PremiumDer Chef der Freien Demokraten spricht über Deutschland als Sanierungsfall, die Entlastung der Unternehmen – und warum er CDU/CSU links der Mitte verortet.
Christian Lindner
Meinungsstark und angriffslustig: der FDP-Chef sucht besonders gern die Konfrontation mit Grünen, SPD und Linkspartei.
Bild: dpa
Berlin FDP-Chef Christian Lindner will für die von ihm geforderten Steuersenkungen zunächst höhere Schulden in Kauf nehmen. „Die schwarze Null ist das Ziel, auf dem Weg dorthin müssen wir baldmöglichst die Schuldenbremse wieder einhalten“, sagte Lindner dem Handelsblatt. „Aber zu Beginn des Turnarounds ist ein Defizit für Entlastungen und Investitionen unvermeidlich.“
Die FDP hat einen „Investitionspakt“ vorgeschlagen, bei dem die Wirtschaft um 60 Milliarden Euro entlastet werden soll, um so 120 Milliarden Euro Investitionen zu mobilisieren. „Ziel unserer Politik ist es, das Wachstum der Volkswirtschaft zu verstärken, damit sich der Staat aus seinen Schulden befreien kann“, sagte Lindner. Viele Unternehmen würden stärker investieren, wenn man ihnen die Mittel belasse und den Standort attraktiver mache. Steuererhöhungen schloss Lindner aus.
Die Bundesregierung rechnet in den kommenden Jahren mit leicht höheren Steuereinnahmen. Das Bundesfinanzministerium geht in seiner Vorlage für die Steuerschätzung nach Handelsblatt-Informationen davon aus, dass die Einnahmen von Bund, Ländern und Kommunen bis einschließlich 2025 um 18 Milliarden Euro gegenüber der Steuerschätzung aus dem November steigen. Die Steuerschätzer legen am Mittwoch ihre Prognose vor.
Herr Lindner, der erste Satz des Entwurfs des FDP-Wahlprogramms lautet: „Wie es ist, darf es nicht bleiben.“ Ist es so schlimm in Deutschland?
Teils verpassen wir Chancen, teils gleicht das Land einem Sanierungsfall. Die Wirtschaftskraft wurde vor der Pandemie nicht gepflegt, sondern verbraucht. Jetzt sind alle Reserven weg. Das Bildungssystem ist rückständig, das Sozialsystem nicht nachhaltig. Die Integration vieler Einwanderer ist noch eine Aufgabe. Wichtige Infrastruktur für die Digitalisierung und den Ausbau erneuerbarer Energien fehlt. Veränderung tut not.
CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet verspricht ein „Modernisierungsjahrzehnt“, Olaf Scholz kündigt für die SPD eine „Zukunftsregierung“ mit Investitionsoffensive an. Das Thema besetzen schon andere.
Deren Glaubwürdigkeit nach vielen Regierungsjahren werden die Menschen einschätzen. Es wird Veränderungen geben, das ist klar. Die Frage ist, welche Richtung wir einschlagen. Die einen wollen über den Staat dirigieren, besteuern, subventionieren oder verbieten; unsere Alternative ist, über den Staat einen Rahmen zu setzen, aber ansonsten auf die Freiheit zu vertrauen und die private Initiative wie den Erfindergeist zu mobilisieren.
Gerade für jüngere Unternehmer sind die Grünen kein Schreckgespenst mehr. Unter Start-ups haben sie inzwischen mehr Anhänger als die FDP – dabei müsste das doch ein Heimspiel für Sie sein.
Auch Gründerinnen und Gründer sind divers und haben unterschiedliche Wertvorstellungen und wirtschaftliche Interessen. Warten wir den Vergleich der Wahlprogramme ab. Mit unseren Ideen für mehr Wachstumskapital, Technologiefreundlichkeit, einer gezielten Einwanderungspolitik und Abbau von Bürokratie haben wir ein Angebot gemacht.
Die FDP fordert einen „Entfesselungspakt“ für die Wirtschaft. Wie soll der aussehen?
Der öffentliche wie der private Sektor müssen von der bürokratischen Selbstfesselung befreit werden. Wenn wir Deutschland neu bauen wollen, müssen wir an vielen Punkten ansetzen, von der Handhabbarkeit des Steuerrechts oder des Datenschutzes über Dokumentationsverpflichtungen und Beauftragte bis zur Bauordnung und vor allem dem Planungs- und Genehmigungsrecht.
Braucht Deutschland auch eine Staatsreform?
Ich gehe davon aus, dass dazu eine Kommission von Bund und Ländern eingerichtet wird. Schließlich datiert die letzte Föderalismusreform aus dem Jahr 2009. Die politische Debatte fokussiert sich aber zu stark auf den öffentlichen Sektor: Die neuen Arbeitsplätze in der digitalen Welt entstehen nicht in Behörden, und unsere Klimaziele erreichen wir nicht in Ministerien, sondern durch Innovationskraft.
Sie haben einen Investitionspakt für Deutschland angekündigt: Die Wirtschaft soll um 60 Milliarden Euro entlastet werden, um so 120 Milliarden Euro Investitionen zu mobilisieren. Wie wollen Sie sicherstellen, dass es dazu auch kommt?
Von links der Mitte höre ich öfters, man müsse Mittelstand und Industrie irgendwie zwingen. Dieses Bild haben wir nicht. Die deutsche Wirtschaft ist längst auf dem Weg zu Digitalisierung und Dekarbonisierung. Wir müssen sie nur machen lassen. Viele würden stärker investieren, wenn man ihnen die Mittel belässt und den Standort insgesamt attraktiver macht.
