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01.06.2022

13:24

Hohe Inflation

Klimageld oder Steuersenkung? Ampelkoalition streitet über weiteres Entlastungspaket

Von: Martin Greive, Jan Hildebrand, Jürgen Klöckner, Julian Olk

Während das zweite Paket in Kraft tritt, diskutiert die Ampel bereits über ein drittes. Was im Gespräch ist – und was es bringen würde.

Die Ampelkoalition will die Bürger wegen der hohen Inflation weiter entlasten – doch über das richtige Instrument herrscht Uneinigkeit. REUTERS

Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner im Bundestag

Die Ampelkoalition will die Bürger wegen der hohen Inflation weiter entlasten – doch über das richtige Instrument herrscht Uneinigkeit.

Berlin Gleich 16 Tweets setzte Katharina Dröge am Dienstagabend auf Twitter ab. Darin listete die Fraktionschefin der Grünen all die Entlastungen für die Bürger auf, die nun ab Mittwoch in Kraft treten. Wohngeldempfänger erhalten zum 1. Juni einen Heizkostenzuschuss von 270 Euro, die Energiesteuern auf Kraftstoffe werden für drei Monate gesenkt und seit Mittwoch gilt das 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr.

In weiteren Twitter-Nachrichten folgten all die Maßnahmen, welche die Ampelkoalition auf den Weg gebracht hatte und die ab jetzt bei den Bürgern ankommen. „Gar nicht so leicht, den Überblick zu behalten“, leitete Dröge ihre Aufzählung ein. Auf mehr als 30 Milliarden Euro summieren sich die Entlastungen.

Doch während die ersten Maßnahmen in Kraft treten, sammelt die Ampelkoalition schon neue Ideen, wie der Staat den Bürgern noch helfen kann angesichts der hohen Energiepreise. SPD, Grüne und FDP stehen politisch unter Druck, mehr zu tun.

„Wir haben die Preisentwicklungen weiter im Blick“, sagte die Grünen-Fraktionschefin Dröge dem Handelsblatt. „Angesichts der hohen Preise, gerade für fossile Energien, kann es in Zukunft notwendig sein, weitere Entlastungen zu vereinbaren.“ Diese müssten aber zielgerichtet die Preistreiber wie Energiepreise adressieren.

Der politische Druck führt bei den Ampelpartnern nicht nur zu Kreativität bei neuen Vorschlägen, sondern auch zu einiger Gereiztheit, was die Überlegungen des jeweils anderen angeht. Bei der Frage, wie genau weitere Entlastungsmaßnahmen aussehen könnten, streitet die Ampel mittlerweile offen. 

Rentner können durchs Raster fallen

Carsten Schneider (SPD), Staatsminister beim Bundeskanzler, bremst die Diskussion über ein drittes Entlastungspaket. „Wir werden dann reagieren, je nachdem wie die Lage ist“, sagte er. Mit den jetzt anlaufenden Entlastungen würde schon ein großer Teil der gestiegenen Energiekosten ausgeglichen, wenn auch nicht alles. Das sei aber auch nicht das Ziel, denn Anreize zum Energie sparen müssten erhalten werden.

Der Sozialdemokrat gestand aber ein, dass die beschlossenen Entlastungen für eine bestimmte Gruppe nicht passend seien. Konkret geht es um die vereinbarte Energiepreispauschale von 300 Euro, die allerdings nicht an Rentner ausgezahlt wird, weil diese von anderen Maßnahmen wie etwa dem Wohngeld-Zuschuss profitieren.

Die Bundesregierung hat laut Kritikern für die Senioren zu wenig getan, die nicht an der Armutsgrenze leben und trotzdem nur eine knapp auskömmliche Rente beziehen. Schneider gestand ein: „Es gibt in der Tat eine Lücke für diejenigen Rentner, die dazwischen sind.“

Soziales Klimageld: Kompliziert und teuer?

Für Schneiders Parteikollegen und Arbeitsminister Hubertus Heil steht deshalb fest, dass es Handlungsbedarf gibt: „Wir müssen eine Antwort geben über das jetzige Entlastungspaket hinaus.“ Er schlägt ein „soziales Klimageld“ vor für alle mit geringen und mittleren Einkommen, etwa Beschäftigte, Rentnerinnen und Rentner, Studierende und Auszubildende.

