Nur zwei Jahre nach Baubeginn startet heute die erste europäische Tesla-Fabrik bei Berlin. Wie war das so schnell möglich? Das Handelsblatt zeichnet die Chronologie eines Wagnisses nach.
Tesla in Grünheide
In einer ersten Phase ist vorgesehen, dass Tesla im neuen Werk mit rund 12.000 Beschäftigten rund 500.000 Autos im Jahr baut.
Bild: Reuters
Berlin Tesla liefert an diesem Dienstag die ersten Autos aus Grünheide bei Berlin an die neuen Besitzer aus. Der US-Elektroautobauer eröffnet damit die erste „Gigafactory“ in Europa. Das Projekt gilt als eines der wichtigsten Industrievorhaben in Ostdeutschland.
Der Anfang 2020 begonnene Bau der Fabrik und die Genehmigung nach Bundesimmissionsschutzgesetz gingen vergleichsweise schnell. Aber sie hielten die Politik, Umweltschützer und die Gerichte auch immer wieder in Atem.
Lesen Sie hier die Details des Megaprojekts – von der ersten Idee bis zur Eröffnung.
Bei seiner Suche nach einem Standort für ein großes europäisches Werk hat Tesla vor allem Deutschland im Blick. Im Juni 2018 schreibt Elon Musk beim Kurznachrichtendienst Twitter, Deutschland sei eine „führende Wahl“ in Europa. Die deutsch-französische Grenze mit ihrer Nähe zu den Benelux-Ländern sei möglicherweise sinnvoll, erklärt er. Daraufhin bringen sich Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Bayern, Niedersachsen und Brandenburg als Standort ins Spiel.
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Erste Kontakte zwischen der Brandenburger Landesregierung und Tesla gibt es im Juli 2018. Im Oktober folgt ein erstes Treffen. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) wirbt im August 2019 in einem Schreiben für den Standort Brandenburg.
Bei der Verleihung des „Goldenen Lenkrads“ in Berlin teilt der Tech-Pionier seine Standortentscheidung mit. Die „Gigafactory 4“ soll auf einem Gelände in Grünheide in der Nähe des neuen Flughafens Berlin Brandenburg entstehen. In Berlin soll zudem ein Ingenieur- und Designzentrum angesiedelt werden.
Unter Leitung von Ministerpräsident Woidke trifft sich die Taskforce künftig regelmäßig. Mit dabei sind Vertreter von Tesla, die Ressortchefs verschiedener Ministerien sowie Beteiligte aus der Kommune und dem Landkreis.
Der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bietet seine Hilfe an, um die neue Tesla-Fabrik schnell zu realisieren. „Wenn wir als Ministerium um Hilfe gebeten werden, helfen wir dabei gern.“ Er betont: „Wenn das Werk nicht kommt, wäre es ein Schaden für ganz Deutschland.“
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Das Projekt wird im „Amtsblatt für Brandenburg“ veröffentlicht. Einen Monat lang können nun die Antragsunterlagen eingesehen werden. Bis 5. März sind Einwendungen möglich. Im Blick stehe unter anderem, ob alle Vorschriften zum Schutz der Umwelt eingehalten werden.
Dietmar Woidke (r.) mit Elon Musk
„Tesla strahlt eine große Faszination aus“, sagt der brandenburgische Ministerpräsident.
Foto: ---/privat/dpa
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Um seine Informationspolitik zu verbessern, eröffnet das Unternehmen in Grünheide ein Informationsbüro. Kurz vorher demonstrieren Kritiker gegen die Ansiedlung und die damit zusammenhängende Rodung von Wald. „Ich hoffe, dass sich mit diesem Bürgerbüro die Situation jetzt auch ein bisschen entspannt“, sagt Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD).
