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19.08.2020

12:11

Tesla-Effekt: Warum die Gigafactory ein Segen für Deutschland ist dpa

Geplante Fabrik bei Berlin

Das von Tesla zur Verfügung gestellte Handout zeigt eine grafische Darstellung der Tesla Gigafactory Berlin in Grünheide.

Großprojekte

Der Tesla-Effekt: Experten erwarten von Gigafactory Signalwirkung für andere Projekte

Von: Silke Kersting, Dietmar Neuerer

Der US-Elektroautokonzern baut im Eiltempo seine neue Gigafactory bei Berlin. Die Schnelligkeit hat für Politiker und Experten Vorbildcharakter für andere Vorhaben.

Berlin Ende Oktober soll nach 14 Jahren Bauzeit der neue Hauptstadtflughafen BER eröffnen. Nur rund 30 Kilometer davon entfernt, ebenfalls in Brandenburg, zeigt der US-Autobauer Tesla, dass man ein Milliardenprojekt hierzulande deutlich schneller realisieren kann.

Erst im Februar startete Firmenchef Elon Musk mit den Vorbereitungen zu seiner vierten Gigafactory, die Rohbauarbeiten begannen vor etwa vier Wochen und kommen sichtbar voran. Im Sommer 2021 sollen die ersten Elektrofahrzeuge der Y-Baureihe vom Band rollen, später 500.000 Autos jährlich.

Nach Einschätzung des Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung, Thomas Bareiß (CDU), hat die Schnelligkeit Vorbildcharakter für andere Bauprojekte. „Tesla zeigt, was möglich ist, wenn politischer Wille sowie effiziente und schnelle Bearbeitungsabläufe bei Verwaltung und Gerichten auf Umsetzungswillen in Wirtschaft und Industrie treffen“, sagte Bareiß dem Handelsblatt.

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln, spricht von einer „Signalwirkung“. Die zügigen Baufortschritte seien „ein großartiges Beispiel dafür, wie eine kluge und frühzeitige Abstimmung nach einer Grundsatzentscheidung Planung und Umsetzung beschleunigen kann“. Schon die Tatsache, dass Tesla nun auch die Batterieproduktion in Deutschland plant, spreche für einen Sogeffekt.

„Tesla gibt uns Entwicklungshilfe“, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des CAR-Instituts. „Unsere Zulieferer werden mitgezogen und auch die Autobauer.“ Das Projekt sei „ein Segen für Deutschland“.

Grundkonstruktion steht bereits

Es ist viel Bewegung auf dem Baugelände der Tesla-Gigafactory in Grünheide nahe Berlin. Im Minutentakt rollen schwere Lastwagen auf die gut bewachte Baustelle. Kräne, Baumaschinen, Betonpfeiler sind zu sehen, die Grundkonstruktion der ersten Werkshallen steht bereits.

Der US-Elektroautobauer hat sich hier, 35 Kilometer südöstlich der Hauptstadt, viel vorgenommen. Das Unternehmen will den bisherigen Baurekord seiner Gigafactory Shanghai von rund einem Jahr knacken. Gelingt dies, wäre das bei einem Projekt dieser Dimension mehr als beeindruckend. Es käme schon fast einem Paradigmenwechsel bei der Realisierung von Großprojekten in Deutschland gleich.

Grafik

Ob der neue Hauptstadtflughafen, die Elbphilharmonie oder das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21: Großprojekte in Deutschland stehen immer wieder wegen Zeitverzögerungen und massiv steigender Kosten in der Kritik.

Bei Stuttgart 21 hakt es nach wie vor gewaltig. Die Bauarbeiten begannen im Februar 2010. Derzeit geht die Bahn offiziell von einer Inbetriebnahme Ende 2025 aus. Ob das klappt, ist offen.

In Grünheide ist mit derartigen Verzögerungen kaum zu rechnen. Tesla-Chef Elon Musk selbst hatte erst vor wenigen Tagen getwittert, die „Giga Berlin“ werde in unvorstellbarer Geschwindigkeit entstehen. Dabei ist die umweltrechtliche Genehmigung für das Milliardenprojekt durch das Land Brandenburg noch gar nicht abgeschlossen.