Müssten Sie nicht von einem Steuersenkungspakt sprechen und nicht von einem Investitionspakt?
Nein, denn wir würden die reine Entlastung ergänzen um Planungsbeschleunigung, Beseitigung von Technologieverboten und verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten.
Trotzdem: Ist Ihr Hebel von 100 Prozent nicht arg optimistisch?
Wir stützen uns auf die empirische Wirtschaftsforschung oder Empfehlungen des Kronberger Kreises. Dort geht man teilweise sogar von noch größeren Hebeln aus. Die letzte große Steuerreform, die von Rot-Grün und mit Zustimmung der FDP beschlossen wurde, hat die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands verbessert und Investitionen gestärkt. Natürlich gibt es noch andere Gründe, warum Deutschland bei ausländischen wie inländischen Investitionen zurückgefallen ist: Die Energiekosten sind zu hoch, der Zustand der Infrastruktur verbesserungsbedürftig, qualifizierte Mitarbeiter nicht genügend verfügbar.
Sie wollen zusätzlich die Einkommensteuer für Bürger senken und den Soli abschaffen. Wann wollen Sie angesichts der großen Steuerausfälle im Bundeshaushalt die schwarze Null wieder erreichen?
Die schwarze Null ist das Ziel, auf dem Weg dorthin müssen wir baldmöglichst die Schuldenbremse wieder einhalten. Aber zu Beginn des Turnarounds ist ein Defizit für Entlastungen und Investitionen unvermeidlich. Ziel unserer Politik ist es, das Wachstum der Volkswirtschaft zu verstärken, damit sich der Staat aus seinen Schulden befreien kann. Das ist zugleich die wirtschaftliche Grundlage, um soziale und ökologische Ziele zu realisieren. Unsere Mitbewerber von Grünen, SPD und Union konzentrieren sich aus meiner Sicht zu stark auf Konsumausgaben, die uns keine zusätzliche Dynamik bringen.
Schließen Sie Steuererhöhungen nach der Wahl aus?
Ja.
Die Union ist da weniger rigoros. Selbst Friedrich Merz sagt, es brauche erst mal einen Kassensturz nach der Corona-Pandemie.
Das zeigt die Unterschiede: Grüne, SPD und Linkspartei plädieren für mehr Steuern, übrigens in der Einkommensteuer bereits für Familienbetriebe und die qualifizierte Fachkraft. Mit diesen Steuern sollen dann zusätzliche Sozialtransfers bezahlt werden. Andersherum wäre richtig: Erst durch zusätzliche Dynamik in der Wirtschaft die Voraussetzungen schaffen, dass danach nachhaltig finanziert über neue Staatsaufgaben gesprochen werden kann. Für die FDP kann ich daher sagen: Mit uns gibt es keine Erhöhung der Steuerlast.
Christian Lindner
Der FDP-Chef beklagt verpasste Chancen und nennt Deutschland einen Sanierungsfall.
Bild: action press
Ist das also eine rote Linie in möglichen Koalitionsverhandlungen?
Mit Ausnahme von Google, Apple, Amazon und Facebook. Die können einen höheren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten. Davon abgesehen kenne ich niemanden, der zu wenig Steuern zahlt. Jede Partei muss kompromissbereit sein, aber jede Partei hat auch Grenzen, die man respektieren muss. Wenn Steuererhöhungen bei Grünen, SPD und CDU kein Selbstzweck sein sollten, worüber ich mir nicht immer klar bin, wird man sich einigen können.
Das Verfassungsgericht hat die Politik verdonnert, den Klimaschutz nicht auf die lange Bank zu schieben. Sie aber warnen, auch die heutige Generation dürfe nicht unverhältnismäßig belastet werden. Welche Belastung ist denn für Sie unverhältnismäßig?
Die Frage kann ich nicht beantworten, da wir eine andere Strategie empfehlen. Wir brauchen einen marktwirtschaftlichen Prozess, bei dem sich die günstigsten und effektivsten Formen der CO2-Einsparung durchsetzen.
Ist eine Nachbesserung des Klimaschutzgesetzes vor der Bundestagswahl noch realistisch?
Ein Klimakonsens wäre sinnvoll. Wir hätten berechenbare Rahmenbedingungen, statt nach jedem Regierungswechsel Änderungen vorzunehmen. Es ist bedauerlich, dass die Große Koalition einen Schnellschuss vorzieht und dass die Grünen erklärt haben, ohnehin jedes Paket aufschnüren zu wollen.
Sie schreiben im Programm: „Fortschritt geht nur nach vorne durch die Mitte“. Wenn die FDP die Mitte ist, wo verorten Sie die anderen?
Die Grünen beschreiben sich selbst als links. Vom Mietendeckel bis hin zur Debatte, ob das Wort Deutschland aus dem Programmtitel gestrichen werden soll, sieht man das auch. Leider lässt sich auch die Union von den Grünen treiben.
Sie sehen die Union als eine Partei links der Mitte?
Ich beschreibe nur Inhalte. Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel war grün. Friedrich Merz schließt Steuererhöhungen nicht aus. Armin Laschet will einen Fonds neben dem Bundeshaushalt, der zusätzliche Schulden aufnehmen kann. Das passt nicht zu Schuldenbremse und Maastricht-Vertrag, aber auch nicht zur bisherigen Politik der Union.
Herr Lindner, wir danken Ihnen für das Interview.
Die Fragen stellten Jan Hildebrand und Till Hoppe.
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