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20.08.2020

13:22

Interview

Altkanzler Schröder: „Ich würde eine Koalition mit der FDP nicht ausschließen“

Von: Thomas Sigmund, Thomas Tuma, Bert Rürup

PremiumGerhard Schröder traut Olaf Scholz einen Wahlsieg zu. Im Interview spricht der Altkanzler über die Fehler der SPD und Angela Merkels Flüchtlingspolitik.

„Die SPD tut gut daran, nach allen Seiten gesprächsbereit zu sein.“ Reuters

Gerhard Schröder

„Die SPD tut gut daran, nach allen Seiten gesprächsbereit zu sein.“

Hannover Altkanzler Gerhard Schröder traut Olaf Scholz einen Sieg bei der Bundestagswahl 2021 zu. „Er kann Wahlen gewinnen. Und er hat sich auch klar positioniert, als er sagte: ‚Wer bei mir Führung bestellt, kriegt sie auch‘“, sagte Schröder im Interview mit dem Handelsblatt. Daran habe sich nichts geändert. Hinzu komme, dass man Deutschland nicht ohne ökonomische Kompetenz regieren könne. „Oder anders gesagt: ohne Wirtschaftswissen keine erfolgreiche Kanzlerschaft.“

Schröder nahm Scholz gegen Kritik wegen seiner angeblich emotionslosen Art in Schutz, die ihm einst den Spitznamen „Scholzomat“ einbrachte. „Olaf Scholz ist anders. Sehr humorvoll und weit über den politischen Horizont hinaus unglaublich belesen“, sagte Schröder, in dessen Regierungszeit Scholz Generalsekretär war. „Auch an Empathie mangelt es dem Finanzminister nicht.“

Der Altkanzler ist sich im Unterschied zu vorherigen Wahlkämpfen sicher, dass sich die SPD diesmal geschlossen hinter dem Kandidaten versammeln werde. „Die SPD hat zuletzt in Abgründe geschaut, sowohl was Wahlergebnisse wie Prognosen angeht. Die Zehn-Prozent-Marke war nicht mehr weit weg“, sagte er. Jetzt gehe es langsam aufwärts, und man habe die Grünen wieder überholt.

„Die Grünen-Spitze wiederholt mantraartig ‚Klima, Klima, Klima‘, scheint aber sonst inhaltlich nichts anbieten zu wollen und hat in wichtigen Fragen keinen Standpunkt mehr“, sagte Schröder. Die CDU sei mittlerweile schon bei der Suche nach einem Vorsitzenden und damit auch nach einem Kanzlerkandidaten in Schwierigkeiten geraten. „Insofern ist für die SPD sowohl in der Mitte Platz als auch bei jenen Wählern, die man zuletzt an die Grünen verloren hat.“

Schröder empfahl seiner Partei, nach allen Seiten gesprächsbereit zu sein. „Ich persönlich würde auch eine Koalition mit der FDP nicht ausschließen. Sie funktioniert ja in Rheinland-Pfalz sehr gut“, sagte er.

Fünf Jahre nach dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise hält Altkanzler Gerhard Schröder den Satz von Kanzlerin Angela Merkel „Wir schaffen das“ für einen Fehler. „Ich hätte das nicht gesagt. Nicht so. Ich hätte erklärt: ‚Wir können das schaffen, wenn …‘“, sagte Schröder. „Und dann wären einige Punkte gekommen, wie etwa mehr Geld für Schulen, Integration, Wohnen. Da gibt es auch nach fünf Jahren noch einigen Nachholbedarf.“

Er habe „in der Hochphase der Flüchtlingskrise nicht verstanden, wenn Parteifreunde mit einem „Refugees Welcome“-Button durch den Bundestag gelaufen sind, sagte er. „Klar, wir müssen in Deutschland eine anständige Migrationspolitik machen, zu der die Aufnahme von Flüchtlingen gehört. Zugleich müssen wir deutlich machen, dass Zuwanderung gesteuert und begrenzt werden muss.“

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Bundeskanzler, die Sozialdemokratie hat in der bundesdeutschen Geschichte dreimal den Regierungschef gestellt: mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und Ihnen. Sie sind der Letzte gewesen, mit dem die SPD auf Bundesebene Wahlen gewonnen hat. Was ging seither schief für die Partei?
In der rot-grünen Koalition haben wir einen umfassenden Prozess zunächst gesellschaftlicher Reformen und in meiner zweiten Amtszeit dann auch tiefgreifende Arbeitsmarkt- und Sozialreformen durchgesetzt. Die SPD hat nach meinem Dafürhalten den Fehler gemacht, nicht zu erkennen, dass sie diesen Prozess hätte weiterführen müssen. Und sie hatte leider auch nicht die Kraft, die Agenda 2010 als ihr eigenes Zukunftsprogramm zu begreifen – und zu verteidigen.

