Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble will die Anonymität auf Online-Plattformen aufbrechen. Die SPD ist dagegen, seine eigene Partei auch.
Wolfgang Schäuble
Der Bundestagspräsident fordert eine Ende der Anonymität in sozialen Netzwerken.
Bild: dpa
Berlin Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) fordert, dass Nutzer sich nur namentlich kenntlich auf den sozialen Plattformen bewegen dürfen. „Ich bin für eine Klarnamenpflicht in den sozialen Netzwerken und unterstütze alle Vorschläge der Bundesjustizministerin, um Regeln und Transparenz auch in der digitalen Welt durchzusetzen“, sagte Schäuble der „Bild am Sonntag“:
Aus Sicht Schäubles müssen die Regeln und Werte der analogen Welt auch in der digitalen Welt gelten. „Dazu passt Anonymität nicht“, sagte er. „In ihrem Schutz machen Menschen Dinge, die sie nicht machen würden, wenn sie wüssten, dass sie jemand dabei sieht. Dann würden sie sich nämlich schämen. Anonymität ist immer die Versuchung zur Hemmungslosigkeit.“
Mit seiner Forderung stellt sich Schäuble auch gegen die Fachpolitiker seiner Partei. Er teile zwar den Wunsch, Hass und Hetze im Netz konsequent zu bekämpfen. „Ich glaube aber nicht, dass eine Klarnamenpflicht hierzu der Schlüssel ist“, sagte der digitalpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Tankred Schipanski (CDU), dem Handelsblatt. Anonymität werde im Netz zwar häufig missbraucht, sie stelle in vielen Fällen aber auch einen wichtigen Schutz dar. „Deshalb sollten User weiterhin unter Pseudonym im Netz kommunizieren können.“
Verbesserungsbedarf sieht Schipanski hingegen in der Strafverfolgung von Hasskriminalität. Bestehe ein Anfangsverdacht, sollen die sozialen Netzwerke künftig verpflichtet sein, die Daten an die Strafverfolgungsbehörden zu geben, die zur Ermittlung des Täters nötig seien.
Ende vergangenen Jahres hatte die Unions-Bundestagsfraktion in einem Positionspapier zur Weiterentwicklung des sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) eine Klarnamenpflicht bereits ausdrücklich ausgeschlossen. Das NetzDG solle künftig vielmehr gewährleisten, „dass User einerseits weiterhin unter Pseudonym im Netz kommunizieren können, andererseits die rechtsstaatliche Verfolgung strafrechtlich relevanter Inhalte durch die zuständigen Ermittlungsbehörden und durch die Gerichte unterstützt wird“.
Der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jens Zimmermann, wies Schäubles Vorstoß ebenfalls zurück. Die Forderung halte er für eine „Nebelkerze“, sagte Zimmermann dem Handelsblatt. Die Anonymität im Internet werde zwar immer wieder für Hass und Hetze missbraucht. „Allerdings schützt sie auch genau vor solchen Anfeindungen.“
Hinzu komme, dass in vielen Fällen „nicht die Identifizierung von entsprechenden Nutzerinnen und Nutzern das Problem darstellt, sondern die konsequente Strafverfolgung und Anklage“, sagte Zimmermann weiter. Die Fälle rund um den Journalisten Richard Gutjahr und die Grünen-Politikerin Renate Künast hätten genau dies gezeigt. Wichtig sei daher eine „deutlich bessere“ Ausstattung der Polizei und entsprechende Schwerpunktstaatsanwaltschaften.
Die Grünen-Netzpolitikerin Tabea Rößner nannte eine Klarnamenpflicht „absoluten Irrsinn“. „Da ohnehin bereits viele Menschen völlig unverfroren von ihren Profilen mit eindeutiger Namensnennung hetzen, steht zu befürchten, dass eine Klarnamenspflicht am Ende wohl eher denjenigen Betroffenen schadet, die dadurch vor Hetze geschützt werden sollen“, sagte die Abgeordnete dem Handelsblatt. Im Übrigen verlangten viele Plattformen bereits von ihren Usern die Benutzung ihres bürgerlichen Namens. „Was eine gesetzliche Verpflichtung darüber hinaus bewirken soll, bleibt schleierhaft“, sagte Rößner.