Auf Twitter meldet sich Musk mit Blick auf den Wasserverbrauch der künftigen Fabrik zu Wort. Tesla werde nicht an jedem Tag so viel Wasser verbrauchen wie von den Anwohnern befürchtet, verspricht er. Zudem hatten Anwohner immer wieder kritisiert, dass zugunsten des Werks Bäume gefällt werden müssen. Dem entgegnet Musk, dass die Bäume auf dem 300 Hektar großen Gelände zu keinem natürlichen Wald gehörten. Sie seien zur Kartonherstellung angepflanzt worden, und nur ein kleiner Teil werde für die Fabrik weichen müssen, so Musk.
Zweieinhalb Monate nach der Ankündigung zum Bau der Tesla-Fabrik ist der Kaufvertrag zwischen Tesla und dem Land Brandenburg notariell beurkundet. Ministerpräsident Woidke spricht von einem bedeutenden Schritt für das Gelingen des Industrieprojekts. Der Landesbetrieb Forst hatte den Kaufpreis für das Waldgelände auf knapp 41 Millionen Euro bemessen.
Tesla beginnt mit der Abholzung von rund 90 Hektar Wald, die für eine Elektroautofabrik weichen sollen. Das Landesamt für Umwelt in Brandenburg hatte zuvor die Zulassung für einen vorzeitigen Beginn der Rodung erteilt.
Die Grüne Liga Brandenburg und der Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern (VLAB) wollen die Rodung auf dem Tesla-Gelände mit Eilanträgen stoppen. Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) entscheidet für Tesla. Die Naturschützer wenden sich daraufhin an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Die Richter stoppen die laufenden Rodungsarbeiten vorläufig.
Das Oberverwaltungsgericht weist schließlich die Eilanträge der Verbände zurück. Damit gibt es grünes Licht für Tesla, noch vor dem Beginn der Vegetationsperiode weiter Bäume auf einem Teil des Geländes zu fällen.
Auf dem Gelände der künftigen Tesla-Fabrik leben einige Tiere, die nun ein neues Zuhause finden sollen. Dazu zählen Waldameisen. Sie werden mit Erde in weißen Tonnen verstaut und in einem benachbarten Wald wieder ausgesetzt. In einem Gutachten für die Prüfung der Umweltverträglichkeit des Projekts waren mehrere Waldameisennester ausgemacht worden. Ameisen sind nicht die einzigen Tiere auf dem Gelände. Dort sind zum Beispiel auch Zauneidechsen heimisch. Es gibt außerdem Fledermäuse.
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Der US-Elektroautohersteller bekommt für seine Fabrik eine besondere Adresse: Tesla-Straße 1. Nach Angaben der Gemeinde plant das Unternehmen mit dieser neuen Adresse, den Sitz der Tesla Manufacturing Brandenburg SE von Brandenburg/Havel nach Grünheide zu verlegen.
Fabrik-Baustelle in Grünheide
Läuft alles nach Plan, werden in der neuen Tesla-Fabrik bis zu 12.000 Mitarbeiter 500.000 Fahrzeuge jährlich produzieren.
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Der Tesla-Chef überschreibt seine Nachricht bei Twitter mit „Giga Berlin“ und postet ein Bild dazu. Es zeigt einen Entwurf der fertigen Fabrik mit einem breiten Eingang im Vordergrund und einer Glasfensterfront im zweiten Stock unter einem Solardach. Im Hauptgebäude sollen unter anderem eine Lobby, der Karosseriebau und die Endmontage untergebracht werden, in einem von mehreren Nebengebäuden die Antriebsfertigung.
