Was die Große Koalition aktuell gegen die Verschwendung von Nahrungsmitteln plant, reicht den Grünen nicht. Sie wollen härter durchgreifen.
Renate Künast
Die ernährungspolitische Sprecherin der Grünen fordert verpflichtende Maßnahmen für Lebensmittelhändler.
Bild: dpa
Berlin Die Grünen wollen Lebensmittelverschwendung per Gesetz einen Riegel vorschieben. „Wir wollen ein Anti-Wegwerf-Gesetz, das Lebensmittelmärkte verpflichtet, noch genießbare Lebensmittel an Hilfsorganisationen abzugeben und Lebensmittelproduzenten verpflichtet, Lebensmittel nicht aufgrund von Kennzeichnungsmängeln zu vernichten“, sagte die ernährungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, dem Handelsblatt.
In einem parlamentarischen Antrag, der dem Handelsblatt vorliegt und am Donnerstag in den Bundestag eingebracht werden soll, fordert die Grünen-Bundestagsfraktion die Bundesregierung auf, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Als Vorbild nennen sie darin Frankreich. Dort müssen Supermärkte mit einer Ladenfläche von mehr als 400 Quadratmetern unverkaufte Lebensmittel an örtliche Tafeln oder andere gemeinnützige Organisationen spenden. Pro Vergehen droht eine Geldstrafe von 3.750 Euro.
Die Grünen fordern zudem per Erlass sicherzustellen, dass für Lebensmittel, die an gemeinnützige Organisationen gespendet werden, keine Umsatzsteuer anfällt. Außerdem halten sie einen „ordnungsrechtlichen Rahmen“ für notwendig, der Lebensmittelmärkten ermöglicht, „noch genießbare Lebensmittel erreichbar zugänglich zu machen und unangemessene Haftungsrisiken für unverschlossenes Bereitstellen ausschließt“.
Der Antrag der Grünen enthält ein Bündel von Maßnahmen, um, wie es in dem Dokument heißt, die Lebensmittelverschwendung „bis zum Jahr 2025 um 30 Prozent zu verringern und bis 2030 zu halbieren“. So soll etwa auch das Mitnehmen weggeworfener Lebensmittel aus Abfallbehältern, das sogenannte Containern, in Deutschland künftig straffrei werden. „Außerdem wollen wir das Mindesthaltbarkeitsdatum auf sehr langlebige Lebensmittel wie Reis und Nudeln abschaffen“, sagte Künast. Laut dem Antrag soll sich die Bundesregierung auf EU-Ebene für die Maßnahme einsetzen.
Die Grünen plädieren überdies für den Einsatz elektronischer Preisschilder, die einen Preisnachlass ausweisen, wenn das Ablaufdatum näher rückt. Damit der Lebensmittelhandel davon Gebrauch macht, solle die Bundesregierung entsprechende „technische Innovationen“ fördern.
Künast sieht dringenden Handlungsbedarf. „Lebensmittel zu verschwenden ist nicht nur ein respektloser Umgang mit unseren Nahrungsmitteln, sondern schadet vor allem unserer Umwelt und dem Klima“, so die Grünen-Politikerin.
Viele Punkte im Antrag decken sich mit den Vorstellungen von Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU). Bereits im Februar hatte das Bundeskabinett die sogenannte Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung beschlossen. Zentrale Forderung: bis 2030 die Lebensmittelverschwendung um die Hälfte zu reduzieren. Zwischenetappen wurden indes bislang nicht formuliert.
Gemeinsam mit allen Sektoren wolle man sich auf konkrete Zielvorgaben einigen, die überprüfbar eingehalten werden müssten, erklärte das Ministerium erst im September. „Von den Landwirten, über die verarbeitenden Betriebe, den Groß- und Einzelhandel bis zur Gastronomie und den Privathaushalten: Für alle Sektoren entwickeln wir Maßnahmen zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung.“
Die Landwirtschaft etwa könne noch bedarfsgerechter produzieren, Lebensmittelhersteller seien angehalten, Prozesse so zu optimieren, dass weniger Lebensmittelabfälle entstehen. Bei den Endverbrauchern brauche es mehr Bewusstsein und Achtsamkeit. In der Gastronomie bestehe unter anderem die Möglichkeit, Portionsgrößen anzupassen. Rechtliche Hürden zur Mitnahme von Speisen seien bereits abgebaut worden, heißt es.
