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14.03.2022

21:49

Hohe Energiepreise

Steuersenkung, Tankrabatt und Energiegeld: Diese Entlastungen diskutiert die Ampel

Von: Jan Hildebrand, Dietmar Neuerer, Julian Olk, Silke Kersting, Martin Greive

SPD, Grüne und FDP wollen Bürger und Unternehmen mit Milliarden von den steigenden Energiekosten entlasten. Was genau die Bundesregierung diskutiert – und wie die Chancen stehen.

Der Ukrainekrieg hat die Spritpreise erstmals über die Schwelle von zwei Euro steigen lassen. dpa

Tankstelle

Der Ukrainekrieg hat die Spritpreise erstmals über die Schwelle von zwei Euro steigen lassen.

Berlin Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zeichnete ein eher chaotisches Bild. „Es sind ja lauter Vorschläge auf dem Markt“, sagte der Vizekanzler, als er nach möglichen Entlastungen für Bürger und Unternehmen angesichts der hohen Energiepreise gefragt wurde. „Alle erzählen jetzt ein bisschen, was ihnen sinnvoll erscheint.“

Mit diesen Sätzen versuchte Habeck, einen Vorstoß von Finanzminister Christian Linder (FDP) auszubremsen, der sich für einen Tankrabatt ausgesprochen hatte. Man müsse sich nun zusammensetzen und alle diskutierten Maßnahmen systematisch durchgehen, sagte der Wirtschaftsminister. Bisher herrscht in der Ampelkoalition noch große Uneinigkeit, wie genau Bürger und Wirtschaft entlastet werden sollen. Klar ist nur: Es muss schnell etwas passieren. Möglichst Mittwoch soll eine Einigung stehen.

Am Ende soll ein großes Entlastungspaket geschnürt werden. Erst vor wenigen Wochen hatte sich die Ampel auf Entlastungen von fast 16 Milliarden Euro verständigt, darunter die vollständige Abschaffung der EEG-Umlage auf den Strompreis. Doch angesichts der gestiegenen Energiepreise reicht das nicht mehr aus. Deshalb werden nun weitere Maßnahmen in der Ampelkoalition diskutiert. Ein Überblick:

Tankrabatt

Lindner schlägt einen Tankrabatt vor. An den Zapfsäulen würden weiterhin die bisherigen Preise stehen. Der Kunde bekommt den Rabatt an der Kasse. Die Tankstellenpächter beziehungsweise die Mineralölgesellschaften sollen sich ihn später von Finanzämtern erstatten lassen.

Im Gegensatz zu einer Senkung der Mehrwertsteuer auf Benzin und Diesel sei dies schneller umzusetzen und es seien stärkere Rabatte möglich, sagte Lindner. Eine Gesetzesänderung würde Wochen dauern. Und einer Senkung der Mehrwertsteuer sind durch EU-Recht Grenzen gesetzt.

Am Abend präzisierte er seinen Vorschlag in einem Interview. So könnte beispielsweise ein staatlicher Zuschuss von 40 Cent pro Liter für drei Monate befristet ausgezahlt werden, was den Staat rund 6,6 Milliarden Euro kosten würde, sagte der FDP-Chef der „Rheinischen Post“ laut Vorab-Bericht. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hatte zuvor errechnet, dass bei einem Rabatt von pauschal 20 Cent die Kosten für den Staat im Jahr 2022 bei rund zwölf Milliarden Euro liegen dürften. „Sollte es eine Deckelung des Tankrabatts zum Beispiel bei zwei Euro geben, würde sich bei einem Spritpreis von 2,10 Euro die Haushaltsbelastung halbieren“, sagte IW-Forscher Tobias Hentze.

