Während die Welt aus den Fugen gerät, diskutiert die CDU über ihre Werte und über Grundsätzliches. Den Spagat versucht sie gleich mit einem schwierigen Thema: der Energiekrise.
CDU-Chef Friedrich Merz
Quo vadis CDU? Die Partei diskutiert am Montag ganz grundsätzliche Fragen ihres künftigen Kurses.
Bild: IMAGO/Future Image
Berlin Morgens um acht macht sich die CDU an die Arbeit, um Geschichte zu schreiben. Die erste von zehn Fachkommissionen trifft sich an diesem Montagmorgen, zwölf Mitglieder an der Zahl, die hybrid - vor Ort und digital - über die zurzeit alles entscheidende Frage diskutieren: die Versorgungssicherheit.
In zwei Jahren, so der Plan, sollen die Ergebnisse Teil des Grundsatzprogramms werden. „Es gilt, Positionen und Ziele für die Themen Energie mit Schwerpunkt der Energieversorgungssicherheit, die Land- und Ernährungswirtschaft, die analoge und digitale sowie verkehrliche Infrastruktur und die Mobilität der Zukunft sowohl in Ballungszentren als auch im ländlichen Raum, die soziale Frage des Bauens und Wohnens sowie allgemeine Daseinsvorsorge für die Menschen in Deutschland für die kommenden Jahre zu erarbeiten“, kündigt der Vorsitzende Bernd Althusmann, Wirtschaftsminister in Niedersachsen, an. Dies alles sei eine „zentrale Aufgabe für die Programmatik“ der Partei, wie Althusmann dem Handelsblatt sagte.
Doch könnten die Themen angesichts des Ukrainekrieges aktueller kaum sein, wohl auch deshalb startet die Fachgruppe schon in der Osterzeit, während die anderen erst Ende des Monats ihre Arbeit aufnehmen werden. Die einen beraten über Wohlstand, die anderen über Sicherheit und Internationales oder humane Digitalisierung, den modernen Staat und den Zusammenhalt wie auch die Zukunft der Sozialsysteme.
Der Althusmann-Runde bleiben nicht einmal zwei Jahre. Anfang Mai, so der Plan, wollen CDU und CSU bereits ein energiepolitisches Papier beschließen. Es sei „bereits in der Abstimmung“ und werde „noch der aktuellen Lage angepasst“, bestätigte Althusmann.
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Seine Stellvertreterin Gitta Connemann hat als Chefin der Mittelstandsunion, einer von vielen Vereinigungen der Partei, bereits ein „Krisensonderplanungsrecht“ vorgeschlagen. „Wir brauchen das Instrumentarium, um so schnell wie möglich mehr Versorgungssicherheit herzustellen“, erklärte Connemann. Deutschland soll schnell unabhängig von russischem Öl und Gas werden und deshalb schnell Flüssiggasterminals in Häfen bauen, aber auch Windräder, Stromnetze und Verkehrswege.
Die CDU will sich neu erfinden, während die alte Welt aus den Fugen gerät: Krieg, Klimakrise, Digitalisierung sind nur einige Stichwörter. Auch eine Oppositionspartei muss da Haltung zeigen, möglichst schnell und nicht erst in zwei Jahren.
„Es gehe „um die strategische Neubewertung der Energieversorgung unter veränderten Rahmenbedingungen“, sagte Althusmann. „Manche Gewissheit muss überdacht werden.“ Er beschreibt den Spagat: „Diese Weichenstellungen für die kommenden zehn bis 15 Jahre wollen wir heute formulieren und stetig weiterentwickeln.“
Grundsatzprogramme hat sich die Partei schon einige gegeben, auch wenn sie nicht immer so hießen. Das wichtigste dürfte das von 1978 gewesen sein. Nach langen Regierungsjahren hatte die Partei nach eigenem Bekunden „die geistige Führung“ im Land verloren, saß seit neun Jahren in der Opposition und musste sich wie dieser Tage neu erfinden, um wieder führen zu können.
Zuletzt hat sich die Partei bereits während der Regierungszeit von Angela Merkel auf den Weg zu einer neuen Programmatik gemacht. Mehr als eine „Zuhörtour“ durch die Kreisverbände gelang Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht. Zu den geborenen Ideen gehörte damals eine allgemeine Dienstpflicht, nachdem die Union die Wehrpflicht abgeschafft hatte. Es gab bei den Mitgliedern die Sehnsucht nach etwas Verbindendem und Verantwortlichem zwischen Staat und Bürger.
