„Bosco Verticale“
Der Gebäudekomplex „Bosco Verticale“ in Mailand mutet futuristisch an.
Bild: imago images/Panthermedia
Mehr Bäume, mehr Schatten und mehr Platz für Regenwasser: Es gibt viele Möglichkeiten, um Hitze in den Städten langfristig abzumildern. Eine Auswahl.
Berlin Dunkler Asphalt und viel Beton, wenig Grün und wenig Schatten: Deutsche Städte können durch ihre Beschaffenheit zu wahren Hitzespeichern werden – und für ihre Bewohner:innen während der Juli-Hitze einem Backofen gleichen.
Dicht bebaute Stadtzentren sind teils zwischen zwei und acht Grad heißer als das weniger besiedelte Umland. In der Forschung ist dieses Phänomen bereits lange als „urbaner Hitzeinseleffekt“ bekannt.
Doch die Klimakrise befeuert Hitzewellen, macht sie länger und intensiver – auch in den Metropolen. In Deutschland hat die Zahl der heißen Tage mit Temperaturen ab 30 Grad Celsius deutlich zugenommen: von vier Tagen in den 1960er Jahren auf durchschnittlich 11,1 Tage im zurückliegenden Jahrzehnt. Mit der zunehmenden Erderwärmung ist mit noch mehr Hitzetagen zu rechnen – was wieder einmal die Frage aufwirft, wie sich Städte hitzefester machen und herunterkühlen lassen.
Genau das hat eine im Juni publizierte Studie im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA) untersucht. Die Forschenden haben dafür die Wirksamkeit von verschiedenen Maßnahmen in fünf beispielhaften Wohnquartieren simuliert: in Hamburg, Frankfurt am Main und Köln sowie Madrid in Spanien und Tunis in Tunesien.
Auch wenn jedes Wohnquartier seine Eigenheiten und unterschiedlichen Voraussetzungen mitbringt, konnten die Fachleute eine ganze Reihe an sinnvollen Maßnahmen ausmachen.
Zusammengefasst helfen mehr Bäume, mehr Schatten durch Mittel wie Markisen und Jalousien und mehr begrünte Innenhöfe oder Wiesen gegen Hitze in den Städten. Darüber hinaus können hellere Oberflächen auf Dächern, Fassaden, Straßen und Gehwegen die Temperaturen reduzieren. Dächer zu begrünen, Parkplätze zu entsiegeln sowie Wasser versickern zu lassen, können ihr Übriges tun.
Wasserspiele
„Mehr Blau“: Damit meinen Fachleute häufig mehr Wasserelemente wie Springbrunnen, die eine kühlende Wirkung haben
Bild: imago/snapshot
Auch wenn die Behörden Teiche, Spring- oder Trinkbrunnen anlegen, können sie die Umgebung und angrenzende Häuser bis zu einem gewissen Grad herunterkühlen. Entlastung schaffen ebenso Kaltluftschneisen.
In ihnen kann kalte und frische Luft über Wäldern und Feldern entlang der Hauptwindrichtung bis in die Wohngebiete wehen – vorausgesetzt, eine solche Kaltluftschneise ist nicht zugebaut, wie es teilweise in Frankfurt am Main mit dicht bebauten Hochhäusern der Fall ist.
In dieser Auswahl sieht auch Andreas Matzarakis, Professor für Umweltmeteorologie am Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung Freiburg, sinnvolle Maßnahmen gegen Hitzestau. „Grün und Blau in der Stadt, aber auch technische und künstliche Maßnahmen – beispielsweise Sonnensegel – können hilfreich sein.“ Zum „Blau“ gehören unter anderem Spring- und Trinkbrunnen oder künstlich angelegte Teiche.
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Anti-Hitze-Vorkehrungen sollten laut Matzarakis das ganze Jahr über funktionieren, schnell umsetzbar und nicht zu teuer sein. Mit Blick auf den Hitzeschutz sagt der Forscher: „Innenräume nehmen dabei eine große Rolle ein, weil wir die meiste Zeit des Tages in ihnen verbringen.“
Wie ausgewählte Maßnahmen Hitze aus Städten fernhalten können, hat die UBA-Studie im Einzelnen betrachtet. So können Gräser, Sträucher und Bäume auf Dächern oder an Fassaden Abkühlung schaffen.
Eines der berühmtesten Beispiele hierfür sind die „Bosco Verticale“ im italienischen Mailand: Zwei Hochhäuser aus Stahl und Glas, bewachsen mit 900 Bäumen und 2000 Pflanzen. Die grüne Pracht lässt die Zwillingstürme wie einen lebenden Organismus erscheinen.
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Der Wuchs ist nicht nur ein Hingucker und Touristenmagnet, sondern kann laut Umweltbundesamt auch sommerliches Aufheizen reduzieren. An heißen Tagen verdunstet viel Wasser von den Pflanzen und kühlt den berühmten Gebäudekomplex mit den Wohnungen ab.
„Bosco Verticale“
Gräser, Sträucher und Bäume auf Dächern oder an Fassaden können Studien zufolge Abkühlung schaffen.
