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19.05.2021

16:36

Impfstoffe

USA fordern Aufhebung von Patenten und machen Druck auf die EU

Von: Jan Dirk Herbermann, Christoph Herwartz

In der Welthandelsorganisation laufen Gespräche über eine Aufhebung von Impfstoffpatenten. Die EU kündigt einen Gegenvorschlag an, der sich auch gegen die USA richtet.

Die meisten Staaten der Welt fordern, Patente auf Covid-19-Impfstoffe freizugeben. REUTERS

Biontech-Impfstoff in Südafrika

Die meisten Staaten der Welt fordern, Patente auf Covid-19-Impfstoffe freizugeben.

Genf, Brüssel Die USA halten den Druck auf die EU aufrecht, der Aussetzung von Patenten auf Covid-19-Impfstoffe zuzustimmen. Dies sei eine der Optionen, um zu mehr Impfstoffen zu kommen, und sollte auf jeden Fall weiter angestrebt werden, sagte die Pandemie-Beauftragte der US-Regierung, Gayle Smith. Die Europäische Union (EU) sieht den Vorstoß skeptisch.

Die USA wollen nach Smith' Worten ihre Partner ermuntern, den Willen zur Beendigung der Pandemie zu zeigen. Dies könnte beim Treffen der sieben führenden Industriestaaten (G7) geschehen, das am 11. Juni in England beginnt. Die USA seien der größte Spender von Impfstoffen, aber es würden noch deutlich mehr gebraucht.

Die Europäer stellen die Situation anders dar. Mehr als 200 Millionen Dosen haben europäische Hersteller bisher ins Ausland geliefert, während die USA über viele Monate nicht einmal Vorprodukte aus dem Land ließen. Der überwiegende Teil der Dosen aus der EU ist allerdings verkauft, nicht an arme Länder gespendet worden. In den USA lässt das Impftempo nach, dort gibt es nun überschüssige Dosen. Auch in Europa ist absehbar, dass in einigen Wochen das Impfziel erreicht ist. Das schafft Spielraum, um Impfstoffe weltweit zu verteilen. Ein Grund mehr für die EU-Kommission, am Sinn einer Patentaufhebung zu zweifeln.

Um eine neue Produktion aufzubauen, brauche es nicht nur ein Patent, sondern vor allem technisches Know-how, das die Hersteller nur freiwillig bereitstellen könnten, sagte der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. „Eine Patentfreigabe könnte darum sogar kontraproduktiv sein.“

Das entspricht auch der Position der Hersteller. Sie argumentieren, dass sie die Produktion am besten selbst ausweiten können – und das auch tun. Diskutiert wird insbesondere über die Patente der Hersteller Biontech und Moderna, die in Deutschland beziehungsweise den USA sitzen. Deren mRNA-Impfstoffe gelten als beste Möglichkeit, die Pandemie zu beenden, weil sie sich gegen Mutanten des Coronavirus relativ leicht anpassen lassen sollen.

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In der Welthandelsorganisation (WTO) liefen nun die Verhandlungen über einen Konsens, sagte die US-Beauftragte Smith. Indien und Südafrika hatten erstmals im Oktober 2020 ihren Vorschlag für eine Patentaufhebung auf den Tisch gelegt. Noch im Mai wollen sie einen überarbeiteten Plan vorstellen. Dabei wirken nun die USA aktiv mit.

Eine Entscheidung könnte im Allgemeinen Rat der WTO im Juli getroffen werden. Dort wird in der Regel einstimmig entschieden, das Abkommen (Trips), das den Handel mit geistigem Eigentum regelt, ließe sich theoretisch auch mit einfacher Mehrheit aussetzen. „Besonders die USA und die EU würden einen Abschied von der Konsensregel nicht tolerieren“, meint ein Unterhändler. „Amerikaner und Europäer befürchten zu Recht, dass die armen WTO-Mitglieder sie in vielen anderen Fragen überstimmen könnten.“

Seitdem die USA das Lager gewechselt haben, steht die EU aber als alleinige Verteidigerin der Patente da. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht sich für die Aufhebung aus, auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF). „Die Unternehmen haben im letzten Jahr angefangen, die Produktion aufzubauen. Sie hätten gleichzeitig ihr Wissen in die Welt transferieren können. Dann hätten wir jetzt mehr Impfstoffe“, sagte MSF-Vertreterin Elisabeth Massute.

Auch Abgeordnete aus dem Europaparlament machen Druck: Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold fordert, die Patentaufhebung mit großzügigen Vergütungen für die Entwickler zu verbinden, damit diese bereit sind, ihr Wissen zu teilen. Auch in der SPD sprechen sich einige sehr deutlich für die Patentaufhebung aus.

Für die EU-Kommission versuchte sich Vizepräsident Valdis Dombrovskis an einer Abwehr: Die Kommission werde bald selbst einen Vorschlag bei der WTO vorlegen, der neben anderen Möglichkeiten, die Produktion zu beschleunigen, auch auf das Problem der Exportbeschränkungen eingehen soll. Das richtet sich klar gegen die USA, denen die EU vorwirft, Impfstoff-Komponenten zu horten und dadurch die Produktion zu behindern.

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Als Vertreter der EU-Mitgliedstaaten sagte der portugiesische Außenminister Augusto Santos Silva, man sei bereit, über konkrete Vorschläge zu sprechen. Allerdings brauche man weitere Informationen von den USA, was sie überhaupt wollten. Ihr Vorschlag entspreche offensichtlich nicht genau dem, was Indien und Südafrika vorgeschlagen hätten.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs treffen sich Montag und Dienstag. Der Entwurf ihrer Abschlusserklärung liegt dem Handelsblatt vor. Der Patentstreit ist darin mit keinem Wort erwähnt.

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