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07.03.2023

09:20

Klimawandel

Die Klimakrise könnte Deutschland 900 Milliarden Euro kosten

Von: Silke Kersting, Dietmar Neuerer

Der Klimawandel birgt ein enormes Schadenspotenzial. Die Folgen könnten die deutsche Volkswirtschaft bis zum Jahr 2050 teuer zu stehen kommen.

Extreme Hitze im Sommer sorgt immer öfter für Niedrigwasser im Rhein IMAGO/Jochen Tack

Niedrigwasser

Am Rhein muss auch die Schifffahrt immer öfter eingeschränkt werden.

Berlin Experten warnen seit Langem vor zunehmenden Risiken durch die Erderwärmung, die sich in Deutschland vor allem durch Starkregen, Hochwasser, Hitzewellen und Dürren zeigt.

Seit der Jahrtausendwende belaufen sich die Gesamtschäden durch Wetterextreme in Deutschland auf gut 145 Milliarden Euro. Doch es könnte noch schlimmer kommen. Zu diesem Ergebnis kommt jetzt eine vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz beauftragte Studie, die am Montag in Berlin vorgestellt wird und die dem Handelsblatt vorab vorlag.

Die Untersuchung des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) und der Prognos AG beziffert die Kosten in verschiedenen Szenarien. Je nach Ausmaß der Erderwärmung rechnen die Experten zwischen 2022 und 2050 mit volkswirtschaftlichen Schäden in Höhe von 280 bis 900 Milliarden Euro.

Nicht alle Schäden lassen sich beziffern. Hinzu kommen gesundheitliche Beeinträchtigungen sowie Todesfälle durch Hitze und Überflutungen und der Verlust von Artenvielfalt.

„Die Klimaveränderungen haben schon heute schwere ökonomische Folgen, die massiv anwachsen können“, sagte Wirtschaftsstaatssekretär Stefan Wenzel (Grüne). „Jeder in den Klimaschutz investierte Euro verringert die volkswirtschaftlichen Kosten, die durch Extremwetterereignisse künftig entstehen können.“

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Um die finanziellen Auswirkungen der Klimakrise zu reduzieren, arbeitet die Bundesregierung an einem „Klimaanpassungsgesetz“. „Die Folgen der Klimakrise beeinträchtigen den Wohlstand in Deutschland erheblich“, sagte Umweltstaatssekretärin Christiane Rohleder (Grüne).

Investitionen in ambitionierten Klimaschutz und vorsorgende Klimaanpassung seien entscheidend, um die Widerstands- und Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme zu erhöhen.

Klimawandel: Deutschland kann sich vor den Folgen der Klimakrise nicht alleine retten

Auch der Ökonom Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sieht dringenden Handlungsbedarf: „Mit dem Klimaschutz müssen wir dem Weltklima helfen, mit Anpassungsmaßnahmen können wir die Kosten der Klimafolgen deutlich verringern“, sagte er dem Handelsblatt.

„Die deutschen Klimaschutzanstrengungen helfen kaum, wenn es darum geht, Schäden in Deutschland zu vermeiden. Beides wird nötig sein: weltweite Anstrengungen für den Klimaschutz und lokale Maßnahmen zur Anpassung an das veränderte Klima.“

Generell werden als Schäden vor allem die direkten klimawandelbedingten Schäden wie durch Überflutungen zerstörte Häuser, Brücken oder Straßen wahrgenommen. Die volkswirtschaftlichen Folgekosten, die die Studie in den Fokus nimmt, gehen aber über den reinen Wiederaufbau hinaus.

Die Überschwemmungen im Sommer 2021 waren ein drastisches Beispiel für die Gefahren des Klimawandels. imago images/Reichwein

Flutkatastrophe im Ahrtal

Die Überschwemmungen im Sommer 2021 waren ein drastisches Beispiel für die Gefahren des Klimawandels.

