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27.08.2022

13:44

Klimaschutz

„Reinigendes Gewitter“: Habeck und Wissing streiten über CO2-Emissionen im Verkehr

Von: Daniel Delhaes

Seit Monaten ringen das Klima- und das Verkehrsressort um den Kurs der Klimapolitik. Nun geloben die Minister Besserung – weil die Zeit knapp wird.

Zwischen Klima- und Verkehrsministerium gibt es seit Monaten Streit. Reuters

Minister Habeck (links) und Wissing

Zwischen Klima- und Verkehrsministerium gibt es seit Monaten Streit.

Berlin Durch die Glaswand blieb unverhüllt, wie es um Bundesklimaminister Robert Habeck (Grüne) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) bestellt ist: Beide saßen schon fast eine Stunde lang nebeneinander in dem kleinen Besprechungsraum der nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur. Die Minister schauten ernst drein, um sie herum nur ihre Entourage, während der Leiter der Leitstelle referierte und an der Wand der Schriftzug prangte: „Einfach laden, daran arbeiten wir.“ Es folgten Grafiken mit dem, was für die proklamierte Elektrifizierung des Straßenverkehrs fehlt: Ladesäulen samt deren Leistungsfähigkeit, die dazu gehörigen Elektroautos und Lastwagen.

Dann ergriff Habeck das Wort, beugte sich vor, redete, holte aus, versicherte sich bei seinen Fachleuten, diskutierte mit der kleinen Runde. Minister Wissing schaute nach vorn, klopfte seiner Fingerkuppen wieder und wieder zusammen, dann sagte auch er etwas, schwieg wieder, redete. Die Glaswand verschluckte die Worte. Später an diesem Freitag würde Habeck öffentlich sagen: „Die Bundesregierung muss da zusammenfinden.“

Es war ein Krisentreffen, bei dem es um ein zentrales Projekt der Bundesregierung ging: Den Klimaschutz. Bis 2030 muss Deutschland dreimal so schnell wie bisher Kohlendioxid vermeiden. Allein der Verkehrssektor muss qua Gesetz mehr als eine viertel Milliarde Tonnen einsparen und darf danach nur noch die Hälfte im Vergleich zu 2019 ausstoßen – obwohl jedes Jahr mehr Menschen und Waren unterwegs sind. Elektrifizierung lautete das politische Zauberwort; ein „Masterplan“ für die Ladeinfrastruktur soll den Weg weisen. Wenn es nicht immer wieder Streit um die Richtung gäbe.

So geht es seit Monaten Hin und Her. Zwar wissen alle, wie wichtig Entscheidungen sind, um doch noch die Klimaziele zu erreichen. Stattdessen aber verhakt sich der Regierungsapparat im Kleinklein. Bei den Ladesäulen liegt das auch an schlecht verteilten Zuständigkeiten: So hat nicht etwa Energieminister Habeck die Aufgabe, Ladesäulen im Land aufzustellen, sondern der Infrastrukturminister Wissing.

Dabei müssen Habecks Beamte etwa das Energierecht ändern und auch dafür sorgen, dass die Unternehmen vor Ort ihre Stromnetze umbauen. 870 Verteilnetze gilt es auf die elektromobile Zeit vorzubereiten, damit sie die Spannung halten und es keine Blackouts gibt. Die Ladesäule selbst ist allenfalls das sichtbare Symbol der Wende weg von den fossilen Kraftstoffen - nicht aber die Herkulesaufgabe.

Hingegen ist der Wirtschaftsminister Habeck dafür zuständig, für Elektroautos zu sorgen, mit denen aber der Verkehrsminister Wissing seine Klimaziele erreichen soll. „Wir haben sehr, sehr ehrgeizige Pläne“, sagt Habeck und meint, bis 2030 mindestens 15 Millionen vollelektrische Autos auf die Straße zu bringen. Die üppigen Kaufprämien aber sollen jetzt auslaufen. Im Gegenzug hat die FDP und mit ihr die Autobranche darauf gepocht, das Dienstwagenprivileg nicht anzutasten. Irgendwie muss die Industrie ihre Transformation finanzieren, lautet das Argument für den Deal. Ob er aufgeht?

