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12.03.2023

12:02

Inflation

Was tun gegen steigende Preise? SPD-Vorsitzende Esken fordert höhere Löhne

Von: Dietmar Neuerer, Frank Specht

Die Anhebung des Mindestlohns hat die Kaufkraft in Deutschland besser gesichert als anderswo in der EU, zeigt eine Studie. Experten sehen darin nur eine Momentaufnahme. Das ruft die SPD auf den Plan.

Deutschland liegt jetzt mit zwölf Euro Mindestlohn auf Rang zwei in der EU, hinter Luxemburg. Imago/Westend61

Kellnerin in einem Café

Deutschland liegt jetzt mit zwölf Euro Mindestlohn auf Rang zwei in der EU, hinter Luxemburg.

Berlin Die Co-Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, fordert angesichts der hohen Inflation steigende Löhne. „Es ist richtig, dass wir jetzt Lohnerhöhungen brauchen, die der allgemeinen Preisentwicklung angemessen sind“, sagte Esken dem Handelsblatt. Zudem sollte aus ihrer Sicht die Tarifbindung ausgeweitet werden, um niedrige Einkommen zu stärken.

Vor diesem Hintergrund zeigte sich Esken auch offen für eine erneute Anhebung des Mindestlohns. „Es darf erwartet werden, dass die Mindestlohnkommission diese Entwicklungen dann auch bei den künftigen Anpassungen des gesetzlichen Mindestlohns berücksichtigt.“

Darauf setzt auch der Co-Vorsitzende der SPD-Linken, Sebastian Roloff. „Wir müssen weiter diejenigen besonders entlasten, die von der Inflation am stärksten betroffen sind. Die Erhöhung des Mindestlohns wäre eine effektive Maßnahme hierfür“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Handelsblatt.

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte den Mindestlohn ausnahmsweise per Gesetz zum 1. Oktober 2022 auf 12 Euro angehoben. Doch als die SPD im Bundestagswahlkampf 2021 für die Erhöhung geworben hatte, ahnte niemand die kommenden Preissprünge, vor allem infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Damit ist es noch nicht vorbei: Die Verbraucherpreise lagen im Februar wie im Januar um 8,7 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats.

Den nächsten Erhöhungsschritt soll nun wieder die Mindestlohnkommission mit Vertreterinnen und Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorschlagen. Dies soll bis zum 30. Juni mit Wirkung zum 1. Januar 2024 geschehen. Betrachtet man indes die momentane Wirkung des Mindestlohns, scheint kein akuter Handlungsbedarf zu bestehen.

Studie: Deutschland mit stärkstem realen Mindestlohnanstieg in der EU

Denn im Gegensatz zu vielen anderen EU-Ländern hat die kräftige Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro trotz der hohen Preissteigerungsraten die Kaufkraft im hiesigen Niedriglohnsektor deutlich erhöht.

Das geht aus der am Freitag veröffentlichten Untersuchung des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hervor. Demnach sind die Stundenlöhne von Beschäftigten, die zum Mindestlohn arbeiteten, zwischen Anfang 2022 und Anfang 2023 inflationsbereinigt um 12,4 Prozent gestiegen.

Arbeitnehmer haben dabei gleich von zwei Erhöhungen profitiert. Im Juli 2022 stieg die Lohnuntergrenze von 9,82 Euro auf 10,45 Euro. Dieser Schritt beruhte noch auf der Entscheidung der mit Vertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften besetzten unabhängigen Mindestlohnkommission.

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Per Gesetz hob die Bundesregierung den Mindestlohn dann ab Oktober weiter auf zwölf Euro an. Insgesamt ist er also von Januar bis Oktober 2022 um gut 22 Prozent angestiegen.

Die daraus resultierende reale Lohnsteigerung wird in keinem anderen EU-Land auch nur annähernd erreicht. Auf Platz zwei folgt Estland, wo das reale Plus mit 5,8 Prozent nicht einmal halb so groß ausfällt. In Ländern wie Tschechien (-6,2 Prozent) und Estland (-6,7 Prozent) fielen die inflationsbereinigten Mindestlöhne sogar. Durch den sprunghaften Anstieg der Verbraucherpreise lag die inflationsbereinigte Steigerung im EU-Mittel nur bei 0,6 Prozent.

Höher als in Deutschland ist der Mindestlohn mit 13,80 Euro nur noch in Luxemburg. Etwas niedriger liegt er in Belgien (11,85 Euro) und den Niederlanden (11,75 Euro). Am niedrigsten ist der gesetzliche Mindestlohn in Ungarn (3,41 Euro) und in Bulgarien (2,41 Euro.)

