Reich an Rohstoffen und politisch stabil: Selten war die Freundschaft zu Kanada so wertvoll. Kanzler Scholz kommt mit einem Dutzend Wirtschaftsbossen – und großen Erwartungen.
Ankunft in Montreal
Kanadas Finanzministerin und Vize-Premierministerin Chrystia Freeland begrüßt Olaf Scholz auf dem Flughafen Montreal. Der Bundeskanzler bringt nicht nur seinen Wirtschaftsminister mit.
Bild: dpa
Berlin, Düsseldorf, Toronto Bloß 6000 Einwohner hat das Städtchen in Neufundland im Osten Kanadas. Doch Stephenville soll zum Schauplatz für den Abschluss eines in Zukunft für Deutschland möglicherweise entscheidenden Abkommens werden. Am Dienstag wollen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) dort mit ihren kanadischen Partnern eine Wasserstoff-Allianz besiegeln.
Der Osten Kanadas bietet nach Einschätzung von Fachleuten hervorragende Voraussetzungen für die Produktion von klimaneutralem grünem Wasserstoff. Das Interesse deutscher Unternehmen ist groß. Unter anderem Siemens Energy, Evonik, RWE, der Anlagenbauer SMS Group, der Elektrolyseur-Spezialist Thyssen-Krupp Nucera und Uniper werden am Dienstag im Rahmen einer Ausstellung in Stephenville dabei sein.
Allein dass Scholz und Habeck die Kanada-Reise am Sonntagnachmittag gemeinsam angetreten haben, zeigt, welchen Stellenwert das nordamerikanische Land in Zukunft haben könnte. „Das Land verfügt über ähnliche reiche Bodenschätze wie Russland – mit dem Unterschied, dass es eine verlässliche Demokratie ist“, sagte Scholz nach seiner Ankunft in Montreal. „So eröffnen sich neue Felder der Zusammenarbeit. Insbesondere beim Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft wollen wir eng kooperieren.“
Der Ukrainekrieg hat die geopolitischen Achsen verschoben. Deutschland muss die Beziehung zu befreundeten Staaten vertiefen, um sich besser gegen globale Risiken zu wappnen und gleichzeitig den durch internationale Zusammenarbeit aufgebauten Wohlstand zu erhalten.
Kaum ein Land scheint dafür so prädestiniert wie Kanada, das, politisch stabil, die westlichen Werte teilt und durch seine Voraussetzungen im Energiesektor große Hoffnungen weckt – nicht nur beim Wasserstoff, sondern auch beim Gas. Letzteres ist offiziell zwar kein Thema der Reise, wird laut Regierungskreisen ohne Zweifel aber Teil vieler Gespräche sein.
Die Hoffnungen teilt auch die deutsche Wirtschaft. So werden Scholz und Habeck von rund einem Dutzend Unternehmenschefs begleitet, darunter der scheidende Volkswagen-CEO Herbert Diess und Siemens-Energy-Boss Christian Bruch. Außerdem ist Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach dabei. „Mit dem Ausbau dieser Zusammenarbeit können wir hoffentlich einen Beitrag zur Versorgungssicherheit in Deutschland leisten“, sagte Maubach dem Handelsblatt.
Bislang waren die deutsch-kanadischen Wirtschaftsbeziehungen begrenzt. 2021 standen deutsche Exporte von zehn Milliarden Euro kanadischen Exporten von 6,2 Milliarden Euro gegenüber. In der Rangfolge der wichtigsten Handelspartner Deutschlands steht Kanada nur auf dem 31. Platz.
Doch schon vor der Reise hat die deutsche Ampelregierung deutlich gemacht, dass sich daran etwas ändern soll. Seit 2017 ist das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta in Kraft – allerdings nur vorläufig, weil viele EU-Staaten es noch nicht ratifiziert haben, allen voran Deutschland. Nachdem sich die alte und zunächst auch die neue Bundesregierung lange nicht hatten einigen können, raufte sich die Koalition nun im Juni zusammen.
Die Ceta-Ratifizierung wurde nun angestoßen und soll abgeschlossen werden, nachdem bestimmte Zusatzerklärungen zum Investitionsschutz getroffen worden sind. Über die Erklärungen gibt es nach Handelsblatt-Informationen aktuell zwar einen Dissens zwischen Bundesregierung und EU-Kommission. Es geht darum, wie weitgehend die Erklärungen sein können. Doch die Ampel hat deutlich gemacht, die Ratifizierung nicht mehr scheitern lassen zu wollen.
