Kontaktverfolgung per Telefon und Fax. Die Verwaltungen arbeiten zum großen Teil analog. Eine neue Plattform der Beratungsgesellschaft PwC und des Technologiekonzerns Public soll das ändern.
Netzwerkkabel
Deutschland rangiert einer Studie zufolge EU-weit beim Thema Digitalisierung hinter Malta, Estland und Spanien auf Platz zwölf.
Bild: dpa
Düsseldorf Die Corona-Pandemie hat die Defizite der Digitalisierung in Deutschland schonungslos offenbart. Schulen ohne WLAN, Hochschulen ohne Konzept, Behörden mit reichlich Faxverkehr. Dagegen funktionierte die Kommunikation mit Kollegen und Freunden per Videokonferenz meist auf Anhieb. Seit Jahren versprechen Politiker, Behörden zu digitalisieren. Passiert ist wenig. Die Strategieberatung PwC und der Technologiekonzern Public wollen das ändern – mit „Govmarket“, einem App-Store für die digitale Verwaltung.
„Bisher haben sich Behörden mit der Nutzung von Start-up-Innovationen häufig schwergetan, weil Prozesse zu langwierig und komplex sind“, sagt Frederik Blachetta, Partner bei Strategy&, der Strategieberatung von PwC. Über die Plattform Govmarket, die in ein bis zwei Jahren auf den Markt kommen soll, können Behörden zentral digitale Produkte beziehen und mit Start-ups, die solche Produkte anbieten, in Kontakt kommen.
„Der Dienst wird dringend benötigt“, sagt Nils Hoffmann, Leiter der Programme für den deutschsprachigen Raum bei Public. Denn Behörden und öffentlich-rechtliche IT-Dienstleister suchen „händeringend nach innovativen Technologien und Lösungen“. Auf der anderen Seite falle es Start-ups schwer, den Überblick über behördliche Auftragsvergabeverfahren zu behalten.
PwC und Public zielen mit Govmarket auf einen Multimilliardenmarkt, sagt Blachetta, nämlich Regierungen mit neuer Technologie auszustatten. Im Fachjargon heißt das „Government Technology“ (GovTech). Beim GovTech-Gipfel des Handelsblatts diskutieren Gründerinnen mit Entscheidern aus Politik und Verwaltung, darunter den Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD), Digitalminister Andreas Pinkwart (FDP) sowie Audrey Tang, taiwanische Digitalministerin.
Unternehmer belasten die digitalen Defizite des Staates. Nach einer Studie von Public geben über 80 Prozent der befragten Start-ups an, dass Vergabeprozesse und Formalien ein Hindernis bei der Zusammenarbeit mit dem Staat darstellen, erklärt Public-Manager Hoffmann. „Durch die Pandemie sind die massiven Defizite noch gestiegen“, fügt er hinzu. Auf der anderen Seite falle es auch der Verwaltung schwer, mit Start-ups und kleinen und mittelständischen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Außerdem setzten sich nur elf Prozent der befragten öffentlich-rechtlichen IT-Dienstleister aktiv und systematisch mit Start-ups auseinander.
Nach dem Digital Economy and Society Index 2020, der den Digitalisierungsgrad der EU-Länder in den Bereichen Konnektivität, Humankapital, Internetnutzung, Integration der Digitaltechnik und digitale öffentliche Verwaltung misst, liegt Deutschland hinter Malta, Estland und Spanien nur auf Platz zwölf. „In der Corona-Pandemie sind die gravierenden Defizite bei der Digitalisierung national wie europäisch zum Vorschein gekommen“, sagte Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrats der CDU, bereits im März dem Handelsblatt.
Der neue App-Store ist eine Weiterentwicklung des Netzwerks „Govstart“, an dem Hoffmann seit einem Jahr arbeitet. Am Anfang habe er nur eine Teilzeitkraft für das Projekt eingesetzt, dann „nahmen die Aufträge zu“. Innerhalb eines Jahres betreute er europaweit 40 Unternehmen, darunter den Kommunikationsdienst Element, den Mobilitätsdienstleister Vianova und den Softwareentwickler Polyteia.
Element bietet eine plattformunabhängige Software für Chats und Videotelefonie mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung an. Mit den deutschen Behörden war das britische Unternehmen nicht vertraut. Als die Bundeswehr einen Kommunikationsdienstleister suchte, moderierte Govstart den Bewerbungsprozess. Heute setzt die Bundeswehr den Dienst als wichtigsten Kommunikationskanal ein.
Vergabeprozesse seien nach wie vor eine Herausforderung, „vor allem da wir in unterschiedlichen europäischen Märkten aktiv sind und mit unterschiedlichen Behörden zusammenarbeiten“, erklärt Element-CEO Matthew Hodgson. Einfachere und schnellere Vergabeprozesse machten den öffentlichen Sektor für Start-ups „sehr viel attraktiver“.
Zu den Kunden des Public-Managers Hoffmann zählt auch Polyteia. Das Berliner Softwareunternehmen bündelt die Daten einer Kommune, zum Beispiel die Angaben des Haushalts- und Melderegisters, die bisher nur isoliert vorliegen. Wollen Gemeinden etwa eine Kita bauen, müssten die Informationen verbunden werden, um über den Standort und die Größe zu entscheiden, erklärt Hoffmann. Die Gemeinde spare durch die Digitalanwendung Zeit und Ressourcen, denn bisher seien die Daten manuell ausgewertet und für Entscheidungen nutzbar gemacht worden.
Hoffmann hofft, dass Städte und Gemeinden durch den Corona-bedingten Wirtschaftsschaden künftig nicht „an Technologievorhaben sparen“ werden. Der GovTech-Gipfel stimmt ihn optimistisch: „Vor zwei Jahren hätten sich wohl kaum Kanzlerkandidaten auf einem Gipfel zum Thema GovTech gezeigt.“ Heute stehe die Modernisierung der Verwaltung in jedem Wahlprogramm. „Jetzt muss sie nur noch umgesetzt werden.“
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