Lindner sagte am Abend, die konkrete Ausgestaltung sei in der Regierung aber noch offen. „Wenn es nach mir geht, landen wir mit dem Tankrabatt bei unter zwei Euro je Liter Diesel und Benzin.“

Der persönliche Chefberater von Lindner, Lars Feld, verteidigt dessen Vorstoß überraschend. „Wenn Nichtstun keine Option ist, bleiben nur ordnungspolitisch unschöne Lösungen“, sagte Feld.

Die Unterstützung kommt insofern unvorhergesehen, dass Feld der ordoliberalen Schule zugeordnet wird und Eingriffe in Preismechanismen ansonsten kategorisch abgelehnt. Anders als eine Senkung der Mehrwert- oder Energiesteuer könne ein Tank-Rabatt schnell eingeführt und schnell auch wieder gestoppt.

Den Staat würde der Rabatt bei zehn Cent je Liter rund 550 Millionen Euro monatlich kosten. Da die FDP den Benzinpreis unter zwei Euro halten will, müsste der Rabatt aber höher ausfallen und länger eingeführt werden. Entsprechend teuer würde die Maßnahme.

Tankstellenbesitzer befürchten durch den Rabatt viel bürokratischen Aufwand. Auch Ökonomen kritisierten die Maßnahme. „Die Mineralölkonzerne könnten den Rabatt teilweise auf den Preis aufschlagen, wodurch Verbraucher weniger Ersparnis hätten“, sagt der Wirtschaftsweise Achim Truger. Andere Ökonomen bezeichneten die Maßnahme als wenig zielgenau und damit zu teuer. Zudem senkt sie den Anreiz zum Spritsparen.

Das sehen die Grünen ähnlich. Entlastungen sollten „nachhaltig, sozial und effizient sein“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge. „Ich sehe nicht, wie ein Tankrabatt diesen Zielen gerecht werden soll.“ Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner (Grüne) sagte: „Wir müssen gezielt bis weit in die Mitte entlasten, aber nicht blind mit der Gießkanne. Ordnungspolitisch würde sich Ludwig Erhard im Grabe umdrehen.“

Aus der SPD kamen unterschiedliche Signale. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert äußerte sich skeptisch: „Es darf kein Konjunkturprogramm für Mineralölkonzerne geben, bei dem nichts beim Verbraucher ankommt.“ Andere Sozialdemokraten zeigten sich offener: Als Teil eines Gesamtpakets halten sie den Rabatt für denkbar.

Das Finanzministerium sieht sich infolge von Krisen mit höheren Kosten konfrontiert, ab 2023 soll aber die Schuldenbremse eingehalten werden. IMAGO/photothek

Christian Lindner

Das Finanzministerium sieht sich infolge von Krisen mit höheren Kosten konfrontiert, ab 2023 soll aber die Schuldenbremse eingehalten werden.

Steuersenkungen

Diskutiert wird über Steuersenkungen auf Diesel und Benzin, aber auch auf Strom oder Gas. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil hat eine befristete Senkung der Mehrwertsteuer ins Spiel gebracht. Hier besteht Einigkeit mit CSU-Chef Markus Söder, der eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Benzin von 19 auf sieben Prozent gefordert hatte. Der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger bezeichnete eine Mehrwertsteuersenkung als „die beste Reaktion“.

Das Absenken der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent bei Energieprodukten könnte nach Berechnungen von Ökonomen eine Entlastung von insgesamt 20 Milliarden pro Jahr bringen. Auch hat solch eine Steuersenkung den Vorteil, sich sofort im Portemonnaie der Bürger auszuwirken. Und es gibt noch einen Nebeneffekt: Die hohe Inflation könnte so etwas gedämpft werden, wenn wegen der Steuersenkung die Preise sinken.

Doch es gibt auch ein Problem: Niemand weiß, wie viel von der Ersparnis wirklich bei Verbrauchern ankommt. So könnten Lieferanten die Steuersenkungen nicht voll an die Verbraucher weiterreichen, um selbst einen besseren Schnitt zu machen. Ökonomen halten dieses Problem für lösbar, indem die Bundesnetzagentur die Lieferanten zwingt, die Entlastung weiterzugeben.

