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29.08.2021

11:42

Interview

IG-Metall-Chef Hofmann: „Wir erleben einen immensen Subventionswettbewerb in Europa“

Von: Frank Specht

Der Gewerkschaftschef hält die Klima-Transformation der Industrie für schwierig. Im Interview spricht er über Deutschlands schlechte Karten im Standortwettbewerb.

„Das europäische Beihilferecht ist komplett kontraproduktiv, wenn es darum geht, an einem bestehenden Standort etwas Neues aufzubauen und Wertschöpfung zu erhalten.“ imago/photothek

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann

„Das europäische Beihilferecht ist komplett kontraproduktiv, wenn es darum geht, an einem bestehenden Standort etwas Neues aufzubauen und Wertschöpfung zu erhalten.“

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann fürchtet, dass die deutsche Industrie auf dem Weg ins klimaneutrale Zeitalter ins Hintertreffen geraten könnte. In Schweden entstehe erstmals seit Jahrzehnten ein neues Stahlwerk auf Basis von grünem Wasserstoff, sagte der Gewerkschafter im Interview mit dem Handelsblatt.

„Die Kunden werden diesen Stahl fordern, um ihre eigene Klimabilanz zu verbessern.“ Das Hauptrisiko für deutsche Stahlproduzenten bestehe darin, bei „grünem“ Stahl gar nicht zum Zuge zu kommen, weil der künftig in Kanada oder Skandinavien produziert werde. Denn dort lasse sich dank des hohen Wasserkraftanteils gut grüner Wasserstoff produzieren.

Stahlproduzenten und andere Industriebetriebe müssten jetzt die Investitionsentscheidungen für die klimaneutrale Zukunft treffen, sagte Hofmann. Dazu bräuchten sie aber auch verlässliche Rahmenbedingungen und Förderung. Man erlebe gerade einen immensen Subventionswettbewerb in Europa, osteuropäische Länder förderten beispielsweise stark den Aufbau von Batteriezellfertigung.

„Hier hat Deutschland als Standort schlechte Karten“, sagte Hofmann. Und das europäische Beihilferecht sei „komplett kontraproduktiv“, wenn es darum gehe, an einem bestehenden Standort etwas Neues aufzubauen und Wertschöpfung zu erhalten. Der Zugang gerade kleiner und mittlerer Unternehmen zu den Fördertöpfen sei weiter nicht zufriedenstellend.

Für die Jahre bis 2030 rechnet Hofmann mit einem Investitionsbedarf in Deutschland im Volumen von 500 Milliarden Euro. Deshalb müsse die Schuldenbremse korrigiert werden. „Und es ist auch nicht Zeit für Steuerentlastungsprogramme für Hochverdiener und Kapitalgesellschaften, wie einige Parteien es fordern“, sagte der Vorsitzende der größten deutschen Gewerkschaft mit ihren rund 2,2 Millionen Mitgliedern.

Damit Beschäftigte in der industriellen Transformation nicht auf der Strecke bleiben, fordert Hofmann von der künftigen Regierung geeignete arbeitsmarktpolitische Instrumente: „Als IG Metall haben wir das Transformationskurzarbeitergeld oder die Vier-Tage-Woche in die Debatte eingebracht. Jeder und jede Erwerbstätige sollte auch die Chance haben und es sich finanziell leisten können, im Laufe seines Berufslebens noch eine zweite Ausbildung zu machen.“

Lesen Sie hier das vollständige Interview:

Herr Hofmann, Deutschland hat die längste Industrierezession der Nachkriegsgeschichte hinter sich, für dieses Jahr wird wieder Wachstum erwartet. Ist der Industriestandort über den Berg?
Konjunkturell ja – wenn uns Lieferkettenprobleme nicht noch länger daran hindern, die gute Auftragslage über fast alle Branchen hinweg auch auszuspielen. Bei den strukturellen Fragen bin ich skeptischer.

Sie haben die Lieferschwierigkeiten etwa bei Halbleitern angesprochen. Haben wir uns da zu sehr auf andere Länder verlassen?
Wir erleben gerade einen Hallo-wach-Effekt, welche Relevanz souveräne europäische Wertschöpfungsketten haben. Auf für die Industrie relevanten Feldern – beispielsweise bei Halbleitern oder Batteriezellen – brauchen wir Wertschöpfung in Europa. Wir müssen uns zudem unabhängiger davon machen, ob im Suezkanal ein Frachter quersteht oder nicht, und auch Wertstoffkreisläufe stärker nutzen – auch um Abhängigkeiten im Bezug von Rohstoffen zu minimieren.