Das war’s schon?
Dazu kam, dass man Deutschland nicht ohne ökonomische Kompetenz regieren kann. Oder anders gesagt: ohne Wirtschaftswissen keine erfolgreiche Kanzlerschaft.

In der Zeit nach Ihnen gab’s dieses Know-how also nicht?
Doch, natürlich. Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Martin Schulz brachten diesen Sachverstand mit. Aber die SPD hat ihnen mitunter zu wenig Unterstützung geboten, auch weil sie ihre eigene Agenda infrage gestellt hat.

Vita Gerhard Schröder

Der Politiker

Die Rolle als Regierungschef a.D. hat Gerhard Schröder ganz für sich: Der 76-Jährige ist der einzige noch lebende Altbundeskanzler. Zwischen 1990 und 1998 war er Ministerpräsident Niedersachsens. Seine darauffolgende Amtszeit als Bundeskanzler von 1998 bis 2005 war innenpolitisch vor allem durch die Agenda 2010 geprägt – ein Erbe, mit dem die SPD bis heute hadert.

Der Lobbyist

Nur wenige Wochen nach dem Ende seiner Kanzlerschaft wurde bekannt, dass Schröder für die Nord Stream AG als Vorsitzender des Aktionärsausschusses tätig werden sollte. Ein Unternehmen, das zu 51 Prozent dem russischen Gasanbieter Gazprom gehört. Brisant: Schröder hatte noch als Kanzler den Deal über das Projekt besiegelt. Auch heute setzt er sich für Nord Stream ein – zuletzt im Wirtschaftsausschuss des Bundestages.

Nun wurde der derzeitige Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz zum SPD-Kanzlerkandidaten der nächsten Bundestagswahl ausgerufen
… und damit haben wir eine interessante Situation: Eine sich eher als links begreifende Parteispitze hat einen Wirtschaftsfachmann vorgeschlagen. Das schafft neue Möglichkeiten.

Aber auch neue Spannungen.
Schauen Sie sich die anderen Parteien an: Die CDU ist mittlerweile schon bei der Suche nach einem Vorsitzenden und damit auch nach einem Kanzlerkandidaten in Schwierigkeiten geraten. Und die Grünen-Spitze wiederholt mantraartig „Klima, Klima, Klima“, scheint aber sonst inhaltlich nichts anbieten zu wollen und hat in wichtigen Fragen keinen Standpunkt mehr.

Insofern ist für die SPD sowohl in der Mitte Platz als auch bei jenen Wählern, die man zuletzt an die Grünen verloren hat. Daher mein Tipp: „Schlage die Trommel und fürchte dich nicht!“

… wie schon Heinrich Heine dichtete. Was war Ihr erster Gedanke, als Scholz gekürt wurde?
Ich dachte: Hoppla, eine überraschende, aber auch richtige Entscheidung – sowohl was den Zeitpunkt als auch die Person angeht. Das muss ich den beiden neuen SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken wirklich lassen. Sie sind auch ein Stück weit über sich selbst hinausgewachsen …

… um dann schnell wieder in alte Reflexe zu verfallen: Zeitgleich zu Scholz‘ Kandidateninthronisation haben sich die beiden für ein mögliches Regierungsbündnis mit Grünen und der Linken ausgesprochen. Ist der Wahlkampf für die SPD da nicht verloren, bevor er begonnen hat?
So eine Aussage sollte man nicht überbewerten. Sie sagt letztlich nur: Die SPD will sich politisch nicht einmauern lassen. Olaf Scholz hat außerdem schon klargemacht, dass man über Koalitionen erst sprechen kann, wenn man Wahlergebnisse kennt.

Der Finanzminister und Vizekanzler war bei der Wahl zum SPD-Vorsitzenden noch durchgefallen. imago images/photothek

Olaf Scholz

Der Finanzminister und Vizekanzler war bei der Wahl zum SPD-Vorsitzenden noch durchgefallen.