Bild: Reuters
Auch wenn Eigentümer:innen die Dächer von Häusern eine Nummer kleiner begrünen – zum Beispiel nur mit niedrigwüchsigen Pflanzen und einer dünneren Erdschicht –, lässt sich der Studie zufolge ein Kühleffekt nachweisen.
Die Vorteile von begrünten Dächern – mehr gespeichertes Wasser und weniger Hitze – hat die Politik erkannt. Düsseldorf gilt als Vorreiter, fördert Dachbegrünung und kartiert sie. Hier gibt es laut UBA-Studie bereits 1300 Gebäude mit begrünten Dächern, die eine Fläche von 730.000 Quadratmetern oder 100 Fußballfeldern einnehmen.
Düsseldorf
Eine acht Kilometer lange Hainbuchenen-Hecke ziert Dach und Fassade des neuen Wohn- und Geschäftsgebäudes Kö-Bogen II am Gustav-Gründgens-Platz.
Bild: imago images/Cord
In Berlin krankt ein 2019 aufgelegtes Förderprogramm des Senats noch an mangelndem Interesse. Bis zum Frühjahr haben gerade einmal 19 Antragsteller:innen ihr Geld für neue begrünte Dächer ausgezahlt bekommen.
So ziemlich das Gegenteil von Dachgrün pflastert Wege, Hofflächen und Parkplätze in den Städten: Asphalt oder Beton. Dadurch kann Regenwasser aber nicht in den Boden sickern. Abhilfe schafft hier laut UBA-Studie Entsiegelung – das bedeutet zum Beispiel, betonierte Flächen aufzubrechen. Dort versickerndes Regenwasser steigert mit der Zeit den örtlichen Grundwasserspiegel und die „Böden geben Feuchtigkeit an die Luft ab und kühlen diese“, heißt es in der Analyse.
Auf diese Weise Straßen und Parkplätze zu entsiegeln, folgt dem Ideal der „Schwammstadt“: Wertvolles Regenwasser soll nach diesem Prinzip nicht länger in der Kanalisation oder in Flüssen landen, sondern zu Grundwasser werden und damit neben der Hitze auch Dürre bekämpfen.
Als Ersatz für versiegelnden Beton eignen sich demnach Pflaster mit Poren oder weiten Fugen sowie Schotterdecken, -rasen oder Rasengittersteine.
Ein weiterer Ansatz: Mehr Bäume kühlen die Umgebungsluft um bis zu zwei Grad Celsius und darunter liegenden Asphalt um bis zu 20 Grad Celsius, weil Blätter und Baumkronen viel Fläche verschatten und gespeichertes Wasser verdunsten lassen. Zuständige Behörden sollen die Bäume möglichst in Grünstreifen pflanzen und nicht im Pflaster, weil sie dort widerstandsfähiger gegen Wärme- und Trockenstress seien. Die Expert:innen nennen hier vor allem Arten, die an zukünftige und damit extremere Klimabedingungen angepasst sind: darunter Tulpenbaum, Ginkgo, Baumhasel und Zierkirsche.
Um Freiräume oder Wege in den Städten zu verschatten, empfehlen die Autor:innen des Berichts Sonnensegel oder Solarzellen. So heizen sich Vorplätze oder Dächer von Gebäuden geringer auf und strahlen die gespeicherte Wärme in der Nacht weniger in die Umgebung ab. „Beschattung ist vor allem bei großen Plätzen wichtig, da diese sonst von Personen gemieden werden“, heißt es dazu im Report.
Sonnenschutz
Sonnenschutz schafft kühlenden Schatten in Seitenstraßen der spanischen Hauptstadt Madrid.
Bild: Imago [Bernd König]
Als ein Positivbeispiel gilt in der Studie ein großzügiges Membrandach am Urban-Loritz-Platz in Wien, das Wartebereiche und Fußwege überspannt und schützt.
Helle und reflektierende Oberflächen wiederum können Sonnenstrahlen ablenken und speichern die Wärme deutlich weniger als anders beschaffene Flächen. Das betrifft Dächer, Straßen und Hausfassaden. Besonders in dicht bebauten Wohnquartieren sei die Maßnahme effektiv, weil dann große Dachflächen vorhanden sind.
Membrandach
Ein Membrandach verschattet den Wiener Urban-Loritz-Platz vor der Hauptbibliothek.
„Oberflächen können auch nachträglich aufgehellt werden, indem sie mit einer hellen Farbschicht versehen werden“, heißt es in der Analyse. Dieser Taktik bedienen sich bereits US-amerikanische Metropolen wie New York und Los Angeles – aber auch in Athen und Teilen Österreichs nutzt man helle Farbe an Hauswänden und auf dem Straßenbelag im mühseligen Kampf gegen die sommerliche Hitze.
Die UBA-Studie zeigt, dass es an Handlungsoptionen gegen Hitze in den Städten kaum mangelt. Dafür wird die Dringlichkeit des Problems zunehmen – nicht nur wegen einer verstärkten Heißzeit und wegen einer alternden und vulnerableren Bevölkerung. Sondern auch, weil aller Voraussicht nach immer mehr Menschen in deutschen Städten leben werden.
Laut Berechnungen der Vereinten Nationen wird der Anteil an Stadtbewohner:innen in Deutschland von 77 Prozent in diesem Jahr auf 84,3 Prozent bis zum Jahr 2050 steigen.
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