Die Dekarbonisierung und die Digitalisierung sind die großen Herausforderungen für die Industrie von morgen. Was erwarten Sie als Gewerkschafter hier von der künftigen Bundesregierung?
Wir brauchen die richtigen arbeitsmarktpolitischen Instrumente, damit in der Transformation niemand entlassen werden muss. Als IG Metall haben wir das Transformationskurzarbeitergeld oder die Vier-Tage-Woche in die Debatte eingebracht. Jeder und jede Erwerbstätige sollte auch die Chance haben und es sich finanziell leisten können, im Laufe seines Berufslebens noch eine zweite Ausbildung zu machen.

Jörg Hofmann

Der Gewerkschafter

Der Schwabe Jörg Hofmann ist seit Oktober 2015 Erster Vorsitzender der IG Metall, der mit 2,2 Millionen Mitgliedern größten deutschen Gewerkschaft. 2019 bestätigte ihn der Gewerkschaftstag für vier weitere Jahre im Amt. Der 65-Jährige ist SPD-Mitglied und sitzt im Aufsichtsrat von Bosch und Volkswagen.

Der Berater

Der Ökonom ist ein gefragter Berater der Bundesregierung, etwa als Mitglied im Lenkungskreis der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität. Dort leitet er die Arbeitsgruppe 4, die sich um die Themen Sicherung des Mobilitäts- und Produktionsstandorts, Batteriezellproduktion, Rohstoffe und Recycling sowie Bildung und Qualifizierung kümmerte. Auch bei der Plattform Arbeiten 4.0 des Arbeitsministeriums und Industrie 4.0 des Wirtschafts- und des Forschungsministeriums wirkte er mit.

Was zeichnet aus Ihrer Sicht gute Industriepolitik aus?
Sie sollte dafür sorgen, dass gut florierende Regionen, die heute beispielsweise am Bau von Verbrennungsmotoren hängen, auch weiterhin florieren können – mit neuen nachhaltigen Geschäftsmodellen.

Da fehlt mir ein wenig die Fantasie ...
Man muss sich anschauen, was man in einer Region Neues aufbauen kann, ohne dass Unternehmen komplett neu investieren oder alle Mitarbeiter umschulen müssen. Firmen aus der klassischen Komponentenfertigung für Motoren könnten beispielsweise Kühlsysteme für Batteriezellen bauen oder sich im wachsenden Recyclingmarkt engagieren. Wenn wir Beschäftigung sichern wollen, muss an den Standorten investiert werden, an denen alte Produkte und Dienstleistungen auslaufen – und nicht in Niedriglohnländern. Das verlangt von den Unternehmen, sich der Verantwortung für die Standorte und die dort Beschäftigten zu stellen.

Und wenn andere Länder bessere Investitionsbedingungen bieten?
Wir erleben einen immensen Subventionswettbewerb in Europa. Osteuropäische Länder fördern beispielsweise stark den Aufbau von Batteriezellfertigung. Hier hat Deutschland als Standort schlechte Karten. Das europäische Beihilferecht ist komplett kontraproduktiv, wenn es darum geht, an einem bestehenden Standort etwas Neues aufzubauen und Wertschöpfung zu erhalten. Die von der Bundesregierung initiierten IPCEI-Programme (geförderte, länderübergreifende Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse, d. Red.) etwa für Batteriezellproduktionen sind hilfreich, aber können diesen Konstruktionsfehler nicht ausgleichen. Und hinzu kommen noch die hohen Energiekosten in Deutschland.

Die Regierung hat gerade eine Milliarde Euro für den Zukunftsfonds Automobilindustrie bereitgestellt, um die Transformation in der Branche zu unterstützen. Das ist doch nicht wenig Geld, oder?
Die Fördertöpfe sind größer geworden, aber ohne Ideen helfen sie wenig. Und ich sehe das Risiko, dass Mittel bei den üblichen Beutegemeinschaften landen und nur teilweise dazu beitragen, Beschäftigung zu stärken. Der Zugang von kleinen und mittleren Unternehmen zu den Fördertöpfen ist weiter nicht zufriedenstellend. Umso wichtiger ist es, auch hier über die regionalen Transformationsnetzwerke Unterstützung zu geben.