Tesla baut über vorab erteilte Einzelgenehmigungen der Behörden, aber auf eigenes Risiko. Erst am Montag genehmigte das Landesamt für Umwelt den vorzeitigen Beginn für einen weiteren Bauabschnitt. Das ist rechtlich möglich, wenn mit einer positiven Entscheidung zugunsten des Vorhabenträgers, in diesem Fall also Tesla, gerechnet werden kann.

Elon Musk scheint das zu reichen. Die Amerikaner jedenfalls gehen jeden Tag mehr ein Stück in Vorleistung und treiben den Milliardenbau voran. Rund einhundert Arbeiter sollen derzeit auf der Baustelle im Einsatz sein, berichtete gerade der Berliner „Tagesspiegel“. Wenn der Innenausbau beginnt, sollen es eintausend sein. „Elon Musk ist kein gewöhnlicher Mensch, sondern ein Dynamik-Paket“, sagt Autoprofessor Dudenhöffer. „Wenn er in der Geschwindigkeit der normalen Autobauer arbeiten würde, wäre er nicht erfolgreich.“ Musk revolutioniere die Branche, und das gehe eben nicht im Branchentempo.

Hinzu kommt, dass Tesla beim Bau seiner Fabrik nicht darauf angewiesen ist, dass wie etwa beim BER öffentliche Gelder fließen. „Theoretisch könnte Tesla rund 280 Millionen Euro Förderung vom Land bekommen“, erklärte Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) unlängst. Wie viel es am Ende tatsächlich werde, entscheide die EU-Kommission.

Wer sich spontan vor Ort selbst ein Bild von den Baufortschritten machen will, wird schnell ausgebremst. „Wenn ihr jetzt nicht abhaut, soll ich euch sagen, holen sie die Bullen!“, ruft uns ein Trucker eine Botschaft des Wachpersonals zu, das zuvor noch zurückhaltend, aber nicht unfreundlich mit einigen knappen Worten über den Baufortschritt berichtet hatte. „Selbst wir“, sagt der Lastwagenfahrer, und es klingt ein bisschen bedauernd, „dürfen keine Fotos machen.“

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Doch so geheimnisvoll ist das Projekt gar nicht. Die öffentlich einsehbaren Antragsunterlagen sind ausführlich wie selten bei ähnlichen Vorhaben und füllen mittlerweile mehr als 20 Aktenordner. Tesla, so wirkt es, will Transparenz in das Verfahren bringen, spätestens seit sich erster Unmut in der Region gezeigt hatte.

Unmut wegen Wasserverbrauch

Und den gibt es, vor allem wegen des geplanten Wasserbedarfs, der aus dem öffentlichen Trinkwassernetz bezogen werden soll. Automobilbetriebe benötigen Wasser für verschiedene Prozesse: vor allem in der Lackiererei, aber auch in der Gießerei, der Endmontage, für die Kühltürme sowie für die Sanitäranlagen und Reinigungszwecke. Im Fall von Tesla ist das ein besonders sensibles Thema, da die künftige Fabrik in Grünheide in einem Trinkwasserschutzgebiet gebaut wird.

Deswegen sei auch der jährliche Wasserverbrauch von ursprünglich drei Millionen Kubikmeter jährlich auf nunmehr 1,4 Millionen mehr als halbiert worden, berichtet der brandenburgische Umweltminister Axel Vogel (Grüne). „Die benötigte Wassermenge ist für ein Industrieunternehmen dieser Größenordnung nicht ungewöhnlich viel“, fügt der Minister beschwichtigend hinzu. Und: „Die Wasserversorgung von Tesla in der ersten Ausbaustufe steht nicht in Zweifel.“

In Grünheide sollen ab Juli 2021 vorerst 500.000 Fahrzeuge pro Jahr vom Band rollen. dpa

Baugelände der Giga-Factory

In Grünheide sollen ab Juli 2021 vorerst 500.000 Fahrzeuge pro Jahr vom Band rollen.