Es soll für Alleinstehende mit weniger als 4000 Euro und Paare mit weniger als 8000 Euro brutto im Monat gezahlt werden, so der unabgestimmte Vorstoß des SPD-Politikers. Gleichzeitig forderte der Arbeitsminister, wegen der höheren Energiekosten auch die Regelsätze für Empfänger der Grundsicherung um bis zu 50 Euro anzuheben.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat deutlich gemacht, dass er von Heils Vorschlag wenig hält. Das soziale Klimageld sei „nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt“ und zudem „nicht so richtig durchdacht“, so Lindner. SPD-Politiker Schneider sagt, an dem Modell werde noch gefeilt: „Ich kenne noch keines, das schon wirklich fliegen würde.“

Im Koalitionsvertrag ist zwar ein Klimageld vereinbart, aber anders als von Heil vorgeschlagen. Danach sollten die Einnahmen des Staates durch den steigenden CO2-Preis an die Bürger zurückgegeben werden. Von einem „sozialen Kompensationsmechanismus“ ist die Rede. Dieser würde zugleich Haushalte belohnen, die Energie einsparen.

Der SPD-Politiker schlägt ein „soziales Klimageld“ vor. IMAGO/Christian Spicker

Bundessozialminister Hubertus Heil

Der SPD-Politiker schlägt ein „soziales Klimageld“ vor.

Die CO2-Bepreisung und das im Koalitionsvertrag beschriebene Klimageld hält der Ökonom Marcel Fratzscher für ein „gutes Instrument“, das Modell von Heil sieht er hingegen skeptischer. „Mein Bedenken ist, dass die Gelder aus der Bepreisung von CO2 bei Weitem nicht ausreichen werden, um Menschen mit mittleren und geringen Einkommen ausreichend für die hohe Inflation zu kompensieren“, sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Zudem lasse der Vorschlag offen, wie alle mit geringen Einkommen erreicht werden sollen und wie auch die höheren Kosten für Lebensmittel adressiert werden sollen.

Schon eine pauschale Überweisung, wie sie das Klimageld aus dem Koalitionsvertrag vorsieht, ist für den deutschen Staat eine organisatorische Herausforderung. Grünen-Politikerin Dröge pocht auf einen Weg, das Geld schnell auszuzahlen. „Wir brauchen jetzt Tempo, um schnell zu einem Auszahlungssystem für das Klimageld anhand der Steuer-ID zu kommen“, sagte sie. „Dieses System kann dann auch zusätzlich neben dem Klimageld dafür genutzt werden, um den Bürgerinnen und Bürgern schnell und unbürokratisch Entlastungen zukommen zu lassen, ähnlich wie bei der Energiepauschale, auf die wir uns in diesem Jahr verständigt haben.“

Lindners Gegenvorschlag: eine Steuersenkung

Würde das Klimageld zusätzlich mit einer Einkommensgrenze versehen, wie es Heil vorschlägt, wäre die Auszahlung aber noch um einiges schwieriger. Man brauche keine Instrumente, die „kompliziert“ und „bürokratisch“ seien, sagte Finanzminister Lindner. „Mein Gegenvorschlag ist eine Steuerreform“, fügte er hinzu. Lindner will die Lohn- und Einkommensteuer senken. Im Herbst wird er den sogenannten Progressionsbericht vorlegen. Darin werden die schleichenden Steuererhöhungen beziffert, die aus dem Zusammenspiel von Lohnerhöhungen, Inflation und höheren Steuertarifen entstehen.

Lindner hat bereits deutlich gemacht, dass er die kalte Progression ausgleichen will. Angesichts der hohen Inflation wird das allerdings für ihn teuer. Der Finanzminister bezifferte das Entlastungsvolumen bei Heils Vorschlägen auf einen „zweistelligen Milliardenbetrag“. Mit dieser Größenordnung kann er sich offenbar anfreunden – nur will er die Mittel für eine Steuersenkung einsetzen.

DIW-Chef Fratzscher sieht eine Einkommensteuersenkung als das „falsche Instrument“, denn sie entlaste fast nur Bezieher von mittleren und hohen Einkommen. Die Inflation treffe aber besonders Menschen mit geringen Einkommen, die einen hohen Anteil ihres Geldes für Energie und Lebensmittel ausgeben. Statt sozialem Klimageld oder Steuersenkung plädiert der Ökonom für ein Maßnahmenpaket, „mit dem ausschließlich Menschen mit geringen und mittleren Einkommen entlastet werden“. Dazu zählt für ihn eine Anhebung des Hartz-IV-Satzes sowie der Grundsicherung um 100 bis 150 Euro.

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