PremiumForscher gehen davon aus, dass Geflüchtete aus der Ukraine rasch zurückkehren, wenn die Lage es erlaubt. Doch wer länger bleibt, soll auch faire Chancen erhalten.
Hinweisschild für Geflüchtete aus der Ukraine am Kölner Hauptbahnhof
Derzeit sind es vor allem Frauen mit Kindern, die aus dem Kriegsgebiet nach Deutschland kommen.
Bild: dpa
Düsseldorf, Berlin Geflüchtete, die in diesen Tagen aus der Ukraine nach Deutschland kommen, brauchen zunächst einmal ein Dach über dem Kopf, Menschen, die sich um sie kümmern, und Ruhe. Aber je länger der Krieg dauert, je mehr Städte und Dörfer durch Beschuss der russischen Armee auf lange Zeit unbewohnbar werden, desto größer wird die Notwendigkeit, den Schutzsuchenden auch eine langfristige Perspektive zu bieten.
„Es geht in erster Linie um humanitäre Hilfe“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vergangene Woche in der Haushaltsdebatte im Bundestag. „Aber es geht auch darum, für die Menschen, die die Chance haben wollen zu arbeiten, diese Möglichkeit auch zu schaffen.“ Für diesen Mittwoch lädt Heil nun Sozialpartner, Wohlfahrtsverbände, Vertreter der Länder und der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu einem Spitzentreffen nach Berlin, um über die Arbeitsmarktintegration zu reden.
Die Zahl der Neuankömmlinge sinkt mittlerweile leicht. Hatte die Bundespolizei in den ersten Kriegswochen täglich mehr als 10.000 ukrainische Flüchtlinge gezählt, so waren es zuletzt nur noch rund 6000. Offiziell registriert sind mittlerweile knapp 280.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Die tatsächliche Zahl dürfte aber höher liegen, da Ukrainer mit biometrischem Pass für 90 Tage visumsfrei einreisen dürfen.
Panu Poutvaara, Migrationsforscher am Ifo-Institut und Mitglied des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR), erwartet, dass die meisten Geflüchteten wohl in die Ukraine zurückkehren werden, sobald es die Situation zulässt. „Sollte eine rasche Rückkehr nicht möglich sein, sehe ich aber gute Integrationsperspektiven, weil das Bildungsniveau der Geflüchteten vergleichsweise hoch ist.“
Das bestätigt auch Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Das Qualifikationsniveau der ukrainischen Bevölkerung sei im internationalen Vergleich hoch, der Anteil der Akademiker sogar etwas höher als in Deutschland. „Auch die bereits in Deutschland lebende Bevölkerung aus der Ukraine verfügt mit rund 50 Prozent Hochschulabsolventen über ein hohes Bildungsniveau“, sagt Brücker.
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Hinzu kommt: Frauen in der Ukraine sind laut der nationalen Statistikbehörde überwiegend in akademischen, technischen und medizinischen Berufen tätig – also genau in jenen Branchen, in denen hierzulande Fachkräfte fehlen. Die Geflüchteten könnten zumindest mittelfristig helfen, Engpässe am deutschen Arbeitsmarkt abzubauen, betont Brücker.
Das Problem: „Die meisten Geflüchteten verfügen zunächst über keine deutschen Sprachkenntnisse, das schränkt die Tätigkeitsbereiche ein.“ Und die Integration brauche Zeit. Denn anders als Arbeitsmigranten seien Geflüchtete ja nicht von vornherein auf das Leben und Arbeiten im Ausland eingestellt.
Den Grundstein für eine rasche Arbeitsmarktintegration hatten die EU-Länder bereits Anfang März mit der Aktivierung der sogenannten Massenzustrom-Richtlinie gelegt. Geflüchtete erhalten damit ein befristetes Aufenthaltsrecht, ohne ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen, sowie Zugang zu sozialen Mindeststandards und zum Arbeitsmarkt. Viele Syrer, Iraker oder Afghanen, die seit 2015 nach Deutschland geflüchtet waren, mussten dagegen oft monatelang auf eine Arbeitserlaubnis warten.
„Deutschland ist unter Integrationsaspekten ganz vorne mit dabei“, sagt Thomas Liebig, Migrationsexperte der Industrieländerorganisation OECD, mit Blick auf die Ukraineflüchtlinge. So lege die Bundesregierung die EU-Massenzustrom-Richtlinie großzügig aus und gewähre nicht nur bis zu zwei, sondern sogar bis zu drei Jahre unbürokratisch Schutz. Und auch die Integrationskurse seien bereits für Geflüchtete aus der Ukraine geöffnet worden.
Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), fordert die Ampelkoalition aber auf, das Angebot an Sprachkursen noch deutlich auszubauen. „Besonders wichtig sind Halbtagskurse mit Kinderbetreuung – denn viele der Schutzsuchenden sind Mütter mit Kindern.“
Die Kinderbetreuung ist nicht nur wichtig, wenn die Mütter Deutsch lernen wollen. Ohne sie wird es auch schwer, eine Beschäftigung aufzunehmen. Weil aber viele geflüchtete Frauen aus der Ukraine im Bildungswesen tätig seien, könnten sie die Kinder zunächst weiter auf Ukrainisch unterrichten, betont OECD-Forscher Liebig. Die Schulpflicht werde so ebenso abgedeckt wie die Kinderbetreuung.
„Wo die Möglichkeit besteht, sollten Eltern entscheiden können, ob ihre Kinder auf Ukrainisch oder auf Deutsch unterrichtet werden“, sagt auch Ifo-Forscher Poutvaara. Wenn sich aber abzeichne, dass die Geflüchteten länger hierbleiben werden, könne der Unterricht auf Ukrainisch natürlich nur eine Zwischenlösung sein, betont Liebig.
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IAB-Arbeitsmarktexperte Brücker sieht eine weitere mögliche Hürde auf dem Weg zur Arbeitsmarktintegration. Das ukrainische Bildungs- und Ausbildungssystem unterscheide sich vom deutschen, sodass es zu Schwierigkeiten bei der Anerkennung beruflicher Abschlüsse kommen könne.
Hier müsse rasch eine Lösung gefunden werden, fordert Gewerkschafterin Piel, damit „qualifizierte Ukrainerinnen und Ukrainer nicht in prekären Beschäftigungsverhältnissen landen“. Hier stehe die Bundesregierung in der Pflicht.
Arbeitsminister Heil kennt das Problem. Die rasche Anerkennung der Abschlüsse sei wichtig, denn sonst bestehe die Gefahr, dass „die Not von Geflüchteten ausgenutzt wird und sie von Scharlatanen ausgebeutet werden“, sagte er vergangene Woche im Bundestag. „Wir müssen und werden dafür sorgen, dass die Menschen, die so viel durchlitten haben, jetzt nicht Opfer von Abzocke oder Ausbeutung – auch nicht in der Arbeitswelt – werden.“
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