Auf der Baustelle sagt der Tesla-Chef schmunzelnd: „Deutschland rocks.“ Und dann: „Wir wollen (...) einen großartigen Platz zum Arbeiten schaffen.“ Musk betont das rasante Tempo des Baus auf dem Gelände nahe der Autobahn A10. „Sie sehen, wie schnell der Fortschritt ist.“ Das sei möglich wegen des Einsatzes von Fertigbau in hoher Qualität. Er wolle dort „coole Autos“ herstellen lassen. „Die Berliner Lackfabrik wird die fortschrittlichste Lackfabrik aller Autofabriken weltweit sein.“
Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für das Werk erhalten bei einer Anhörung in Erkner bei Berlin mehr als 100 Kritiker die Gelegenheit, ihre beim Land Brandenburg eingereichten Einwände vorzutragen. Naturschützer und Anwohner befürchten negative Folgen für Wasserversorgung und Umwelt.
Damit nimmt der US-Elektroautohersteller eine wichtige Hürde für die Genehmigung seiner Fabrik. Der Vertrag regelt die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung für die erste Ausbaustufe der Fabrik.
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Die Umweltverbände Nabu und Grüne Liga gehen juristisch gegen die vorzeitige Zulassung der Fällung von weiteren 82,9 Hektar Wald auf dem Tesla-Gelände vor. Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) erteilt daraufhin im Eilverfahren einen vorläufigen Abholzungsstopp. Zwei Tage später kann Tesla aufatmen – vorübergehend zumindest. Nach Prüfung der Einwände entscheidet das Gericht: Die Rodungsgenehmigung ist rechtmäßig. Die Umweltverbände wenden sich daraufhin an das Oberverwaltungsgericht. Sie argumentieren, dass es Verstöße gegen ein Zugriffsverbot im Artenschutzrecht für die streng geschützten Zauneidechsen und Schlingnattern gegeben habe. Die Richter entscheiden schließlich, dass Tesla wegen des Schutzes von dort überwinternden Zauneidechsen bestimmte Randbereiche von Flächen nicht roden darf.
In der Debatte um den Bau der Tesla-Fabrik kommt es zu einem heftigen Streit zwischen dem TV-Magazin „Frontal“ und dem Tesla-Konzernchef. Nach einer Medienschelte Musks via Twitter gegen das Magazin fordert die Redaktion den Topmanager auf, sich einem Interview zu stellen. In der Sache geht es um die Frage, wie viel Wasser das neue Werk für den Bau von Elektroautos und den dazugehörigen Batterien verbraucht.
In dem von Musk kritisierten Beitrag des Magazins hatte der Chef des Wasserverbands Strausberg-Erkner (WSE), André Bähler, gesagt, die Trinkwasserversorgung werde „auf dem Gabentisch der Wirtschaftspolitik geopfert“. Musk twittert: „Wow, shame on ZDF Info!“ (deutsch: Schämt euch, ZDF Info!).
Der US-Konzern argumentiert in einer Stellungnahme, die Fabrik in Grünheide helfe durch die Verbreitung von E-Mobilität im Kampf gegen die Erderwärmung. „Der deutsche Genehmigungsrahmen für Industrie- und Infrastrukturprojekte sowie für die Raumplanung steht in direktem Gegensatz zu der für die Bekämpfung des Klimawandels notwendigen Dringlichkeit der Planung und Realisierung solcher Projekte.“ Besonders irritierend sei aber, dass es 16 Monate nach dem Antrag noch keinen Zeitplan für die Erteilung einer endgültigen Genehmigung gebe. Tesla kritisiert auch, dass bei der Beteiligung der Öffentlichkeit „einige der aktuellen Bestimmungen zu Missbrauch einladen“. So belohnten große Anhörungen „Lautstärke statt Substanz“.
Im Bundestagswahlkampf trifft Unionskanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) auf der Tesla-Baustelle Elon Musk. Hierbei fordert Laschet schnellere Genehmigungsverfahren und eine Veränderung der Verbandsklagerechte. „Es ist nicht akzeptabel, dass jemand, der nicht als Anwohner hier betroffen ist, sondern an der Nordsee oder den Bayerischen Alpen lebt, eine Klage einreichen kann, um solche Projekte zu stoppen. Da müssen wir was ändern.“
Tesla hält die Einwände zahlreicher Kritiker für unbegründet. In einer Online-Erörterung wendet sich das Unternehmen beispielsweise gegen Bedenken wegen des geplanten Wasserverbrauchs, wegen der Gefahr eines Störfalls und wegen des Bauens ohne abschließende Genehmigung. In mehreren Einwänden zweifeln Kritiker das Konzept zum Umgang mit Störfällen an.
