „Wir werden ein neues Kapitel in der Handelspolitik aufschlagen.“

Dem Einlenken der Grünen um Dröge, die als Kopf der Ceta-Gegner galt, sind harte Verhandlungen vorausgegangen. Die Partei hatte vor der Bundestagswahl noch erklärt, Ceta keinesfalls zu ratifizieren und Änderungen am Vertragstext herbeizuführen. Das hätte jahrelange Nachverhandlungen mit sich gebracht.

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Trotz mancher mürrischen Stimmen an der Basis wird in Berlin nicht erwartet, dass die Grünen vom Kompromiss doch wieder abweichen. „Die Interpretationserklärungen werden ausreichen, da sind wir uns auch mit den Grünen einig“, sagte SPD-Fraktionsvizin Verena Hubertz dem Handelsblatt.

Allerdings ist es mit der deutschen Ratifizierung nicht getan. Elf weitere EU-Länder haben Ceta noch nicht unterzeichnet. Erst wenn sie auch so weit sind, tritt das Handelsabkommen vollständig in Kraft. In Regierungskreisen wird erwartet, dass die Entscheidung Deutschlands auch in fast allen anderen Mitgliedstaaten zu einem Ruck führt.

Als größte Herausforderung gilt aber Frankreich. „Angesichts der Lage in der Nationalversammlung ist eine Ratifizierung dort schwer darstellbar“, sagt eine ranghohe EU-Kommissionsvertreterin. Präsident Emmanuel Macron hatte vor zwei Wochen die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verloren. Vor allem die Bauernlobby in Frankreich hat Vorbehalte gegen Ceta, sie fürchtet sich vor Konkurrenz. SPD-Politikerin Hubertz ist aber guter Hoffnung: „Die guten Beziehungen nach Frankreich werden dafür sorgen, dass es auch dort klappt.“

Mercosur: Eine Milliarde Euro Kompensation für Bauern

Weiter ist der Weg noch beim Abkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Das Abkommen liegt seit drei Jahren auf Eis, weil sich der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro nicht davon abbringen lässt, die Abholzung des Regenwalds am Amazonas zuzulassen.

Brasilien leidet seit Jahren unter illegaler Brandrodung und anderer Umweltzerstörung im Regenwald. dpa

Waldbrände im Amazonasgebiet

Brasilien leidet seit Jahren unter illegaler Brandrodung und anderer Umweltzerstörung im Regenwald.

Doch auch bei Mercosur rückt eine Lösung näher. Die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens befindet sich bereits im Vertrag. Doch die Durchsetzung ist durch die Formulierungen nicht gewährleistet.

Brüssel bereite jetzt, ähnlich wie bei Ceta, Zusatzerklärungen vor, um Klimaschutz zu gewährleisten und die Waldabholzung zu unterbinden, heißt es aus Kommissionskreisen. Weil sie direkt den Vertragstext betreffen, müssten sie anders als bei Ceta aber noch mal von allen EU-Staaten gebilligt werden.

Und es gilt als ausgeschlossen, dass Bolsonaro da mitmacht. Allerdings stehen in Brasilien im Oktober Präsidentschaftswahlen an. Der frühere Amtsträger Lula da Silva hat gute Chancen, Bolsonaro abzulösen. Lula gilt als dem Klimaschutz deutlich aufgeschlossener.

Allerdings hat er schon angekündigt, den brasilianischen Landwirten mit dem Mercosur-Abkommen den europäischen Markt weitreichend öffnen zu wollen, was wiederum Frankreich und Irland nicht gefallen würde.

Man sei aber imstande, dieses Problem aus der Welt zu schaffen, sagt die EU-Kommissionsvertreterin. Im Zweifel würden die heimischen Bauern mit bis zu einer Milliarde Euro unterstützt.

Der Abschluss des Mercosur-Abkommens habe hohe Priorität. „Das Mercosur-Abkommen ist das wichtigste, das die EU jemals abgeschlossen hat.“ Die Ersparnis durch wegfallende Zölle liege bei vier Milliarden Euro.

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