Stellt man den prognostizierten Wasserverbrauch den jährlich geplanten 500.000 Elektroautos gegenüber, kommt man auf einen Wert von 2,8 Kubikmeter Wasser, also 2800 Liter, pro Fahrzeug. BMW gibt einen Wert von 2,32 Kubikmeter Wasser an und das Ziel, den Verbrauch kontinuierlich auf unter 2000 Liter zu senken.

Mit der Beschaulichkeit im fabriknahen Grünheide, idyllisch an einer Seenkette gelegen, könnte es schon bald vorbei sein. Mit Tesla wird sich alles ändern“, ist Carsten Goretzki überzeugt, Pächter von Restaurant und Pension „Heydewirt am Peetzsee“. Ein neuer Stadtteil sei geplant, ein Wellnesshotel – und eine Tankstelle. Der Gastronom freut sich drauf und hegt die Hoffnung, „dass Elon Musk wenigstens einmal hier schläft und man mit ihm abends ein Bierchen trinken kann“. Teslas Vorgehen ringt ihm Respekt ab. „Die Amerikaner“, sagt er, „schaffen Fakten, wenn auch auf eigenes Risiko.“

Noch heute sind Beobachter beeindruckt, wie Tesla es geschafft hat, so gut wie alle Harvester, riesige Baumfällmaschinen, der Bundesrepublik im Rekordtempo in Grünheide zusammenzuziehen. Sogar ein neues Straßenschild wurde schon am Eingang der Baustelle angebracht: Tesla Straße 1.

Auch Mittelstandsbeauftragter Bareiß staunt über den Baufortschritt. Im November 2019 sei die Entscheidung für den Standort Brandenburg bekanntgegeben worden, und heute stehe man kurz vor dem Abschluss der Genehmigung. „Sollte die Genehmigung tatsächlich im November 2020 erfolgen, ist die Verfahrensdauer mit gerade mal zwölf Monaten mehr als rekordverdächtig“, betonte der parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium.

Menschen demonstrieren gegen die Ansiedlung von  Tesla in der brandenburgischen Gemeinde Grünheide. dpa

Protest gegen Tesla-Fabrik

Menschen demonstrieren gegen die Ansiedlung von Tesla in der brandenburgischen Gemeinde Grünheide.

Bareiß ist denn auch überzeugt, dass das Unternehmen nicht nur den deutschen Automarkt aufmischen, „sondern vielmehr auch unseren Standort Deutschland in Sachen Genehmigungsverfahren für Industrieanlagen revolutionieren“ kann. Eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren bedeute vor allem, bürokratische Hemmnisse abzubauen – und nicht weniger Transparenz oder die Einschränkung von Bürgerbeteiligung.

Aus Sicht des Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, zeigt das Beispiel von Tesla, dass eine schnelle Umsetzung von Investitionsprojekten in Deutschland möglich sein könne. „Allerdings ist Tesla ein besonderer Fall, der kein Vorbild für andere Projekte sein wird“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt.

Der DIW-Präsident sieht vor allem in den rechtlichen und bürokratischen Hürden für Investitionsprojekte in Deutschland ein Problem, die er als die „höchsten und schwierigsten in der Welt“ bezeichnete. „Zu häufig werden in Deutschland Regeln für eigene und enge Partikularinteressen missbraucht“, sagte Fratzscher. Als Konsequenz forderte er „dringend grundlegende Reformen von Bürokratie und Regeln, so dass Investitionsprojekte in Zukunft schneller realisiert werden können“. „Die regulatorische Unsicherheit ist eine der wichtigsten Gründe für die geringen Investitionen und die schlechter werdende Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“, konstatierte der DIW-Chef.

Dass es hier dringend Handlungsbedarf gibt, steht auch für Bareiß außer Frage. Umweltschützer schaffen es etwa immer wieder, mit Verweis auf seltene Tiere und Pflanzen Projekte zu verzögern. Die Fledermausart Kleine Hufeisennase stoppte in Dresden zeitweise den Bau der Waldschlösschenbrücke über das Elbtal.