Tesla präsentiert sein Werk erstmals der Öffentlichkeit. Für den „County Fair“ betitelten Tag der offenen Tür haben die Behörden bis zu 9000 Menschen gleichzeitig zugelassen. Besucher können das Werk besichtigen und auch im Tesla Model Y Probe fahren, das in Grünheide produziert werden soll. Musk verteidigt auf der Veranstaltung sein Projekt gegen Bedenken, dass die Produktion zu viel Wasser aus der Region abzweige. „Unsere Fabrik verbraucht sehr wenig Wasser“, sagt er. Teslas Mission sei ein möglichst schneller Übergang zu erneuerbaren Energien und Klimaschutz. Zugleich wirbt er um qualifizierte Mitarbeiter aus ganz Europa.
Elon Musk beim Tag der offenen Tür auf dem Tesla-Gelände
Für das Volksfest hatten die Behörden bis zu 9000 Menschen gleichzeitig zugelassen. (Archivbild vom 9. Oktober 2021)
Bild: dpa
Der für das Werk zuständige Wasserverband macht klar, dass die Trinkwasserversorgung der Region bei einem weiteren Ausbau der Tesla-Fabrik nicht gesichert ist. „Wie man die Bedarfe decken will, ist völlig offen“, sagt WSE-Vorsteher Bähler. Er verweist auch auf die Ansiedlung anderer Unternehmen wie Zulieferer sowie auf neue Wohnungen für Beschäftigte. Niemand wisse, woher das Wasser für den zusätzlichen Bedarf kommen solle.
Eigentlich wollte Tesla schon im Juli mit der Produktion in Brandenburg beginnen, doch Verzögerungen im Genehmigungsverfahren torpedieren den Zeitplan. Der Grund: Die dreiwöchige Online-Erörterung von mehr als 800 Einwänden gegen den Bau wird wiederholt. Mehrere Umweltverbände werfen Brandenburgs Umweltministerium vor, die Frist zur Bekanntmachung der Internetkonsultation nicht eingehalten zu haben. Das Ministerium teilt mit, das Verfahren werde wiederholt, weil unklar sei, wie sich die Verwaltungsgerichte in Brandenburg im Fall einer Klage entscheiden würden.
Tesla reicht die noch fehlenden Dokumente für das Genehmigungsverfahren ein. „Zum Ende der 50. Kalenderwoche (13.–19.12.) sind die ausstehenden Unterlagen und Informationen eingegangen, die die Voraussetzung für eine Entscheidung über den Tesla-Antrag bilden“, teilt das Umweltministerium mit.
Das Landesumweltamt erteilt die Genehmigung nach dem Immissionsschutzgesetz für die Fabrik in Grünheide. „Wir sind auch ein Stück weit froh und stolz, dass wir das geschafft haben“, sagt Brandenburgs Ministerpräsident Woidke. Das Verfahren sei eine Mammutaufgabe gewesen. Auch Elon Musk ist erleichtert. Auf Twitter schreibt er: „Ich möchte mich recht herzlich bedanken.“ In einem weiteren Tweet kündigt er an, bei der Eröffnung Tanzschritte vorzuführen – wie er es bereits bei einigen Auftritten getan hat.
Zum offiziellen Start der Tesla-Fabrik hält Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Grünheide ein Grußwort. Neben Scholz sind auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Ministerpräsident Woidke sowie die brandenburgischen Minister Jörg Steinbach (Wirtschaft) und Axel Vogel (Umwelt) dabei.
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