Der Bundesgesundheitsminister will die abflauende Coronapandemie für liegen gebliebene Vorhaben nutzen. Besonders drängen die desaströsen Finanzen der Krankenkassen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
Der SPD-Politiker positionierte sich gegen eine Ex-Post-Triage.
Bild: AP
Berlin Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will bis zum Herbst mehrere großangelegte gesundheitspolitische Reformen auf den Weg bringen, die in der Hochphase der Pandemie bislang offenbar liegen geblieben sind. „Die Zeit über den Sommer muss genutzt werden, um Reformen mit Kraft anzuschieben, die sich im Herbst nicht mehr anschieben ließen“, sagte Lauterbach in Berlin.
Die Vorbereitungen für die eigentliche Gesundheitspolitik hätten bislang nur im Hintergrund stattfinden können. In den nächsten Monaten würden deswegen mehrere Vorhaben angeschoben. Konkret nannte Lauterbach die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), die Digitalisierung des Gesundheitswesens, eine Krankenhausstruktur-Reform, die Cannabis-Legalisierung sowie ein Pandemiebekämpfungs-Gesetz für den Herbst.
Als besonders drängend gilt die Reform der desaströsen Kassenfinanzen. Die Kassen warnen seit Monaten vor einem gewaltigen Finanzierungsdefizit von 17 Milliarden Euro für das kommende Jahr. Bereits für dieses Jahr musste die damalige Große Koalition mit einem Rekordzuschuss von 28,5 Milliarden Euro die Kassen stützen, um einen höheren durchschnittlichen Zusatzbeitrag für die Versicherten abzuwenden.
Dieser liegt aktuell bei 1,3 Prozent. Lauterbach hatte auf dem Frühlingsempfang der AOK in der vergangenen Woche ein GKV-Finanzierungsgesetz „in den kommenden Tagen“ angekündigt, musste dieses allerdings wieder verschieben. Grund ist offenbar der Ukrainekrieg. „Wir sind gerade dabei, die Unwägbarkeiten zu prüfen“, sagte Lauterbach.
Der Krieg werde sich drastisch auf die Einnahmen und Ausgaben der Kassen auswirken. Details nannte Lauterbach nicht. Aus Kassenkreisen heißt es, es lasse sich derzeit schwer abschätzen, wie sehr sich der Krieg auf die GKV-Finanzen auswirken wird. Die Einnahmen der Kassen hängen stark vom Arbeitsmarkt ab, dessen Entwicklung wiederum von möglichen Sanktionen wie etwa einem Gasembargo beeinflusst wird.
Dessen Folgen ließen sich auch nicht mehr durch Maßnahmen wie Kurzarbeit abfedern, warnte Arbeitsagentur-Chef Detlef Scheele erst am Dienstag angesichts der weiterhin guten Beschäftigungszahlen. Steigt die Arbeitslosigkeit, brechen den Kassen Beiträge und damit Einnahmen weg. Auf der Ausgabenseite wiederum herrscht die Sorge vor höheren Kosten, etwa durch die steigenden Energie- und Produktionspreise.
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Zudem sollen ab Juni bedürftige Ukraineflüchtlinge über die Grundsicherung versichert werden. Kassen klagen schon lange darüber, dass die Beiträge für Grundsicherungsempfänger nicht kostendeckend sind und somit zusätzliche Ausgaben bedeuten.
Derzeit liefen Abstimmungen, was der Ukrainekrieg für das Gesetz bedeute, sagte Lauterbach. Er wolle sich aber auch nicht drängen lassen. Noch in diesem Monat, womöglich in zwei Wochen, wolle er ein entsprechendes Gesetz vorlegen.
Anfang März war bereits ein erster Entwurf des Gesetzes publik geworden, von dem sich das Gesundheitsministerium allerdings distanzierte. Dieser sah unter anderem vor, den Bundeszuschuss ab dem Jahr 2023 um fünf Milliarden auf jährlich 19,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Ohne zusätzliche Maßnahmen würde der Zusatzbeitrag um einen Prozentpunkt steigen, hieß es in dem Entwurf. Dieser beinhaltete auch Einschnitte für die Pharmabranche, um die Medikamentenausgaben zu senken.
Als weiteres Vorhaben kündigte Lauterbach an, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzubringen. Als Beispiel nannte er das elektronische Rezept, das sich derzeit in einer Testphase befindet, aber noch in diesem Jahr an den Start gehen soll. Dies war ursprünglich für Januar dieses Jahres vorgesehen, musste aber wegen technischer Mängel auf unabsehbare Zeit verschoben werden. Mit dem Start werde die Digitalisierung des Gesundheitswesens „erlebbar“, sagte Lauterbach. Bislang seien 10.000 E-Rezepte ausgestellt worden.
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Zudem rief Lauterbach die Gesundheitsämter dazu auf, stärker in die Digitalisierung zu investieren. „Dies kann jetzt im Zwischenspurt nachgeholt werden, damit sie im Herbst gut vorbereitet sind“, sagte der Minister. Bereits 2020 stellte die damalige Bundesregierung den Gesundheitsämtern 800 Millionen Euro für die Digitalisierung in Aussicht.
Außerdem kündigte Lauterbach an, mit einem Vorschlag für eine sogenannte „Opt-out“-Regel den Grundstein für den Start der elektronischen Patientenakte zu legen. Eine solche Regel wurde im Koalitionsvertrag vereinbart. Sie besagt, dass man aktiv widersprechen muss, wenn man die elektronische Patientenakte nicht verwenden möchte.
Zudem kündigte Lauterbach an, den Gesetzesprozess zur Cannabis-Legalisierung zu starten. In einem ersten Schritt werde der Drogenbeauftragte in Fachgesprächen mit Experten das Thema erörtern. „Ich habe meine Meinung in den vergangenen zwei Jahren dazu geändert“, sagte Lauterbach. „Ich war immer ein Gegner der Cannabis-Legalisierung, habe aber meine Position vor rund einem Jahr revidiert.“ Er sei nun der Meinung, dass die Gefahren einer Nicht-Legalisierung größer seien.
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