Die IG Metall fordert, Ökologie und Soziales nicht gegeneinander auszuspielen. Kann das überhaupt gelingen, wenn die Klimaziele im Eiltempo immer weiter verschärft werden?
Es kann gelingen, aber es wird immer anspruchsvoller. Wenn ich bis 2030 rund 14 bis 16 Millionen Elektroautos auf die Straße bringen will, müssen die auch irgendwo Strom tanken. Die EU-Kommission hat den Ausbau der europäischen Ladeinfrastruktur zumindest als Thema adressiert, das deutsche Klimaschutzgesetz sagt dazu leider gar nichts. Und ob sich die Batteriezellfertigung so schnell aufbauen lässt, um den Bedarf zu decken, bezweifele ich auch.

Hofmann: „Die Unternehmen müssen jetzt die Investitionsentscheidungen treffen und beim Umbau gefördert werden.“

Stahlproduktion

Hofmann: „Die Unternehmen müssen jetzt die Investitionsentscheidungen treffen und beim Umbau gefördert werden.“

Auch die Stahlindustrie, die für 30 Prozent der industriellen CO2-Emissionen steht, soll grün werden. Haben deutsche Produzenten da eine Chance?
Die Technik ist da. Die Unternehmen müssen jetzt die Investitionsentscheidungen treffen und beim Umbau gefördert werden. Aber dann fangen die Fragen ja erst an: Woher kommt der Wasserstoff? Akzeptieren wir für eine Übergangsphase auch „blauen“ Wasserstoff, und wo kommt der her? Es wird ja gern vergessen, dass wir 70 Prozent unseres Energiebedarfs durch Importe decken.

Lachen sich Stahlhersteller in China oder Südkorea nicht ins Fäustchen, wenn europäischer Stahl durch die Klimaschutzauflagen immer teurer wird?
Wir brauchen im Außenhandel Instrumente, die europäische Hersteller vor Dumpingimporten schützen, die unter niedrigeren Klimastandards produziert wurden. Aber es gibt noch ein ganz anderes Problem: In Schweden entsteht erstmals seit Jahrzehnten ein neues Stahlwerk auf Basis von grünem Wasserstoff. Die Kunden werden diesen Stahl fordern, um ihre eigene Klimabilanz zu verbessern. Das Hauptrisiko für deutsche Produzenten besteht darin, dass sie bei „grünem“ Stahl gar nicht zum Zuge kommen, weil der in Kanada oder Skandinavien produziert wird. Denn dort lässt sich dank des hohen Wasserkraftanteils gut grüner Wasserstoff produzieren.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat jüngst die Strombedarfsprognose deutlich nach oben korrigiert, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat als Vizekanzler die CO2-Abgabe mitbeschlossen, regt sich dann aber über steigende Benzinpreise auf. Brauchen wir mehr Ehrlichkeit in der Klimadebatte?
Der steigende Strombedarf war offensichtlich und seit Jahren erkennbar. Und wenn man die CO2-Bepreisung im Verkehr will, kann man nicht gleichzeitig sagen, dass niemand daraus Nachteile haben soll. Denn sonst nehme ich ja jede Lenkungswirkung. Richtig ist, darüber nachzudenken, wie wir den Elektroantrieb noch schneller in die Breite bringen und es schaffen können, die Bestandsflotte schneller zu verjüngen.

Brauchen wir noch einmal eine Abwrackprämie?
Die heutige Subventionierung wird irgendwann auslaufen und durch ein neues Instrument ersetzt werden müssen. Wir brauchen ein Instrument, das den Umstieg auf die E-Mobilität auch bei Menschen, die weniger verdienen, beschleunigt.

Damit Deutschland im Standortwettbewerb nicht zurückfällt, halten Ökonomen unterschiedlicher Lager bis 2030 staatliche Investitionen in Höhe von 450 Milliarden Euro für erforderlich. Woher soll das Geld kommen?
Diese Rechnung stammt aus einer Zeit, als wir noch nicht die neuen Klimavorgaben hatten. Ich würde den Bedarf heute eher bei 500 Milliarden und mehr sehen. Deshalb muss die Schuldenbremse korrigiert werden. Und es ist auch nicht Zeit für Steuerentlastungsprogramme für Hochverdiener und Kapitalgesellschaften, wie einige Parteien es fordern.