Allerdings konterkarieren Steuersenkungen auf fossile Energieträger die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung in Sachen Klimaschutz. Denn höhere Preise an den Zapfsäulen sind politisch eigentlich gewollt. So wurde zu Beginn des Jahres die CO2-Steuer eingeführt, die Spritpreise teurer macht. Der Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid soll auf diese Weise nach und nach reduziert, Autofahrer dazu bewegt werden, auf andere Fortbewegungsmittel umzusteigen.

Pendlerpauschale

Eine andere Variante wäre eine Erhöhung der Pendlerpauschale. Bereits im ersten Entlastungspaket vor einigen Wochen hatten sich SPD, Grüne und FDP darauf verständigt, die Pauschale für Fernpendler rückwirkend ab dem 1. Januar 2022 von 35 auf 38 Cent anzuheben.

Der Effekt ist aber gering: Die Entlastung beträgt lediglich 300 Millionen Euro jährlich. Die Pauschale für Fernpendler gilt ab dem 21. Kilometer und betrifft somit nur Arbeitnehmer, die weiter von ihrem Arbeitsort entfernt wohnen. Deshalb gibt es nun Forderungen, die Pauschale bereits ab dem ersten Kilometer zu erhöhen.

Energiegeld

Ein Entlastungspaket dürfe nicht nur beim Benzin ansetzen, sagte Grünen-Chefin Ricarda Lang. Die Preisexplosion bei den Gaspreisen und die Belastungen durch höhere Lebensmittelpreise müssten ebenfalls abgefedert werden. Für die Grünen steht deswegen ein sogenanntes Energiegeld im Fokus, für das sie schon im Bundestagswahlkampf geworben hatten, um soziale Härten des nationalen CO2-Preises auszugleichen. Ein solches Energiegeld soll jetzt wieder aufleben. 

Allerdings sind Details dazu völlig unklar. Zum möglichen Umfang eines Energiegeldes machte Lang am Montag keine Aussagen. Im Wahlkampf war von einem Energiegeld in Höhe von 75 Euro pro Kopf die Rede gewesen, Auszahlungsbeginn 2023.

Unklar ist auch, wie ein solches Energiegeld ausgezahlt werden könnte. Es gebe unterschiedliche Konzepte, sagte Lang. Angefangen bei einem sozial gestaffelten Energiegeld, das durch verschiedenste staatliche Stellen ausgezahlt werden könne, bis hin zu Schecklösungen. Alle Entlastungsvorschläge würden in den nächsten Tagen innerhalb der Koalition besprochen werden. Grünen-Fraktionschefin Dröge erklärte, der Finanzminister solle eine „kurzfristige und unkomplizierte Auszahlung“ ermöglichen. Ein steuerfinanziertes Energiegeld wäre „gerecht und zielgerichtet“.

Heizkostenzuschuss

Bereits Anfang Februar hatte die Ampel einen höheren Heizkostenzuschuss auf den Weg gebracht. Empfänger von Wohngeld, Studenten und Auszubildende erhalten den Zuschuss. Umfang: insgesamt 190 Millionen Euro. Doch angesichts der weiter gestiegenen Energiepreise könnte diese Maßnahme nun noch mal erweitert werden, sowohl was die Höhe angeht wie auch den Empfängerkreis.

„Ich halte es etwa für richtig, die Höhe des Heizkostenzuschusses für besonders einkommensschwache Haushalte spürbar zu erhöhen“, sagte SPD-Fraktionsvize Michael Miersch. Unterstützung kommt von den Grünen: „Gerade hohe Heizkosten sind für viele Menschen ein großes Problem“, sagte Fraktionschefin Dröge. „Eine Erhöhung des Heizkostenzuschusses und eine weitere Unterstützung für Menschen in Grundsicherung sind dringend nötig.“

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