Tiere halten Bauprojekte auf

Der Elbvertiefung in Hamburg stand die Umsiedelung der Sumpfpflanze Schierlingswasserfenchel im Weg, für den Bau des Fehmarnbelt-Tunnels unter der Ostsee mussten Molche und Frösche eine neue Heimat finden. Der Bau des Bahnhofs Stuttgart 21 verzögerte sich wegen der Rettung des Juchtenkäfers.

Am Tesla-Standort Grünheide waren es Zauneidechsen, Fledermäuse und Ameisenhügel, die das Projekt kurz zum Stillstand brachten. Anträge der Grünen Liga Brandenburg und des Vereins für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern gegen die vorzeitige Waldrodung auf dem Tesla-Gelände wies das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg jedoch schnell zurück.

Die großen Umwelt- und Naturschutzverbände wie der BUND und der Nabu unterstützen die Ansiedlung – wenn auch nicht ohne Bedenken. Auch ihnen bereitet der Wasserbedarf Unbehagen, vor allem, wenn Tesla seine Pläne, die Gigafactory in den nächsten Jahren zu erweitern, tatsächlich umsetzen sollte.

Doch sie wissen um die wirtschaftliche Bedeutung des Projekts, gerade in Brandenburg, wo in den nächsten Jahren durch den Ausstieg aus der Kohleverstromung jede Menge Arbeitsplätze wegfallen werden. Der US-Autobauer mit seiner Milliardeninvestition kommt da gerade recht. 12.000 Menschen sollen in Grünheide Beschäftigung finden.

Dass Tesla schon jetzt den ursprünglichen Wasserbedarf reduziert hat, macht den Umweltverbänden Hoffnung. „Tesla arbeitet permanent an Verbesserungen“, sagt auch Brandenburgs Umweltminister Vogel. „Dort, wo andere Unternehmen sich schwertun, signalisiert Tesla: Wir wollen keine Probleme schaffen, wir wollen Probleme lösen.“

Die Grünen werten die Ansiedlung als „Glücksfall für den Automobilstandort Deutschland“. Tesla setze die deutschen Hersteller maximal unter Druck, sagte Bundestagsfraktionsvize Oliver Krischer. „Wenn insbesondere BMW und Mercedes nicht stärker reagieren, werden voraussichtlich die besten Fachkräfte aus München und Stuttgart zu dem neuen Konkurrenten wechseln.“

Bewerbungen sind bereits möglich. „Welche außergewöhnliche Arbeit hast Du im Bereich Ingenieurwesen, Bauwesen, Produktion oder Operations geleistet?“ Wer diese Frage zufriedenstellend beantwortet, der könnte schon bald zum Team der ersten europäischen Tesla-Fabrik gehören. „Bewirb Dich jetzt bei der fortschrittlichsten Gigafactory“, heißt es auf der Website des Autobauers.

Auch die FDP ist zufrieden. „Tesla zeigt, wie man in Deutschland trotz aller behördlichen Auflagen große Infrastrukturprojekte schnell realisieren kann und einen Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie findet“, sagte FDP-Verkehrsexperte Christian Jung. Einwände dürften sein, so Jung, aber sollten gleich zu Beginn geklärt werden, „sodass bei endgültiger Baugenehmigung keine weiteren Hürden zu erwarten sind“.

Erste Betonpfeiler auf dem Baugelände der künftigen Tesla-Gigafactory. dpa

Baugelände in Grünheide

Erste Betonpfeiler auf dem Baugelände der künftigen Tesla-Gigafactory.

Im Fall von Tesla kann die Öffentlichkeit noch bis einschließlich 3. September gegen das Projekt Bedenken äußern oder Einwendungen einreichen. Eine öffentliche Anhörung ist für den 23. September geplant.

Branchenexperte Dudenhöffer geht fest davon aus, dass Tesla danach eine endgültige Baugenehmigung erhält. „Ein Scheitern wäre eine Riesenblamage für Deutschland“, sagte er. „Grünheide und ganz Brandenburg würden zum Spott der Welt.“

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