Weil Deutschland in Rekordzeit konventionelle Kraftwerke stilllegt, schwindet die kalkulierbare Energiemenge. Die Energiebranche fordert Anreize zum Bau von Gaskraftwerken.
Gaskraftwerk von Trianel in Hamm
Ohne gesicherte Kraftwerksleistung lasse sich die Stromversorgung nicht gewährleisten, warnen Energie-Unternehmen.
Bild: dpa
Der Ausstieg aus der Atomenergie ist Ende nächsten Jahres vollzogen, gleichzeitig gehen reihenweise Kohlekraftwerke vom Netz. Zwar steigt der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Doch Windräder und Photovoltaikanlagen liefern nur Strom, wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Das führt zu Problemen. „Wir brauchen auch langfristig regelbare Kraftwerke, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten“, sagte Stefan Kapferer, Chef des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz, am Freitag.
Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohleverstromung verliere Deutschland über 50 Gigawatt (GW) gesicherte und regelbare Leistung, sagte Kapferer. In der politischen Diskussion über das Erreichen der Klimaschutzziele müsse die Versorgungssicherheit einen höheren Stellenwert bekommen, forderte Kapferer.
Nach Angaben von 50Hertz sind derzeit nur regelbare Kraftwerke mit einer Leistung von 1,2 Gigawatt in Bau. Diese Kraftwerke können zunächst mit Erdgas, später aber auch mit klimaneutralem Wasserstoff betrieben werden.
Planungen für weitere Kraftwerke lägen auf Eis, weil es keine Refinanzierungsperspektive gebe, sagte Kapferer. Dass die 1,2 GW für die kommenden Jahre unter keinen Umständen ausreichen, ist in der Branche und auch in weiten Teilen der Politik unumstritten.
Doch Investoren zögern. Sie fürchten, mit neuen Gaskraftwerken kein Geld verdienen zu können, weil die Auslastung der Kraftwerke mit steigendem Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen kontinuierlich sinkt. Bei geringer Auslastung verdienen die Betreiber am Strommarkt zu wenig, um ihre Investitionen zu refinanzieren. Sie investieren daher nicht in den Bau neuer Kraftwerke.
Das Problem ist seit Jahren bekannt und wurde auch intensiv zwischen Branche und Politik diskutiert. Doch durch die immer ambitionierteren Klimaschutzziele erhöht sich der Handlungsdruck. „Die Vorverlegung des Ziels der Klimaneutralität von 2050 auf 2045 wird zum Gamechanger. Wir sind mit deutlich ambitionierteren Zielen für 2030 in den Sektoren Energie und Industrie konfrontiert. Das ist in der Energiewirtschaft übermorgen“, sagte Kapferer.
Die neuen Ziele für 2030 würden zwangsläufig auch zu einer Beschleunigung des Kohleausstiegs führen, sagte Kapferer. Daher müssten die Bestrebungen, für zusätzliche Kraftwerkskapazitäten zu sorgen, deutlich forciert werden.
Die Energiebranche warnt vor erheblichen Konsequenzen, wenn die Frage der gesicherten Leistung von der Politik nicht ernst genommen werde. „Wenn wir bei der Versorgungssicherheit in Schwierigkeiten geraten, kann das die Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung gefährden“, hatte Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), kürzlich gewarnt. Wenn weiter nichts geschehe, werde die Bundesnetzagentur am Ende Kohlekraftwerke in die Netzreserve nehmen müssen.
50Hertz schlägt vor, nach Modellen Ausschau zu halten, bei denen die Betreiber neuer Kraftwerke nicht allein auf die Erlöse angewiesen sind, die sie durch den Verkauf des Stroms erzielen. Vielmehr muss nach Überzeugung des Netzbetreibers die Bereithaltung von Kraftwerkskapazität honoriert werden. Das Unternehmen beruft sich auf eine Analyse, die es beim Beratungsunternehmen Consentec in Auftrag gegeben hat.
Der heutige Mechanismus, der allein auf den Verkauf von Strom abstelle, biete keine Anreize, in Kraftwerke zu investieren, und sei „langfristig nicht zwangsläufig die kosteneffizienteste und beste Lösung“, sagte Dirk Biermann, der bei 50Hertz für den Systembetrieb verantwortlich ist. In anderen europäischen Ländern sind Marktmodelle, bei denen die Bereithaltung von Kraftwerkskapazität honoriert wird, längst Realität.
Um den wachsenden Anforderungen, die sich aus immer ehrgeizigeren Klimaschutzzielen ergeben, gerecht zu werden, ist nach Überzeugung Kapferers eine weitere Beschleunigung aller Planungs- und Genehmigungsverfahren erforderlich. Die Beschleunigung der Gesetzgebung im Klimaschutz gehe „in vielen Fällen mit einer Entschleunigung bei Verwaltungsvorgängen einher“, kritisierte Kapferer. 50Hertz spricht sich daher dafür aus, ein „Klimaneutralitätsnetz 2045“ mit einer entsprechend klaren Priorisierung von Vorhaben durch die Politik und Behörden zu entwerfen.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (2)