SPD, Grüne und FDP wollen Hartz IV durch ein Bürgergeld ersetzen. Im Vorgriff darauf kippt der Arbeitsminister schon mal den Grundsatz, dass Fördern mit Fordern einhergehen soll.
Arbeitsminister Hubertus Heil
Der SPD-Politiker will, dass Grundsicherungsempfänger bis Jahresende keine Sanktionen mehr fürchten müssen.
Bild: dpa
Berlin Grundsicherungsempfängern sollen bis Ende dieses Jahres keine Leistungen gekürzt werden, auch wenn sie Termine versäumen oder gegen Vereinbarungen mit dem Jobcenter verstoßen. So sieht es ein von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geplantes Gesetz für ein Sanktionsmoratorium vor. Der Referentenentwurf liegt dem Handelsblatt vor.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im November 2019 die damals geltende Sanktionspraxis in der Grundsicherung – umgangssprachlich Hartz IV – verworfen. Zwar dürfe der Staat Mitwirkungspflichten der Empfänger auch mithilfe von Leistungskürzungen durchsetzen, entschieden die Karlsruher Richter. Doch die Möglichkeit der kompletten Streichung, bis hin zum Entzug der Zahlungen für Miete und Heizung, sei nicht mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vereinbar.
Die Bundesregierung hatte daraufhin angeordnet, dass gegen Hartz-IV-Empfänger nur noch „milde“ Sanktionen verhängt werden dürfen – bis zu einer Leistungskürzung von maximal 30 Prozent. SPD, Grüne und FDP wollen die Mitwirkungspflichten im Rahmen des von ihnen geplanten neuen Bürgergelds bis spätestens Ende 2022 neu regeln, so haben sie es im Koalitionsvertrag vereinbart. „Bis zur gesetzlichen Neuregelung schaffen wir ein einjähriges Moratorium für die bisherigen Sanktionen unter das Existenzminimum“, heißt es darin.
Wenn Heil nun die Sanktionen ganz aussetzen will, geht er damit über den Koalitionsvertrag hinaus. Der Grundsatz des Förderns und Forderns in der staatlichen Grundsicherung würde dann bis Jahresende nicht mehr gelten. Allerdings halten sich die Jobcenter als Reaktion auf das Verfassungsgerichtsurteil ohnehin mit Leistungskürzungen stark zurück. Hatten sie im Zeitraum 2010 bis 2019 im Jahresschnitt noch mehr als 900.000 Sanktionen neu verhängt, so waren es in den zurückliegenden zwei Jahren jeweils weniger als 180.000.
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Der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, wollte sich zu den Plänen noch nicht äußern. Der Referentenentwurf befinde sich noch in der regierungsinternen Abstimmung, deshalb sei es zu früh, Stellung zu beziehen, teilte er auf Anfrage mit.
Neben der Streichung der Sanktionen will die Bundesregierung auch den vereinfachten Zugang zur Grundsicherung, der im Zuge der Coronapandemie eingeführt wurde, über Ende März hinaus bis zum Jahresende verlängern. Einen entsprechenden Verordnungsentwurf aus Heils Ministerium hatte das Bundeskabinett am 23. Februar verabschiedet.
Wer Grundsicherung beantragt, muss also auch weiterhin mindestens sechs Monate lang sein Vermögen nicht offenlegen. Auch wird nicht überprüft, ob der Wohnraum als angemessen gilt. Die Verlängerung begründet Heil in seinem Verordnungsentwurf ebenfalls mit dem geplanten Bürgergeld, das voraussichtlich zum 1. Januar 2023 eingeführt werden solle.
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Denn in den ersten zwei Jahren des Bürgergeldbezugs soll laut Koalitionsvertrag das Vermögen des Leistungsempfängers nicht angerechnet und die Angemessenheit der Wohnung nicht überprüft werden. „Auch im Hinblick darauf ist es angezeigt, die Regelungen für das vereinfachte Verfahren bis zum 31. Dezember 2022 zu verlängern, um insoweit einen nahtlosen Anschluss zu ermöglichen“, schreiben Heils Beamte.
Die Regelung ist allerdings nicht unumstritten: Während die Anzahl der Hartz-IV-Empfänger neue historische Tiefstände erreiche, „verlängert die Bundesregierung ohne tragfähige Begründung den erleichterten Zugang zur Grundsicherung bis zum Jahresende“ schrieb Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) auf Twitter. „Ursprünglich sollte die Regelung Folgen der Coronakrise abfedern.“
Zwar verweist Heil in seinem Anfang Februar vorgelegten Verordnungsentwurf auch auf ein sich beschleunigendes Infektionsgeschehen und eine weiter zu niedrige Impfquote. Auffällig ist aber die ausdrückliche Bezugnahme auf das geplante Bürgergeld. Wie Schäfer richtig anmerkt, ist die Zahl der erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfänger von mehr als fünf Millionen im Jahr 2007 auf rund 3,6 Millionen im Januar dieses Jahres gesunken. Auch in den Coronajahren 2020 und 2021 wurde der Abwärtstrend nicht gebrochen.
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