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10.06.2021

10:53

Handelsblatt GovTech-Gipfel

Grünen-Chef Habeck: „Deutschland ist stark unterdigitalisiert“

Von: Silke Kersting

PremiumDer Grünen-Chef spricht beim GovTech-Gipfel des Handelsblatts über Wege zu einem digitalen Staat. Zu einem eigenständigen Digitalministerium äußert er sich skeptisch.

Der Grünen-Parteichef findet: Digitalisierung müsse Chefsache werden. dpa

Robert Habeck

Der Grünen-Parteichef findet: Digitalisierung müsse Chefsache werden.

Berlin Der Bundesvorsitzende der Grünen, Robert Habeck, hat mehr Geschwindigkeit bei der Digitalisierung der Verwaltung angemahnt. „Wir sind in Deutschland stark unterdigitalisiert“, sagte Habeck auf dem ersten GovTech-Gipfel des Handelsblatts an diesem Donnerstag.

Habeck beschrieb den Status quo als miserabel, allerorten herrsche Rückstand: Deutschland sei zunächst nicht in der Lage gewesen, Impftermine digital zu vergeben, Menschen müssten immer noch mit Papier-Tickets im öffentlichen Personennahverkehr vorliebnehmen, Bauanträge seien häufig immer noch Akten, die Verwaltung selbst sei nicht digitalisiert, fasste Habeck zusammen.

Er versprach Besserung, sollten die Grünen an die Regierung kommen. „Dass die Kernbereiche des Staats und die Kommunikation mit den Menschen digital laufen, das muss in einer Legislaturperiode geschafft sein“, sagte Habeck auf Nachfrage von Handelsblatt-Chefredakteur Sebastian Matthes.

Habeck: Digitalisierung muss „Chefsache“ werden

Zu einem möglichen eigenständigen Digitalministerium auf Bundesebene äußerte er sich skeptisch. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie lange es dauern kann, ein Ministerium neu zu bauen“, sagte Habeck, der vor seinem Wechsel an die Grünen-Spitze in Schleswig-Holstein als Landesminister für Digitalisierung zuständig war. Wenn man die verschiedenen Zuständigkeiten in der Bundesregierung „zusammenflanscht, kann es sein, dass man zwei oder drei Jahre erst mal verliert“. So viel Zeit habe man aber nicht.

Habeck plädierte stattdessen dafür, einem Minister, etwa dem künftigen Innen- oder Wirtschaftsminister, bei dem Thema die „Federführung und damit auch die Zugriffsmöglichkeiten auf andere Häuser“ zu geben. „Das scheint mir der schnellste und effizienteste Weg“, sagte der Grünen-Politiker. „Wenn das nicht geht, weil alle Koalitionspartner sagen: ‚Wie kommen wir denn dazu, dass ein grüner Staatssekretär in ein schwarzes Haus reinfunkt?‘, dann muss man ein Ministerium bauen“, fügte Habeck hinzu.

Auf jeden Fall „muss es Chefsache sein“, forderte er. Die jetzige Bundesregierung gehe das Thema zu zersplittert an: „Es gibt fünf Minister, die sich darum kümmern, sich aber in Wahrheit nicht kümmern – weil nichts passiert.“ Auf die Frage, ob er in einer neuen Bundesregierung persönlich für diese Aufgabe zur Verfügung stünde, sagte er: „Man muss doch mal eine Debatte führen können, ohne sich gleich um einen Job zu bewerben. Die Frage, wer was macht, führen wir ab 26. September.“

Das Thema sei den Grünen sehr wichtig, sagte Habeck weiter. Es brauche einen Staat, in dem die „Dinge mal klappen“ und man nicht das fünfte Mal nachweisen müsse, dass man Kinder habe. Es werde zu wenig „in unser Land“ investiert, kritisierte er. Das merke man am schlechten Internet, aber eben auch an der Ausstattung der öffentlichen Verwaltung. Im Konjunkturpaket seien drei Milliarden Euro für die Digitalisierung der Verwaltung bereitgestellt worden, doch die Bürokratie für die Freigabe der Mittel sei überbordend. Sein Fazit: „Die Verwaltung blockiert den Geldfluss in die Digitalisierung der Verwaltung.“