Der Hauptgeschäftsführer des IT-Verbands Bitkom, Bernhard Rohleder, fürchtet im Fall einer Klarnamenpflicht Nachteile für bestimmte User. Wer Rechtsverstöße im Internet oder mit Hilfe des Internets begehe, müsse zwar „rechtsstaatlich effektiv zur Verantwortung gezogen“ werden können. „Aber eine Vielzahl von Online-Angeboten setzt voraus, dass die Menschen anonym kommunizieren können, wie etwa Selbsthilfegruppen bei gesundheitlichen Problemen oder Arbeitgeberbewertungsportale“, sagte Rohleder dem Handelsblatt. „Eine generelle Pflicht nach Klarnamen, würde solche Angebote faktisch zerstören.“
Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht kann einer Klarnamenpflicht im Netz nicht viel abgewinnen. Vor allem weil man gar nicht wisse, „ob der Name, der da genannt wird, echt ist“, sagte die SPD-Politikerin im September vergangenen Jahres dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Ich kann mich auch Heinz Müller nennen und heiße gar nicht Heinz Müller. Es kann auch mehrere Heinz Müllers geben. Da hilft der Klarname also nicht weiter.“
Nach Lambrechts Vorstellung soll vielmehr ermittelt werden können, wer da eigentlich im Netz unterwegs sei: „Und dabei spielt eine wichtige Rolle, dass man die IP-Adresse feststellen kann“, sagte sie.
In einem Mitte Dezember bekannt gewordenen Gesetzentwurf aus dem Justizministerium sind verschiedene neue Maßnahmen im Kampf gegen Hasskriminalität im Internet enthalten. Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter werden unter anderem dazu verpflichtet, Hetze und Drohungen den Behörden zu melden. Um die Täter bei Bedarf zu identifizieren, sollen die Ermittler auch die Herausgabe der verschlüsselt gespeicherten Passwörter verlangen können.
Oppositionspolitiker und Verbände hatten die Pläne als unverhältnismäßige Eingriffe in die Privatsphäre kritisiert. Das Ministerium argumentiert hingegen, es gehe nicht um eine Erweiterung von Befugnissen, sondern nur um eine Präzisierung – zumal künftig ein Richter die Herausgabe anordnen müsse.
Lambrecht kritisierte generell eine „Enthemmung und Entfesselung des Hasses im Netz“. „Mir haben Kommunalpolitiker berichtet, dass sie die Anfeindungen nicht mehr ertragen können“, sagte sie kürzlich im Interview mit dem Handelsblatt. „Viele sind nicht mehr bereit, ihr Amt auszuüben, weil sie Tag für Tag wegen sachlicher Entscheidungen mit furchtbaren Mails und Bedrohungen konfrontiert werden.“ Es gehe auch um Leute, die sich ehrenamtlich engagierten. „Hier hat sich ein schrecklicher Debattenton entwickelt.“
Natürlich müsse auch in der Politik gestritten werden, sagte Lambrecht weiter. Das gehöre zu den Aufgaben in einer Demokratie, auch wenn es anstrengend sei. „Aber mit dem Hass muss Schluss sein“, betonte die Ministerin. „An die Wand stellen, an den nächsten Baum knüpfen, vergasen, Massenvergewaltigung wünschen – das hat nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun.“ Der Rechtsstaat müsse daher „klar aufzeigen, wo die Grenzen sind, wo Strafrecht beginnt“.
Schäuble hingegen sieht Bedrohungen gegenüber Bundestagsabgeordneten eher gelassen. „Wer Politiker wird, weiß, dass er sich in Gefahr begibt. Aber Hysterie ist fehl am Platz“, sagte er. „Feuerwehrmann in Australien ist zurzeit der viel gefährlichere Job als Abgeordneter in Berlin. Im Übrigen haben nicht nur Politiker, sondern alle Bürger Anspruch auf den Schutz des Staates.“
Schäuble selbst wurde 1990 bei einem Attentat durch einen psychisch kranken Mann bei einer Wahlkampfveranstaltung schwer verletzt und sitzt seither im Rollstuhl.
Mehr: Bundesjustizministerin Lambrecht hat Morddrohungen wegen eines Gesetzentwurfs erhalten. Lesen Sie hier, wie andere Politiker darauf reagieren.
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