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12.04.2021

17:16

Grüne Investments

Europaabgeordnete sehen Gas und Wasserstoff benachteiligt

Von: Hans-Peter Siebenhaar

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat ein Beschwerdebrief von Europaparlamentariern erreicht. Sie finden, dass der geplante Katalog für nachhaltige Investments zu einseitig ist.

Europa-Parlamentarier von CDU/CSU sehen bei der Diskussion um grüne Investments die Gaskraftwerke benachteiligt. mauritius images

Deutsches Gaskraftwerk

Europa-Parlamentarier von CDU/CSU sehen bei der Diskussion um grüne Investments die Gaskraftwerke benachteiligt.

Brüssel Bis zum Jahr 2050 soll es so weit sein: Dann will die Europäische Union in ihrem Gebiet Klimaneutralität erreicht haben. Damit das möglich wird, definiert die EU-Kommission, wann ein Investment als „grün“ und damit nachhaltig bezeichnet werden darf. Doch die geplante „Taxonomie“-Verordnung dazu, die insbesondere dem Energiemarkt neue Regeln für Nachhaltigkeit in der Form eines „delegierten Rechtsakts“ bescheren soll, stößt nun auf scharfe Kritik der EVP, der größten Fraktion im Europäischen Parlament.

Sie fordert, insbesondere Erdgas als Brückentechnologie weiterzufördern und Wasserstoff im Vergleich zu Solar- und Windenergie über die Taxonomie nicht zu benachteiligen. In einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der dem Handelsblatt vorliegt, werden Abgeordnete der CDU/CSU-Gruppe deutlich.

„Angesichts des dringenden Bedarfs an erheblicher öffentlicher und privater Finanzierung für Wasserstoff-Lösungen setzt der delegierte Rechtsakt ein erschreckend falsches Signal und macht die kohlenstoffarme Wasserstoffproduktion für Investoren und Finanzanweisungen unattraktiv“, schreiben die Abgeordneten.

Gaskraftwerke müssten zumindest für eine Übergangszeit zu einer sicheren und bezahlbaren Stromversorgung beitragen. „Die Emissionsgrenzwerte sollten zumindest für eine Übergangszeit so gestaltet sein, dass Investitionen in hocheffiziente Gaskraftwerke und deren Betrieb als nachhaltig eingestuft werden können“, heißt es in dem Brief, den unter anderem die beiden Vorsitzenden der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, David Caspary (CDU) und Angelika Niebler (CSU), unterzeichnet haben.

„Während die Coronakrise alles überschattet, nutzen Teile der EU-Kommission die Gunst der Stunde, ihre klimapolitische Ideologie durchzusetzen“, sagte der Energieexperte der EVP-Fraktion, Markus Pieper, dem Handelsblatt am Montag in Brüssel. Der CDU-Politiker gehört ebenfalls zu den Unterzeichnern des Briefs an die Kommissionschefin.

EU-Abgeordnete gegen Bevorzugung der Elektromobilität

Die Gruppe der Europapolitiker verlangt bei dem geplanten Kriterienkatalog für nachhaltige Investitionen eine unbedingte Technologieneutralität. Im gleichen Atemzug kritisieren sie die Bevorzugung der Elektromobilität durch die Kommission. „Die einseitige Priorisierung von grünem Wasserstoff droht in einen Energienotstand zu führen. Wir werden um Wasserstoff aus Erdgas und Kernkraft nicht herumkommen. Das muss die geplante Taxonomie berücksichtigen“, fordert Pieper, zugleich parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Gruppe.

„Die Industrie braucht eine Garantie von der EU, dass sich der Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur lohnt.“ In Brüssel drängt insbesondere Frankreich mit seinem überdurchschnittlich hohen Anteil an Atomstrom auf diese Korrektur im „delegierten Rechtsakt“, wie Insider berichten.

Die sogenannte Taxonomie-Verordnung wurde bereits im vergangenen Juli verabschiedet und soll weltweit Maßstäbe setzen. Die Kommission wurde beauftragt, technische Kriterien durch „delegierte Rechtsakte“ vorzulegen, um den Kriterienkatalog für nachhaltige Investitionen weiterzuentwickeln. Sie definiert im geplanten „delegierten Rechtsakt“ zur EU-Taxonomie, welche Investments im Energiesektor künftig die klimapolitischen Voraussetzungen erfüllen.

Die möglichen Auswirkungen auf die Verkehrs-, Auto- und Energiewirtschaft werden in Brüssel sehr kontrovers diskutiert. Die Zeit drängt. Denn bereits am 21. April soll der Entwurf der neuen Regeln offiziell vorgestellt werden. Im Laufe des Junis oder Julis soll der Kriterienkatalog, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit ökologisch ist, dann das EU-Parlament und den Rat passieren, wie Insider berichten. Er könnte dann im Januar 2022 in Kraft treten.

Die technischen Regeln sind wichtig für die Unternehmen. In der Praxis müssten beispielsweise Kredite für nachhaltig wirtschaftende Unternehmen mit weniger Eigenkapital unterlegt werden als Kredite für Unternehmen, die diese Kriterien nicht erfüllen.

Enttäuschung über von der Leyen

Die Abgeordneten sind unterdessen enttäuscht, dass von der Leyen nicht zugunsten der Wirtschaft eingreift. „Ihre Rolle als Präsidentin in dieser Diskussion könnte ein nützliches Korrektiv sein, das gegen die ideologische Agenda einiger Generaldirektoren dringend benötigt wird“, schreiben die vier EU-Unionspolitiker an von der Leyen. Abgeordnete kritisieren hinter vorgehaltener Hand auch, dass Binnenmarktkommissar Thierry Breton und Verkehrskommissarin Adina Valean nicht einschreiten, um die Klimaschützer-Fraktion in der EU-Exekutive in die Schranken zu weisen.

Für die Taxonomie ist Mairead McGuinness als Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und Kapitalmarktunion zuständig. Die Irin sieht in der geplanten Taxonomie eine verlässliche Entscheidungshilfe. „Sie wird entscheidend dazu beitragen, Investitionen in grüne und nachhaltige Projekte zu lenken“, sagte McGuinness.

Bei ihr perlte die Kritik bisher weitgehend ab, wie Insider berichten. McGuinness habe die Regeln bisher nur leicht verändert. So wurden neue Typen von Gaskraftwerken in den Kriterienkatalog aufgenommen, die aber nur für einzelne Förderregionen gelten. Das heißt im Fall Deutschlands das Ruhrgebiet und die neuen Bundesländer.

Die Abgeordneten befürchten zudem, dass künftig selbst die modernsten Gaskraftwerke nach den bisherigen Vorgaben nicht die Erwartungen der Kommission erfüllen. Der Entwurf sieht vor, dass Gaskraftwerke nicht mehr als hundert Gramm Kohlendioxid pro Kilowattstunde emittieren dürfen, um als nachhaltiges Investment zu gelten.

Die modernste, im vergangenen Jahr in Betrieb genommene Kraft-Wärme-Kopplungsanlage Europas in Berlin erreiche aber nur rund 220 Gramm Kohlendioxid. „Die geplanten Grenzwerte sollten daher auf ein realistisches Niveau erhöht werden“, fordern die Europaabgeordneten in ihrem Schreiben von der Kommissionspräsidentin.

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