Investierte Gelder seien gut angelegt

Die Frage der Kosten dürfe nicht ausschlaggebend sein, so Habeck. „Wir verlieren ja auch Zeit und Geld, wenn wir nicht digitalisieren.“ Das Geld sei gut angelegt, sagte Habeck und erklärte, es müsse alles Notwendige getan werden, um die Digitalisierung in Deutschland auf die Höhe der Zeit zu bringen. „Whatever it takes“, sagte Habeck. Damit nahm er eine Anleihe beim früheren EZB-Chef Mario Draghi, der 2012 erklärt hatte, die Europäische Zentralbank sei bereit, alles Notwendige zu tun, um den Euro zu erhalten.

Zu der Frage, ob eine Föderalismusreform notwendig sei, um bei der Digitalisierung voranzukommen, erklärte Habeck, man müsse „darüber reden, ob man die Aufgaben neu ordnet“. Er finde es „wichtig, diese Debatte zu führen. Aber nichts zu tun, bis eine Föderalismusreform stattgefunden hat, wäre eine Konservierung des Stillstands.“

Der derzeitige Zustand sei auch geopolitisch, sicherheitspolitisch und ökonomisch kein guter. „Es gibt kein starkes europäisches Betriebssystem“, erklärte er. Man nutze Lizenzen und Geräte aus den USA oder China. Europa befinde sich in einer Konkurrenzsituation zwischen einem „digitalen Kapitalismus auf der westlichen Seite des Atlantiks“ und einem „digitalen Staatskapitalismus östlich von uns“. Europa habe die Aufgabe, „ein eigenes Betriebssystem“ zu finden, wie Habeck es nannte: „Nämlich die Digitalisierung für die Menschen nutzbar zu machen.“

Eine Debatte über die allgemeine Erhöhung des Renteneintrittsalters lehnt Habeck zum jetzigen Zeitpunkt ab. „Es ist kein Tabu für mich, darüber zu reden, aber im Wahlkampf rate ich davon ab“, sagte Habeck beim GovTech-Gipfel.

Das Thema sei nicht geeignet „für eine polemische Debatte“, sagte der Grünen-Chef weiter. Die alleinige Frage nach einer längeren Lebensarbeitszeit verstelle in einem extrem komplexen Bereich den Blick auf mögliche Lösungen. „Die Erhöhung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre wird beibehalten, und mehr muss erst mal dazu nicht gesagt werden.“

Die Koalition „vergackeiert die Menschen“

Im Zusammenhang mit der Benzinpreisdebatte warf Habeck Union und SPD vor, „die Grenze von politischer Lauterkeit weit überschritten“ zu haben. Die Koalition selbst habe über den CO2-Preis eine Erhöhung des Benzinpreises beschlossen. Was die Grünen nun vorschlügen, sei im Wesentlichen ein Vorziehen dieses Beschlusses.

„Wenn nun meine Kollegin Annalena Baerbock gefragt wird, was das kostet, und sie ausrechnet, was die Große Koalition beschlossen hat, und Politiker der Koalition sagen: ‚Mit uns nicht‘, dann vergackeiern sie die Menschen“, sagte Habeck. „Auf dieser Basis sollten wir keinen Wahlkampf führen.“

Habeck verteidigte den CO2-Preis als ein Instrument in der Klimaschutzpolitik. Man könne aber nicht alles über den Preis regeln. Ansonsten schaffe man sozialen Unfrieden. Wenn man nur über den Preis versuche, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, dann werde er Ende des Jahrzehnts bei 180 Euro liegen, und nur noch FDP-Chef Christian „Lindner und seine Großspender“ könnten es sich leisten, Auto zu fahren.

Anträge auf dem Parteitag, die über den Preis hinausgingen, den der Grünen-Bundesvorstand vorschlage, wolle man nicht übernehmen, kündigte Habeck an. „Das heißt, da wird es Kampfabstimmungen geben.“

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