Wären Sie für eine Koalition mit der Linken?
Es wäre nicht meine bevorzugte Koalition. Aber die SPD tut gut daran, nach allen Seiten gesprächsbereit zu sein. Ich persönlich würde auch eine Koalition mit der FDP nicht ausschließen. Sie funktioniert ja in Rheinland-Pfalz sehr gut. Und wichtig für Olaf Scholz ist, dass die SPD sich in neuer Geschlossenheit zeigt.

Hinter Martin Schulz stand Ihre Partei schon mal mit hundertprozentiger Geschlossenheit. Ging nicht sehr erfolgreich aus.
Diesmal haben wir eine ganz andere Situation: Olaf Scholz spielt bereits eine herausragende Rolle in der Großen Koalition, zu der man sich – wenn auch unter gewissen Schmerzen – wieder neu bekannt hat.

Und wir sollen Ihnen wirklich glauben, dass die neue Geschlossenheit bis zur Wahl hält?
Nur so geht es. Die SPD hat zuletzt in Abgründe geschaut, sowohl was Wahlergebnisse wie Prognosen angeht. Die Zehn-Prozent-Marke war nicht mehr weit weg. Jetzt geht es langsam aufwärts, und man hat die Grünen wieder überholt.

Wirtschaftspolitisch wie ideologisch neigen Teile der Partei bisweilen zum Irrlichtern.
Dass es in einer immer noch so großen Partei unterschiedliche Ansätze gibt, ist doch völlig normal. Wichtig wird sein, dass Olaf Scholz als Kandidat genug Spielraum hat.

Peer Steinbrück nannte das als SPD-Kanzlerkandidat „Beinfreiheit“, die er benötige …
… ein Begriff, den ich nie gemocht habe. Olaf Scholz jedenfalls wird sehr bestimmt an der Formulierung eines Parteiprogramms mitwirken und daneben ein Team aufstellen, mit dem er die Wähler nächstes Jahr überzeugen kann.

Wer sollte da alles eingebunden werden?
Da werde ich auch im Handelsblatt keine Empfehlungen abgeben. Schon Johannes Rau wusste: Öffentlich gegebene Ratschläge sind mehr Schläge als Rat.

In einer Auseinandersetzung wie der Bundestagswahl ist das probateste Mittel: authentisch bleiben! Wer versucht, anders zu erscheinen, als er ist, wird scheitern.

In Ihrer Kanzlerzeit haben Sie Olaf Scholz zum Generalsekretär der SPD gemacht. Warum hatten Sie gerade ihn ausgewählt?
Weil er das kann. Und er kann eben nicht nur Generalsekretär. Später hat er in Hamburg auch bewiesen: Er kann Wahlen gewinnen. Und er hat sich auch klar positioniert, als er sagte: „Wer bei mir Führung bestellt, kriegt sie auch.“ Daran hat sich nichts geändert.

Als Generalsekretär bekam er wegen seiner emotionslosen Art den Spitznamen „Scholzomat“.
Ihr Medien seid ja um Etiketten nie verlegen. Aber Olaf Scholz ist anders.

Nämlich wie?
Sehr humorvoll und weit über den politischen Horizont hinaus unglaublich belesen. Auch an Empathie mangelt es ihm nicht. Und er und seine Frau sind ein tolles Paar.

Reicht das fürs Kanzleramt, oder müsste er irgendwo dazulernen?
Das Schlimmste wäre, wenn er sich von irgendwelchen Beratern verbiegen lassen würde. In einer Auseinandersetzung wie der Bundestagswahl ist das probateste Mittel: authentisch bleiben! Wer versucht, anders zu erscheinen, als er ist, wird scheitern.

Außenpolitische Kompetenz würde ihm helfen, oder?
Die hat er als Bundesfinanzminister und Vizekanzler doch schon. Olaf Scholz hat mehr zum guten Ergebnis des letzten EU-Gipfels beigetragen, als viele denken. Und da ging es wirklich um die ganz großen Zukunftsfragen. Dass er davor zu Hause in Berlin die Finanzbazooka rausholen konnte, hat auch mit unseren frühen Agendareformen zu tun. Denn ohne die hätten wir heute ja gar nicht das Geld, um uns selbst, aber auch anderen europäischen Ländern zu helfen.

Geld ausgeben ist nicht sonderlich innovativ.
Sozialdemokraten wird gern unterstellt, dass sie nur das könnten. Aber die Corona-Rettungspakete sind keine Klientelwirtschaft, sondern existenziell wichtige Hilfen. Olaf Scholz vermied es früher tapfer, als „Schuldenmacher“ zu gelten. Und ganz ehrlich: In welchem Land der Welt würde man in diesen Coronazeiten lieber leben als in Deutschland: Die Opferzahlen sind vergleichsweise niedrig, das Gesundheitssystem funktioniert, viele soziale Härten konnten abgefedert werden. Wir haben die Krise bislang sehr gut bewältigt.