Wissing selbst hält gar nichts mehr von dem 15 Millionen-Ziel, das er Anfang des Jahres selbst noch ausrief: „Wir leben in einer Marktwirtschaft, da gibt es keine Automobilquoten“, sagt er heute. Die Zahl sei „Teil eines Konzeptes, die Klimaziele im Verkehrsbereich zu erreichen“. Ziel sei „die Einhaltung der Klimaziele“. Am Ende aber würden die Bürger über ihre Mobilität entscheiden „und nicht die Politik“.

Es gibt indes Zweifel, dass die Regierung so ihre Klimaziele erreicht – und ob der Verkehrsminister sie erreichen will. So haben die Liberalen einen veritablen Koalitionskrach heraufbeschworen, als sie weiter auf E-Fuels pochten, als Europa sich entschied, 2035 aus dem Verbrennungsmotor auszusteigen. Das Aus kommt, aber die Hoffnung doch noch aus Ökoenergien hergestellten synthetischen Kraftstoffe und damit den Verbrennungsvorgang eine kleine Chance zu geben, stirbt nun doch erst zuletzt und nicht schon jetzt.

Neue Einigkeit

Kein Wunder, dass Klimaminister Habeck immer noch keinen Entwurf für ein Klimaschutzsofortprogramm vorgelegt hat. Darin soll stehen, wie die Regierung Tempo macht, um doch noch ihre Klimaziele bis 2030 zu erreichen - 65 Prozent weniger Emissionen im Vergleich zu 1990. Doch auch hier ist die Koalition uneins.

Dieses Mal geht es um die Frage, ob mit dem Programm eine zentrale Regel des Klimaschutzgesetzes fallen soll: Demnach ist jeder Minister Jahr für Jahr in seinem Bereich dafür verantwortlich, die Klimaziele zu erreichen. Verkehrsminister Wissing hält es für unmöglich, kurzfristig Emissionen einzusparen. Die Grünen hätten da schon Ideen und warnen davor, dass Gesetz „aufzuweichen“, wie der Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar sagt.

Aus Protest nahm es Minister Wissing im Sommer mit dem Klimaschutzgesetz nicht so genau. Er hätte eigentlich Maßnahmen vorlegen müssen, mit denen er in diesem und in den Folgejahren jene drei Millionen Tonnen einspart, die der Verkehr 2021 zu viel emittiert hat. Habecks Expertenrat zerriss Wissing Vorschläge dieser Tage als „schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch“ in der Luft.

Als Habeck und Wissing am Freitag den Glasraum der nationalen Leitstelle verließen und vor die Presse traten, übten die Minister Einigkeit: „Wir haben heute den Startschuss für eine interministerielle Steuerungsgruppe Ladeinfrastrukturaufbau gegeben“, sagte der zuständige Verkehrsminister. Die Gruppe sei „die Grundlage dafür, dass die Dinge ganz eng koordiniert werden“. Wirtschaftsminister Habeck ergänzte: „In die Hand versprochen“, hätten sich beide, in Zukunft besser zusammenzuarbeiten. Beide verstehen sich persönlich gut und duzen sich.

„Es gab ein reinigendes Gewitter“, hieß es hinterher an diesem schwülen Spätsommertag im August. Die Arbeitsgruppe, besetzt mit Beamten aus beiden Häusern, solle „eng getaktet“ tagen. Bei noch so kleinen Problemen sollen sie sofort die Minister einschalten, lautete die Direktive. Im Oktober, so der Plan, soll das Kabinett dann endlich den Masterplan beschließen.

Ob es bis dahin auch einen Plan gibt, die Klimaziele einzuhalten? Habeck setzt darauf, dass Kollege Wissing „weitere Ideen entwickelt, wie nachgebessert werden kann“.

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