PremiumDer Finanzminister hat seinen Vorschlag für ein Gesetz zur Bekämpfung der „kalten Progression“ präsentiert. Doch Politiker von Grünen und SPD zeigen sich unzufrieden.
Berlin Bundesfinanzminister Christian Lindner hat am Mittwoch in Berlin seine Pläne für ein neues Steuermodell vorgestellt, das der „kalten Progression“ entgegenwirken soll. Der Begriff beschreibt den Effekt, dass in Zeiten von starken Preissteigerungen Gehaltserhöhungen zwar von der Inflation aufgefressen werden, trotzdem aber zu einer höheren Besteuerung führen.
Das „Inflationsausgleichsgesetz“ solle die „breite Mitte der Gesellschaft entlasten“, versprach der FDP-Chef. Laut Bundesfinanzministerium (BMF) sollen etwa 48 Millionen Bürgerinnen und Bürger von dem Vorstoß profitieren, die Steuerlast an die Inflation anzupassen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, ab 2023 die Grenzwerte der Steuerklassen nach hinten zu verschieben. Somit würde ein höheres Gehalt, etwa um die Inflation auszugleichen, nicht so schnell zu einer höheren Besteuerung führen.
Doch die Ampelkoalitionspartner scheinen mit den Plänen des BMF unzufrieden. Zentraler Kritikpunkt: Menschen mit hohen Einkommen würden überdurchschnittlich stark profitieren, während schwache Einkommen wenig oder gar nicht entlastet würden.
Vor allem viele Grüne äußern sich öffentlich kritisch gegenüber den Plänen des Finanzministers. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Andreas Audretsch, sagte: „Steuersenkungen in Milliardenhöhe, von denen Topverdiener dreimal so stark profitieren wie Menschen mit kleinen Einkommen, gehen an der Realität vorbei.“ Es müssten nun Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen entlastet werden.
Auch die finanzpolitische Sprecherin, Katharina Beck, äußerte sich ähnlich. „Andersrum wäre es richtig: Starke Schultern müssten mehr tragen als einkommensschwache und nicht überproportional entlastet werden“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Andreas Audretsch
Der Fraktionsvize meint, Menschen mit ganz kleinen Einkommen würden gar nicht entlastet, weil sie unter dem Grundfreibetrag liegend keine Einkommensteuer zahlten.
Bild: IMAGO/Future Image
Deutliche Worte fand auch Franziska Brantner (Grüne), parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium. „Putin führt ökonomischen Krieg gegen uns und will unsere Demokratie aushöhlen durch soziale Spannungen. Wenn im Haushalt Spielraum für Entlastungen ist, dann müssen jene sie erhalten, die es brauchen“, forderte Brantner.
In eine ähnliche Richtung äußern sich auch Vertreter der SPD. Fraktionsvize Achim Post forderte, Lindners Pläne müssten nachgebessert werden: „Ein weiterer kräftiger Entlastungsimpuls bis in die Mitte der Gesellschaft ist richtig und notwendig. Die vorgeschlagenen Maßnahmen von Bundesfinanzminister Lindner würden aber hohe Einkommen besonders stark entlasten und sind damit sozial noch nicht ganz ausgewogen.“
SPD-Chef Lars Klingbeil nannte die Vorschläge hingegen „konstruktiv“ und signalisierte Offenheit. Zu den notwendigen weiteren Entlastungen könnten „auch steuerliche Entlastungen gehören“, sagte Klingbeil dem „Spiegel“.
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Ob Lindner die Koalitionspartner von seinem Vorschlag überzeugen kann, wird sich voraussichtlich im Herbst zeigen. So lange könnte es dauern, bis der alle zwei Jahre erstellte Progressionsbericht der Bundesregierung vorliegt – erst dann will Lindner das „Inflationsausgleichsgesetz“ auf den Weg bringen.
Doch auch Ökonomen und Gewerkschaften äußern schon jetzt Kritik an den Plänen des Bundesfinanzministeriums. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, nannte den Vorstoß auf Twitter eine „Umverteilung von unten nach oben“.
„Menschen mit geringen Einkommen erfahren eine drei- bis viermal stärkere Inflation als Menschen mit hohen Einkommen, profitieren jedoch vom Absenken der Einkommensteuersätze wenig oder gar nicht“, gab Fratzscher zu bedenken.
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lehnt die Vorschläge ab. „Christian Lindners Steuerkonzept greift viel zu kurz“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa.
Für eine ausreichende Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen müsste der Grundfreibetrag auf 12.800 Euro steigen. „Stattdessen profitieren Spitzenverdiener und Reiche, obwohl sie weit weniger Probleme haben, mit den aktuellen Preissteigerungen zurechtzukommen“, kritisierte Körzell.
Neben den Plänen, die Einkommensteuerklassen zu verschieben, verspricht Lindner auch, den Kinderfreibetrag zu erhöhen und das Kindergeld anzuheben. So sollen Familien „gezielt steuerlich unterstützt werden“, wie das Finanzministerium den Vorschlag begründet.
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Für Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) greift auch dieser Vorschlag zu kurz. „Wenn ich eine weitere Kindergelderhöhung mache, dann ist das schön für diejenigen, die das bekommen. Aber Sie haben wieder die älteren Menschen nicht mit dabei, die Rentnerinnen und Rentner, Sie haben auch die Studierenden nicht dabei“, kritisierte sie am Dienstag gegenüber dem Fernsehsender Welt.
Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte die Kindergeldpläne: „Wer Familien wirklich entlasten will, kann nicht mit Kleckerbeträgen hantieren.“ Eine Anhebung um mindestens zehn Prozent, also um 22 Euro, wäre angebracht.
Die Steuerpläne würden vor allem höheren Einkommensgruppen nutzen, weswegen hier falsche Prioritäten gesetzt würden. Die ohnehin eklatante Ungleichheit in Deutschland könne so noch größer werden.
Mit Agenturmaterial
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