Ein neues Gesetz soll Genehmigungsverfahren beschleunigen. Doch der Entwurf stößt in der Bundesregierung auf Vorbehalte. Das bringt den Zeitplan ins Wanken.
Autobahn
Das erste Vorhaben von Verkehrsminister Scheuer sieht vor, die Planung von Straßen- und Schienenprojekten zu beschleunigen.
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Berlin Eine Woche vor Beginn des Corona-Stillstands im Land gab sich die Regierungskoalition ein Bündel Arbeit auf. Der Koalitionsausschuss verständigte sich darauf, das Kurzarbeitergeld leichter zu gewähren und eine „Investitionsallianz“ mit Ländern und Kommunen einzugehen und die Investitionen deutlich zu erhöhen.
Vor allem aber sollten die Planungs- und Genehmigungsverfahren einmal mehr beschleunigt werden. „Bis Juli“ solle das Kabinett ein entsprechendes Gesetz beschließen, heißt es in den Beschlüssen des Koalitionsausschusses vom 8. März, die eine sechsseitige Aufstellung von Anforderungen an das Gesetz umfassen.
Seit Dienstag vergangener Woche hat das Bundesverkehrsministerium seinen Entwurf in die Ressortabstimmung gegeben. Er liegt dem Handelsblatt vor. Bis zum Freitag sollten alle Ministerien antworten, damit am 15. Juli das Kabinett dem Entwurf zustimmt und er im Herbst im Gesetzblatt stehen kann. Aber es gibt alles andere als nur Zustimmung.
In der laufenden Legislaturperiode hat Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bereits drei Gesetze vorgelegt, um die Planung und Genehmigung von Bauvorhaben zu beschleunigen. Er hat das Thema damit zu einer zentralen Aufgabe seiner Amtszeit erhoben. Auch andere Ministerien sind beteiligt.
Die Wirtschaft sieht die Bemühungen positiv. Dass hierzulande mitunter drei, fünf oder mehr Jahre vergehen, ehe ein Stück Autobahn, eine neue Stromleitung oder eine Werkserweiterung den Segen aller beteiligten Behörden und schließlich auch der Verwaltungsgerichte hat, wird als großes Investitionshemmnis gesehen.
Scheuers erstes Vorhaben, das er 2018 vorgelegt hatte, sieht vor, die Planung von Straßen- und Schienenprojekten zu beschleunigen. Klagefristen wurden verkürzt, und etwa bei bereits laufenden Planfeststellungsverfahren wurde die Möglichkeit geschaffen, vorbereitende Maßnahmen oder Teilmaßnahmen zum Ausbau oder Neubau zu genehmigen.
In diesem Jahr dann folgten bereits zwei weitere Gesetze: Das Maßnahmenvorbereitungsgesetz sieht vor, dass sieben Schienen- und fünf Wasserstraßenprojekte beschleunigt geplant und vorbereitet werden sollen, bevor sie dann in einem Gesetzgebungsverfahren genehmigt werden. Dazu soll vorab die Öffentlichkeit frühzeitig einbezogen werden.
Auch soll es weiter einen Erörterungstermin wie im Planfeststellungsverfahren geben. Mit dem dritten Gesetz sollen die Planungsverfahren für Ersatzneubauten verschlankt werden. Mit ihm wird zum Beispiel der Neubau einer in die Jahre gekommenen Brücke von der Genehmigungspflicht befreit.
Auch im Beritt von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat sich etwas bewegt. Altmaier hat in dieser Legislaturperiode das Netzausbaubeschleunigungsgesetz (Nabeg) novelliert.
Wesentlicher Inhalt des „Nabeg 2.0“ ist die Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Neubau, Verstärkung und Optimierung von Stromleitungen. Es hat damit dieselbe Stoßrichtung wie Scheuers Initiativen.
Außerdem vereinheitlicht das Nabeg 2.0 die Entschädigung für Grundstückseigentümer, die vom Netzausbau betroffen sind. Das am Freitag von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Strukturstärkungsgesetz, das den Strukturwandel in den vom Kohleausstieg betroffenen Regionen flankiert, sieht für die geförderten Projekte ebenfalls eine Planungsbeschleunigung vor.
Nun also Gesetz Nummer vier von Verkehrsminister Scheuer. Es sieht auch Regeln für Häfen, Wasserkraftwerke und ebenso wieder für Schienenprojekte vor. Auch werden wieder Klagewege beschnitten.
So sollen etwa künftig als erste Instanz nicht die Verwaltungs-, sondern gleich die Oberverwaltungsgerichte oder der Verwaltungsgerichtshof zuständig sein. „Damit fällt die Berufungsinstanz als zweite Tatsacheninstanz weg, was die Gesamtdauer der Verfahren bis zu deren rechtskräftigem Abschluss verkürzen wird“, heißt es in dem Entwurf. Auch ist eine „Soll-Vorschrift“ für die Gerichte vorgesehen, wonach sie die mündliche Verhandlung „so früh wie möglich stattfinden“ lassen sollen.
Doch an dieser Regelung, die erstmals bei den Verkehrsprojekten zur deutschen Einheit genutzt wurde, entzündet sich Kritik. „Es muss darum gehen, die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen“, sagt der Verwaltungsexperte und ehemalige hessische Verkehrsminister Dieter Posch (FDP).
Wichtige Großprojekte würden ohnehin vom Bundesverwaltungsgericht entschieden. „Die Probleme liegen nicht in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren“, gibt Posch zu bedenken.