Mindestlohn-Kommission soll wieder entscheiden

Als armutsfest gilt eine Lohnuntergrenze, die bei mindestens 60 Prozent des mittleren Lohns (Median) im jeweiligen Land liegt. Nach fortgeschriebenen Daten der Industrieländerorganisation OECD dürfte Deutschland diese Schwelle mittlerweile knapp überschritten haben, schreibt das WSI.

Nach Angaben des Europäischen Statistikamts Eurostat kommt Deutschland dagegen nur auf 53,2 Prozent. Die Unterschiede erklären sich dadurch, dass OECD und Eurostat für die Berechnung des Medianlohns von einer unterschiedlichen Wochenarbeitszeit ausgehen.

Zwar sei in Deutschland die Inflationsbekämpfung bei Geringverdienern durch die kräftige Mindestlohnanhebung gelungen, schreiben die WSI-Forscher Malte Lübker und Thorsten Schulten in ihrer Studie. Dabei handele es sich allerdings nur um eine Momentaufnahme.

Denn da die nächste Mindestlohnanpassung erst zum Januar 2024 vorgesehen sei, werde ein Teil des Zuwachses durch die weiterhin hohe Inflation in diesem Jahr aufgezehrt. Beschäftigte in Frankreich, den Niederlanden oder Belgien profitierten dagegen davon, dass die Lohnuntergrenze dort auch unterjährig erhöht werde.

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Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hatte deshalb auch schon gefordert, die Politik müsse erneut über eine erneute Erhöhung des Mindestlohns nachdenken. Der Präsident des Münchener Ifo-Instituts, Clemen Fuest, hält davon wenig. Angesichts der bereits erfolgten Anhebungen gehörten Mindestlohnempfänger zu den wenigen Gruppen in Deutschland, die reale Einkommenszuwächse erzielten, sagte er.

Die Bundesregierung hatte ohnehin betont, dass die gesetzliche Anhebung der Lohnuntergrenze auf zwölf Euro eine einmalige Angelegenheit sein soll und danach wieder die paritätisch mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzte Mindestlohnkommission übernimmt.

SPD bei Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel uneinig

„Wir werden uns in der Mindestlohnkommission für einen kräftigen Ausgleich einsetzen“, sagte Stefan Körzell, der für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in der Mindestlohnkommission sitzt. „Beim nächsten Erhöhungsschritt, der im Juni festgelegt wird, muss die Kaufkraftentwicklung entschieden berücksichtigt werden.“

Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, der ebenfalls Mitglied der Kommission ist, mahnte, die anstehende Anpassung des Mindestlohns dürfe „keinesfalls erneut für politische Eingriffe missbraucht werden“.

Laut den Experten sind Haushalte mit niedrigen Einkommen überdurchschnittlich stark von der Teuerung betroffen, weil sie ihr Geld vor allem für Lebensmittel und Energie ausgeben – die aktuell stärksten Preistreiber. Der SPD-Linke Roloff hält daher auch eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Produkte des täglichen Lebens für sinnvoll. „Zur nötigen Gegenfinanzierung kann man gern auch über höhere Belastungen für die besonders Vermögenden in unserer Gesellschaft sprechen“, sagte er.

Die SPD-Vorsitzende Esken lehnt das ab. „Wir haben bereits in den letzten Monaten einige Mehrwertsteuersätze inflationsbedingt angepasst, etwa auf Gas und Fernwärme“, sagte sie. „Weitere Senkungen halte ich in der jetzigen Situation nicht für zielführend. Das wäre eine Entlastungsmaßnahme mit der Gießkanne.“ Besser sei es, Familien mit Kindern, Studenten und Menschen mit niedrigerem Einkommen gezielt zu unterstützen.

Auch Ifo-Chef Fuest wandte sich gegen Umsatzsteuersenkungen zur Entlastung bedürftiger Gruppen. „Der Staat verliert viel Steueraufkommen, um einen relativ kleinen Entlastungseffekt bei Menschen mit niedrigen Einkommen zu erzielen.“ Das Problem sei, so Fuest, dass unklar sei, ob eine Mehrwertsteuersenkung tatsächlich vollständig an die Verbraucher weitergegeben würde. Zudem sei die große Mehrzahl der Konsumenten nicht bedürftig, profitiere aber trotzdem von den Steuersenkungen.

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