>>Lesen Sie dazu: Aufbruch in der Handelspolitik – Deutschland macht neue Abkommen möglich
Den Stellenwert der deutsch-kanadischen Zusammenarbeit hat spätestens die Posse um die Turbine für die Gaspipeline Nord Stream 1 gezeigt. Russland hatte die in Kanada gewartete Turbine als Begründung für die Drosselung der Lieferungen genutzt, weil das Bauteil aufgrund von Sanktionen nicht zurückgeliefert werden konnte. Habeck machte sich daraufhin eigens bei Premier Justin Trudeau für eine Ausnahme stark. Nun lagert die Turbine in Deutschland.
In der akuten Energiekrise Deutschlands wird Kanada aber wohl keine direkte Hilfe sein. Bis zur Marktreife des Wasserstoffs dauert es noch. Auch beim Gas ist Kanada nur ein Hoffnungswert. Das Land hat zwar immense Vorkommen. Doch es gibt keine Terminals an der Ostküste Kanadas, die für einen Schiffstransport von Flüssiggas (LNG) nach Europa geeignet wären. Pläne für den Bau gibt es zwar, aber auch innenpolitischen Widerstand.
Selbst bei einer raschen Umsetzung würden die LNG-Lieferungen aus Kanada Deutschland nicht innerhalb der nächsten Jahre erreichen. Premierminister Trudeau sagte am Freitag, dass Kanada nicht viel tun könne, um Deutschland durch den kommenden Winter zu helfen.
Am meisten Chancen hat noch das Terminal an der Westküste für die Belieferung Asiens, was Deutschland indirekt helfen könnte. Kanzler Scholz verweist darauf, dass jedes neu erschlossene Gasfeld auf der Welt helfe. Denn der Preis ist deshalb so stark gestiegen, weil große Mengen russischen Gases auf dem Weltmarkt fehlen und es ein Ringen um die knappen restlichen Ressourcen gibt.
>>Lesen Sie dazu: Warum ein schnelles Energiegeschäft zwischen Deutschland und Kanada unrealistisch ist
Mehr Hoffnung richtet die Bundesregierung deshalb auf Kanada als langfristigen Unterstützer bei der Transformation der Wirtschaft. Grüner Wasserstoff gilt als Schlüssel zur Dekarbonisierung und soll Gas und Öl in der Industrie sowie im Flug- und Schwerlastverkehr vollständig ersetzen. Grüner Wasserstoff wird mittels Strom aus erneuerbaren Quellen und Wasser durch Elektrolyse hergestellt und ist klimaneutral.
Weil die Fläche zur Produktion von Wind- und Sonnenstrom in Deutschland begrenzt ist, wird ein großer Teil des grünen Wasserstoffs aus dem Ausland importiert werden müssen. Kanada soll eine Schlüsselrolle spielen. Fachleute gehen davon aus, dass ab 2026 erste Wasserstofflieferungen von dort möglich sind.
Die Voraussetzungen sind ideal, wie eine Studie des Beratungsunternehmens Adelphi aus dem vergangenen Jahr belegt. Kanada habe ein so erhebliches Potenzial für die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen, „dass langfristig der gesamte eigene Energiebedarf gedeckt werden kann und erhebliche Überschüsse für den Export von Grünwasserstoff genutzt werden könnten“, heißt es darin. Kanada werde womöglich so viel exportieren können, dass damit mehr als ein Drittel des deutschen Energieverbrauchs gedeckt werden könnte.
Nach Überzeugung von Raffaele Piria von Adelphi bietet eine kanadisch-deutsche Was
serstoff-Allianz große Vorteile: „Als stabile Demokratie ist Kanada ein idealer Partner, von dem Deutschland langfristig erhebliche Mengen grünen Wasserstoffs importieren könnte“, sagte Piria. Gerade der Osten des Landes mit seinen Häfen habe „ein immenses Potenzial“.
Adelphi arbeitet seit Jahren im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums an der Vorbereitung der deutsch-kanadischen Zusammenarbeit in Energiefragen, Piria ist dabei federführend.
Neben Wasserstoff macht man sich in Berlin auch Hoffnungen auf Kanada, um nicht in neue Abhängigkeiten von autoritären Staaten bei bestimmten Rohstoffen zu geraten, heißt es in Regierungskreisen. Kanada ist einer der größten Produzenten von Nickel, Kobalt und Kupfer weltweit. Pierre Gratton, Präsident des kanadischen Bergbauverbands, sagt: „Wir können den Europäern Rohstoffe liefern, die grüner und mit höheren Umweltstandards erzeugt wurden als sonst irgendwo auf der Welt.“
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (5)