Die Idee ist nicht vom Tisch: So haben der neue Landeschef und Fraktionsvorsitzende der CDU in Rheinland-Pfalz, Christian Baldauf, gemeinsam mit dem Fraktionschef der baden-württembergischen Landes-CDU, Manuel Hagel, ein Papier verfasst.
Es liegt dem Handelsblatt vor. Darin heißt es: „Die freiheitlichen Demokratien des Westens werden in der aufziehenden Systemkonkurrenz zu den autoritären Systemen dieser Welt nur dann bestehen, wenn sie nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in ihrer Sicherheitsarchitektur stark und zugleich gesellschaftlich resilient sind. Wenn sie zur Verteidigung der eigenen Interessen nicht nur willens, sondern auch im Stande sind.“
Dafür sei nicht nur Geld für die Bundeswehr nötig. Sie fordern eine „gesellschaftliche Debatte mit allen Beteiligten, wie eine solche Dienstpflicht konkret aussehen kann“. Sie soll „bei der Bundeswehr, bei Blaulichtorganisationen oder im sozialen Bereich“ möglich sein. Es wäre so etwas wie eine freiwillige Wehrpflicht.
Das Papier wird eine der Fachkommissionen diskutieren. Über die Arbeit haben vor zwei Wochen erstmals der Vorsitzende der Programmkommission, Parteivize Carsten Linnemann, und dessen Stellvertreterduo, Serap Güler und Mario Voigt, gemeinsam mit den Leitern der Fachkommissionen beraten. Die Runde sprach auch über „Alleinstellungsmerkmale der CDU“ und über eine „Erzählung“, mit der die CDU wieder das Wahlvolk begeistern könnte.
Vom „Aufstiegsland“ war die Rede und vom „Chancenland“, wie es hinterher hieß. Die Union soll wieder „einzigartig“ sein, mit eigenen Forderungen. Nach zwei Stunden stand fest: Es wird keine Vorgaben geben, keine Denkverbote, auch dürfen die Fachkommissionen unabhängig externe Experten benennen.
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Und so wird etwa der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als Vorsitzender der Kommission „Wohlstand“ externe Sachverständige auswählen, bevor sich die Runde dann am 28. April erstmals treffen wird. Der Europapolitiker Daniel Caspary hingegen denkt als Leiter der Kommission „Sicherheit“ nicht „an eine starre Mitgliedschaft“. Ihm schwebt „ein loser, flexibler, größerer Berater- und Impulsgeberkreis“ vor.
Natürlich hat auch Parteichef Friedrich Merz seine Ideen – nachzulesen in einem Buch, das er vergangenes Jahr veröffentlicht hat. Er spricht bereits von der „neuen sozialen Frage“ in Anlehnung an das Grundsatzprogramm von 1978. Damals warf Generalsekretär Heiner Geißler, der gemeinsam mit Parteichef Helmut Kohl die CDU zur Mitglieder- und Programmpartei formte, die Frage angesichts hoher Arbeitslosigkeit auf.
An all das scheint Merz anknüpfen zu wollen. So ist er trotz Mitgliederschwund in Vereinen und Parteien überzeugt, „dass Parteien Mitglieder brauchen“. Die CDU solle wieder ein „repräsentativer Querschnitt der Gesellschaft“ sein und „die ganze Breite des beruflichen Spektrums“ abbilden, als Volkspartei integrieren, Konflikte lösen, „dass daraus eine Mehrheitsmeinung unserer Partei wird, die wir dann erst in die Auseinandersetzung des politischen Wettbewerbs stellen“. Dies sei „die eigentlich strategische Aufgabe des U in unserem Parteinamen“, sagte er. „Das Prinzip Volkspartei ist nicht tot.“
Auch das C im Namen will Merz betonen, Krise der katholischen Kirche hin oder her. Er möchte „keinen Zweifel daran lassen, dass wir auch in Zukunft Christlich Demokratische Union heißen werden. Das sind lange kulturelle Linien, die wir aus der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft ziehen wollen.“
Die Grundwerte der Partei wird eine eigene Kommission vorlegen – und zwar schon im Frühsommer. Drei bis fünf Seiten sollen es werden und auf dem Parteitag im September in Hannover zur Abstimmung stehen. Es soll schnell gehen, auch wenn es um langfristig Dauerhaftes geht.
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