Laut einem Bericht der Welternährungsorganisation FAO geht weltweit eine große Menge an Lebensmitteln verloren, bevor sie überhaupt die Verbraucher erreichen - also zwischen der Ernte und dem Erreichen des Einzelhandels. Betroffen sind vor allem Obst und Gemüse. Demnach verderben 14 Prozent aller Lebensmittel bereits während der Produktion. Nicht nur Künast hält das für einen Skandal. Es gilt ganz allgemein als riesige Ressourcenverschwendung. Zudem könnten Treibhausgasemissionen vermindert werden.
Für notwendig hält Künast daher „eine Agrarwende“, um eine der Hauptursachen der Lebensmittelverschwendung schon am Beginn der Produktionskette beseitigen. Sie plädiert für eine „qualitätsorientierte Produktion, die auf Klasse statt Masse und bessere und nachhaltigere Erntemethoden setzt“. Das verursache weniger Verluste und trage zur Wertschätzung von Lebensmitteln bei.
Wie viele Lebensmittel tatsächlich weggeschmissen werden, ist schwierig zu ermitteln. Im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums hat das Johann Heinrich von Thünen-Institut (TI) zusammen mit der Uni Stuttgart erstmals das Aufkommen der Lebensmittelabfälle über die gesamte Versorgungskette für Deutschland berechnet. Das Ergebnis - 11,86 Millionen Tonnen (Stand 2015) – gab das Ministerium erst im September bekannt.
Den Zahlen zufolge wird über die Hälfte der Lebensmittel in Privathaushalten weggeworfen - im Mittel etwa 75 Kilogramm. Getränkeverluste, die über die Kanalisation entsorgt würden, seien dabei allerdings nicht berücksichtigt.
Den Anteil der Lebensmittelabfälle im Handel sieht das Klöckner-Ministerium hierzulande als wesentlich geringer an als in anderen Sektoren, so das Ministerium. Es sei beispielsweise seit vielen Jahren üblich, dass zahlreiche Supermärkte unverkaufte und noch genießbare Lebensmittel auf freiwilliger Basis an die Tafeln oder andere soziale Einrichtungen abgeben. So retteten die Tafeln in Deutschland pro Jahr mehr als 260.000 Tonnen Lebensmittel aus etwa 30.000 Lebensmittelmärkten. In Frankreich liege die Zahl der geretteten Lebensmittel - trotz Gesetz - bei lediglich 46.000 Tonnen, so das Ministerium.
Eine gesetzliche Verpflichtung für Supermärkte ist in Deutschland nicht zu erwarten. Zuletzt hatte der Bundesrat am 11. Oktober einen Entschließungsantrag von Hamburg, Bremen und Thüringen abgelehnt, der darauf abzielte, den Handel gesetzlich zu verpflichten, Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen zu spenden statt sie wegzuwerfen.
Mit ihrer Initiative wollten die drei Länder die Bundesregierung auffordern, dem Bundesrat eine entsprechende Gesetzesänderung vorzulegen. Sie finden, dass das derzeit auf Freiwilligkeit basierende Spendensystem nicht ausreicht, um bis 2030 die Lebensmittelverschwendung zu halbieren - so wie es der Koalitionsvertrag und die Agenda der Vereinten Nationen eigentlich vorsehen.
Die Welternährungsorganisation FAO wertete Daten aus dem Jahr 2016 aus und stellte weltweit große regionale Unterschiede fest: In Zentral- und Südasien liegt die Verlustrate demnach mit mehr als 20 Prozent am höchsten. In Europa und Nordamerika sind die Verluste mit 16 Prozent ebenfalls über dem Durchschnitt. In Nordafrika und im westlichen Asien gehen etwa zwölf Prozent verloren, in Australien und Neuseeland sind es nur rund sechs Prozent.
Der Bericht nennt mehrere Gründe für die Verluste. Dazu gehören falsche Erntezeiten und -techniken, klimatische Bedingungen, schlechte Lagerung und schlechter Transport.
Lebensmittelverluste zu vermeiden ist eines der Nachhaltigkeitsziele der Uno. Dieses soll dazu beitragen, die globale Lebensmittelversorgung zu sichern, Kosten zu senken und eine umweltverträglichere Produktionsweise zu erreichen.
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