Die IG Metall fordert schon die Vier-Tage-Woche. Das Kurzarbeitergeld wird auf 24 Monate verlängert … Vielleicht wäre es für einen SPD-Kanzlerkandidaten, der gerade die bürgerliche Kundschaft wiedergewinnen will, mal ganz ratsam, die Rückkehr zu Maß und Mitte auszurufen?
Forderungen der Gewerkschaften können erst mal getrost den Tarifpartnern überlassen werden. Übrigens: Dass Deutschland zum Beispiel sehr gut durch die Finanzkrise gekommen ist, hat auch mit der zuletzt höchst zurückhaltenden Lohnpolitik der Gewerkschaften zu tun.

Kann es nicht sein, dass in einem Jahr ein ganz anderer Kurs vonnöten ist als heute, nämlich Wachstumspolitik?
Durchaus. Das würde aber doch nur bedeuten, dass auch die notwendige Wiederauferstehung Europas dann über Wachstum zu finanzieren ist.

Wir erleben derzeit Konjunkturpolitik pur, haben aber Defizite bei Zukunftsfeldern.
Im Grunde könnte die SPD an ihr Programm aus dem Jahr 1998 anknüpfen. Das hieß „Soziale Gerechtigkeit und Innovation“. Das wäre auch für die heutige Zeit das richtige Programm, wenn Sie etwa an die Digitalisierung und die Bildungspolitik denken.

Auch wenn Sie selbst Ihren Aufstieg aus kleinsten Verhältnissen ja durchaus der SPD verdanken: Ist die Sozialdemokratie an sich vielleicht ein Auslaufmodell?
Wieso sollte sie das sein? Gerade heute geht es doch darum, gesellschaftlichen Aufstieg zu ermöglichen. Unser Bildungssystem ist bei Weitem nicht so durchlässig, wie es sein müsste. Und das ist nur ein Grund von vielen.

Eine der wenigen überhaupt noch Erfolgreichen ist Mette Frederiksen in Dänemark, die Sozialpolitik mit restriktiver Ausländerpolitik kombiniert.
Ich habe in der Hochphase der Flüchtlingskrise nicht verstanden, wenn Parteifreunde mit einem „Refugees Welcome“-Button durch den Bundestag gelaufen sind. Klar, wir müssen in Deutschland eine anständige Migrationspolitik machen, zu der die Aufnahme von Flüchtlingen gehört. Zugleich müssen wir deutlich machen, dass Zuwanderung gesteuert und begrenzt werden muss. Es gibt jedoch andere Themen, die für die SPD jetzt wichtiger sind.

Worum sollte es stattdessen gehen?
Die SPD muss die Partei für den sozialen Aufstieg und des damit einhergehenden wirtschaftlichen Erfolgs für den Einzelnen sein.

Ich habe in der Hochphase der Flüchtlingskrise nicht verstanden, wenn Parteifreunde mit einem „Refugees Welcome“-Button durch den Bundestag gelaufen sind.

Demnächst jährt sich zum fünften Mal Angela Merkels Ausspruch „Wir schaffen das“. Wie stehen Sie dazu?
Ich hätte das nicht gesagt. Nicht so. Ich hätte erklärt: „Wir können das schaffen, wenn …“ Und dann wären einige Punkte gekommen, wie etwa mehr Geld für Schulen, Integration, Wohnen. Da gibt es auch nach fünf Jahren noch einigen Nachholbedarf.

Sie selbst haben einst PR-wirksam am Zaun des Kanzleramts gerüttelt. Ist Scholz ein ähnlicher Kämpfertyp?
Olaf Scholz wird einen offenen Umgang pflegen. Er kann auch kämpfen. Und er kann Tabus brechen, wie er nun etwa mit dem vorläufigen Ende der „schwarzen Null“ bewiesen hat.

Welche Eigenschaften muss ein deutscher Regierungschef generell haben?
Er oder sie braucht die Bereitschaft, jede Form von Kritik auszuhalten und auch durchzustehen, benötigt eine intakte Gesundheit, denn der Job verlangt einem wirklich viel ab, und er braucht Härte – gegenüber sich selbst, dem politischen Gegner und manchmal auch den Parteifreunden. All das bringt Olaf Scholz mit.