Der DGB fordert eine Vermögensteuer und eine Reform der Erbschaftsteuer. Beides würde auch Unternehmen belasten und womöglich Investitionen hemmen.
Wer investiert und sein Betriebsvermögen dafür verwendet, der soll aus meiner Sicht auch nicht belastet werden. Aber hohe Vermögen finden sich leider weniger im Produktivkapital, sondern sind auf den Finanzmärkten angelegt. Und hier kann ein angemessener Beitrag verlangt werden, um die Vermögensungleichheit nicht weiter wachsen zu lassen.

Ein Steuer-Euro kann aber nur einmal ausgegeben werden. Soll er investiert werden oder lieber in die Rentenkasse fließen, um die von der IG Metall angestrebte Erhöhung des Rentenniveaus zu finanzieren?
Das muss sich nicht ausschließen. Gute Rentenpolitik ist vor allem gute Arbeitsmarktpolitik. Wenn wir es schaffen, dass im Zuge der Transformation durch Qualifizierung, durch die richtigen Instrumente, gut bezahlte Arbeit wieder der Normalfall wird in der Republik, dann hätten wir auch in den Sozialversicherungssystemen deutlich mehr Spielraum.

Die Arbeitgeber treibt vor allem die Sorge um, dass die Sozialbeiträge weiter steigen. Ist die 40-Prozent-Marke für Sie sakrosankt?
Auch wir haben natürlich kein Interesse daran, dass die Sozialabgaben endlos nach oben schießen – schon, weil Geringverdiener dadurch besonders belastet werden. Aber was passiert, wenn es uns nicht gelingt, die Transformation so zu gestalten, dass es keine Zunahme von Arbeitslosigkeit und prekären Jobs gibt? Dann wird gar kein Weg daran vorbeiführen, auch an der Abgabenschraube zu drehen. Denn Leistungskürzungen, nur um die 40-Prozent-Marke zu halten, werden den Bürgern kaum vermittelbar sein. Wir würden das keinesfalls akzeptieren.

Hofmann: „Die nächste Tarifrunde Metall und Elektro ist im Herbst 2022 und wird sicher stark vom Thema Entgelterhöhung geprägt werden.“ imago images/HärtelPRESS

Plakat aus der letzten Metall-Tarifrunde

Hofmann: „Die nächste Tarifrunde Metall und Elektro ist im Herbst 2022 und wird sicher stark vom Thema Entgelterhöhung geprägt werden.“

Brauchen wir wieder mehr Frühverrentung, um die Arbeitsplatzverluste in der Transformation abzufedern?
Das große Ziel muss sein, auch Älteren eine Perspektive in Beschäftigung zu geben. Gerade die Digitalisierung kann dazu einen Beitrag leisten. Wir werden aber in einigen Unternehmen auch nicht umhinkommen, Personal sozialverträglich abzubauen. Die Altersteilzeit allein kann nicht das letzte Wort sein.

Die IG Metall hat sich in den letzten Lohnrunden coronabedingt zurückgehalten. In diesem Jahr werden die Reallöhne voraussichtlich zum ersten Mal seit vielen Jahren sinken. Ist die Zeit der Lohnzurückhaltung damit vorbei?
Die nächste Tarifrunde Metall und Elektro ist im Herbst 2022 und wird sicher stark vom Thema Entgelterhöhung geprägt werden. Wir waren alle überrascht, wie deutlich die Inflation angezogen hat. Wir hatten in der letzten Tarifrunde noch zwei Prozent eingepreist und liegen jetzt deutlich darüber.

Fürchten Sie nicht, eine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen?
Im Moment wird die Preisentwicklung nicht von der Nachfrageseite getrieben, sondern vom knappen Angebot bei Rohstoffen und Energie. Und das wird durch die Entgeltentwicklung nicht entscheidend beeinflusst.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Ihr Parteifreund Olaf Scholz Bundeskanzler wird?
Es ist zumindest nicht mehr unwahrscheinlich.

Und in welcher Regierungskonstellation würden Sie ihn gern sehen?
Als Sozialdemokrat hoffe ich persönlich natürlich auf eine starke SPD in Regierungsverantwortung. In welcher Konstellation? Das ist mir viel zu viel Spekulation. Abwarten, was der 26. September bringt.

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