Doch bei den Genehmigungsverfahren reicht es allein nicht, die Raumordnungs- oder Planfeststellungsverfahren auszusetzen. Dazu gibt es zu viele Vorgaben und Regeln für die Genehmigung von Projekten, die in anderen Gesetzen geregelt sind.
Dazu gehören das Naturschutzrecht, der Immissionsschutz oder auch das Denkmalrecht und andere Regelungen. All diese Einzelfragen bündelt das Planfeststellungsverfahren, weshalb Experten davor warnen, es aufzugeben.
Auch im Gesetzentwurf wird daher eingeräumt, dass zwar etwa bei der Elektrifizierung oder Digitalisierung bestehender Schienenwege wie auch bei Einzelmaßnahmen wie Schallschutzwänden oder Bahnsteigen das Planfeststellungsverfahren entfallen kann. Allerdings soll der Vorhabenträger das Verfahren doch beantragen können, wenn ebenjene Spezialrechte betroffen sind.
Auch wird zugegeben, dass etwa das Raumordnungsverfahren eher dadurch optimiert wird, dass die Potenziale der Digitalisierung genutzt werden – oder aber eine Umweltverträglichkeitsprüfung entfällt. Dies soll etwa bei den Maßnahmen an Schienenwegen der Fall sein.
Doch dagegen opponiert das zuständige Umweltministerium. Nach Informationen des Handelsblatts aus Koalitionskreisen wurde es bisher vom Verkehrsministerium nicht eingebunden, obwohl es für Fragen des Umweltrechts und Naturschutzes zuständig ist.
Anstatt die Beamten einzubinden, legte das Verkehrsressort einfach eigene Vorschläge vor, um die Verfahren durch weniger Umwelt- und Naturschutz zu beschleunigen. Entsprechend reichte die kurze Frist zur Ressortabstimmung bis zum 3. Juli nicht aus. Wie es hieß, werde der Entwurf daher nicht wie geplant am 15. Juli vom Bundeskabinett beschlossen.
Auch bei den Umweltverbänden gibt es Kritik. „Wir sehen mit Sorge, dass die Bundesregierung mit zahlreichen Gesetzen die Planungen beschleunigen will und dabei vor allem darauf setzt, die Beteiligung der Zivilgesellschaft zu erschweren“, sagte Jens Hilgenberg vom BUND.
Auch warnte er davor, die Beteiligungsrechte Dritter einzuschränken, unter Experten materielle Präklusion genannt. „Der Ausschluss von Interessen von betroffenen Bürgerinnen und Bürgern und Umweltbelangen wird nicht zu einer beschleunigten Umsetzung von Infrastrukturprojekten führen“, sagte Hilgenberg. „Vielmehr ist eine umfassende und frühzeitige ergebnisoffene Öffentlichkeitsbeteiligung mit ernsthafter Prüfung verkehrsträgerübergreifender Alternativen der Schlüssel zur Leistungssteigerung der Verkehrsinfrastruktur.“
Hilgenberg warnte davor, die EU-Ratspräsidentschaft zu nutzen, um auch auf europäischer Ebene Einschränkungen bei der Öffentlichkeitsbeteiligung durchzusetzen. Der Bundestagsabgeordnete Patrick Schnieder (CDU) hingegen forderte, in der jetzigen Krise und bei den geplanten Milliardeninvestitionen „dringend schneller“ zu werden. Die Bundesregierung müsse dazu auch die EU-Ratspräsidentschaft nutzen. So sei etwa das Vergaberecht oder die Umweltgesetzgebung europäisch geregelt.
„Dass Planungsverfahren schneller abgeschlossen werden, ist im Interesse aller EU-Mitgliedstaaten“, sagte Schnieder. „Die Mittel aus den Konjunkturpaketen der EU und der einzelnen Mitgliedstaaten sollen ihre Wirkung nicht verfehlen und schnell wirksam werden. Deshalb brauchen wir hier dringend Lösungen, die zur Realität in dieser Krise passen“, sagte Schnieder.
Verwaltungsexperte Posch plädierte dafür, sich darauf zu konzentrieren, die grundlegenden Fehler im System zu beheben. So sei es möglich, Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren parallel laufen zu lassen, wenn sie abgestimmt werden. „Dann sind die zwei Verfahren nur noch eines, was enorm viel Zeit spart“, sagte Posch. Dies hatten die Koalitionsspitzen auch in ihre Eckpunkte geschrieben, in dem vorliegenden Ressortentwurf indes finden sich keine Hinweise.
Auch müsse bei Infrastrukturprojekten eine neue Bewertungssystematik erfolgen, forderte Posch. Als Beispiel nannte er den Bau von Überholgleisen: Sie hätten den Sinn, den Güter-, Regional- und Fernverkehr zu entzerren und so mehr Kapazität auf dem Schienennetz zu schaffen. „Der mittelbare positive Effekt, mehr Verkehr über die umweltfreundliche Bahn abzuwickeln, spielt im Genehmigungsverfahren keine Rolle“, klagte Posch.
Stattdessen werde nur bewertet, wie der mit der Maßnahme verbundene Eingriff zu bewerten ist. „Das ist das Kernproblem“, sagte Posch.
Das Deutsche Verkehrsforum begrüßte es entsprechend, zumindest „den Umfang der Genehmigungsverfahren dort zu reduzieren, wo es um die Instandsetzung oder den Ersatz bereits vorhandener Verkehrswege geht“. Eine schnelle Ertüchtigung reduziere die Staus auf Schiene, Straße und Wasserstraße und verbessere die Klimabilanz des Sektors.
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