Wen wählen die Menschen nächstes Jahr? Eine Partei, ein Programm oder eine Person?
Mein Vorteil – oder Problem – war früher, dass ich unsere Parteiprogramme selten gelesen habe (lacht). Die Deutschen werden beides wählen: Persönlichkeit und Partei. 1998 habe ich die Wahl gemeinsam mit Oskar Lafontaine gewonnen, der die Partei als Vorsitzender ein Stück weiter links positionieren wollte. Er war klug genug zu wissen, dass man Helmut Kohl aber eher mit mir als ihm als Spitzenkandidat schlagen konnte – also einem Mann, der eher für bürgerliche Mitte und Innovationen stand.

Gerhard Schröder (links), damals noch niedersächsischer Ministerpräsident, mit seinen SPD-Kollegen Rudolf Scharping (Mitte) und Oskar Lafontaine (rechts) in Bonn. picture-alliance / dpa

Vier Jahre vor seiner Wahl zum Bundeskanzler

Gerhard Schröder (links), damals noch niedersächsischer Ministerpräsident, mit seinen SPD-Kollegen Rudolf Scharping (Mitte) und Oskar Lafontaine (rechts) in Bonn.

Schauen wir zum Schluss noch mal über den innenpolitischen Tellerrand hinaus: Wird US-Präsident Donald Trump im November wiedergewählt?
Das dachte ich lange Zeit, vor allem angesichts der gesellschaftspolitischen Entwicklungen in den USA. Das hat sich ein Stück weit relativiert.

Warum?
Trump hat schlicht gravierende Fehler im Kampf gegen Corona begangen. Man muss sich mal vorstellen: Ein amtierender US-Präsident rät seinen Bürgern allen Ernstes, sich gegen Corona Desinfektionsmittel zu injizieren. Von diesem Blödsinn mal abgesehen: Die amerikanische Gesellschaft ist sichtlich nicht in der Lage, mit der Situation umzugehen, dass die armen Leute besonders unter Corona leiden und viele von ihnen auch sterben. Das ist der große Unterschied zum deutschen Sozialstaat. Das alles wird Trump noch in Schwierigkeiten bringen.

Wer glaubt, dass sich mit Biden die amerikanische Politik im Kern ändern wird, der irrt. Als US-Präsident wird Biden die Forderungen eleganter und diplomatischer vortragen, aber der Anspruch „America first“ wird sich nicht in Luft auflösen.

Wird sich das angespannte deutsch-amerikanische Verhältnis ändern, wenn Trumps Gegenkandidat Joe Biden gewinnt?
Es ist zu hoffen, dass Biden gewinnt. Aber wer glaubt, dass sich dann die amerikanische Politik im Kern ändern wird, der irrt. Als US-Präsident wird Biden die Forderungen eleganter und diplomatischer vortragen, aber der Anspruch „America first“ wird sich nicht in Luft auflösen. Die amerikanische Gesellschaft ist generell egoistischer und isolationistischer geworden. Auch deswegen wird sich der Westen neu erfinden müssen.

Wie soll das aussehen?
Wir brauchen eine neue Außen- und Sicherheitspolitik. Dass die Nato so bleiben kann, wie sie ist, wird nicht funktionieren. Und das absolute Beistandsversprechen der USA wird angesichts des immensen wirtschaftspolitischen Drucks innerhalb des Landes nicht zu halten sein. Wir werden in Europa, innerhalb der Nato, eine eigene Struktur, ein Standbein mit eigenen Befehlsstrukturen aufbauen müssen. Das wurde schon mal 2003 versucht, und man sollte sich daran erinnern. Europa muss auch die Lösung militärischer Herausforderungen mehr als in der Vergangenheit selbst in die Hand nehmen.

Und welche Position haben wir da zur Lage in Weißrussland? Muss Präsident Alexander Lukaschenko nicht endlich Platz machen?
Natürlich muss Lukaschenko seinen Platz räumen. Das geht nur über einen Dialog, damit dieser innenpolitische Konflikt friedlich beigelegt wird.
Herr Bundeskanzler, vielen Dank für das Interview.

Kommentare (4)

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Account gelöscht!

20.08.2020, 17:45 Uhr

Herr Schröder sollte sich bitte aus der momentanen Politik raushalten. Es ist wirklich nicht schön anzusehen wie er immer von der Seitenlinie seine Kommentare abgibt. Wenn er das Bedürfnis weiter mitzureden dann sollte er wieder in die aktive Politik gehen ansonsten den Mund halten mit seinen Belehrungen. l

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