In ihren Szenarien berücksichtigen die Autoren zum Beispiel auch zusätzliche Belastungen durch eingeschränkte Produktionsmöglichkeiten oder unterbrochene Lieferketten. Relevant für die deutsche Volkswirtschaft sind zudem Extremwetterereignisse im Ausland. Welche Bereiche besonders betroffen sind:

Extremwetter hat weitreichende Folgen für Industrie und Gewerbe

Für Industrie- und Gewerbebetriebe bedeuten Extremwetter: mögliche Schäden an Gebäuden, Werkshallen oder Produktionsanlagen sowie Produktionsausfälle. Das könnte eine „dauerhafte Schwächung der Volkswirtschaft“ nach sich ziehen, warnen die Autoren. Andererseits gebe die Instandsetzung der beschädigten Gebäude über Bauinvestitionen einen „Impuls in die Wirtschaft“, heißt es.

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Auch Hitze- und Dürreperioden gefährden eine reibungslose Produktion. Ist es sehr heiß, arbeiten Mitarbeiter in der Regel weniger produktiv. Zudem hängen Industrie und Gewerbe von einem reibungslosen Warenverkehr und der Versorgung mit Rohstoffen und Zwischenprodukten ab.

Klimawandel schränkt Handel mit stark betroffenen Ländern ein

Deutschland ist bei Rohstoffen und Zwischenprodukten von Ländern abhängig, die stark von den Folgen des Klimawandels betroffen sein können. Dazu zählen laut Studie Brasilien, Vietnam, Indien, Südafrika und Thailand.

Wichtige Warengruppen sind landwirtschaftliche Produkte, Erze, Nahrungs- und Futtermittel (Brasilien), Datenverarbeitungsgeräte, elektronische und optische Erzeugnisse (Vietnam, Thailand) und Zulieferungen für die Fahrzeug- und Maschinenindustrie (Südafrika).

Aufgrund der Folge- und Wechselwirkungen sind die Schäden schwer zu beziffern. Es wird aber angenommen, dass in diesen Ländern ähnlich wie in Deutschland Extremwetterereignisse Produktionsanlagen oder Infrastruktur beschädigen und sich so negativ auf Produktionsprozesse hierzulande auswirken könnten.

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Binnenschifffahrt: Klimakrise sorgt immer häufiger für Niedrigwasser

Klimaprojektionen deuten darauf hin, dass Niedrigwasserereignisse vor allem ab der Mitte des Jahrhunderts häufiger und intensiver werden, was unmittelbar die Binnenschifffahrt in Deutschland beeinträchtigen könnte.

Das würde sich direkt auf Transportmengen und Transportkosten auswirken. Eine indirekte Folge wäre, wenn sich Unternehmen aufgrund der zunehmenden Unsicherheit für eine Verlagerung des Transports grundsätzlich auf andere Verkehrsträger entscheiden würden.

Klimawandel-Folgen: Ertragsausfälle in der Landwirtschaft sorgen für steigende Preise

Hitze und Dürre sorgen nicht nur für Ertragsausfälle in der Landwirtschaft, sondern auch zu steigenden Preisen, die wiederum die Nahrungsmittelindustrie beeinflussen und möglicherweise auch zu einem veränderten Konsumverhalten führen.

Für Deutschland gilt laut Studie, dass die klimawandelbedingten Kosten für die hiesige Landwirtschaft „eher durch Entwicklungen auf den Weltmärkten bestimmt“ werden.

Das heißt: Steigen aufgrund von Ertragsausfällen weltweit die Preise für Agrarprodukte, verteuert sich die Produktion von Lebensmitteln auch hier. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der betreffenden Wirtschaftsbereiche sinkt.

Auch in Deutschland kommt es zu immer mehr Feuerschäden in der Natur. imago images/Marius Schwarz

Waldbrand in Brandenburg

Auch in Deutschland kommt es zu immer mehr Feuerschäden in der Natur.

Klimakrise wird teuer für die Forstwirtschaft

Die Experten erwarten, dass durch den weltweiten Klimawandel die potenzielle Landfläche zur Waldnutzung zurückgeht. Um die Folgen konkreter zu fassen, fokussiert sich die Studie in ihrem Kostenszenario wie bei der Landwirtschaft auf Preisentwicklungen bei Importen, Produktion und Landfläche. In die Rechnung fließt außerdem ein, dass die Forstwirtschaft eng mit der Holzverarbeitung verflochten ist.

Aus den klimawandelbedingten Preissteigerungen im Inland und bei Importen ergeben sich schließlich die Kosten für die Ertragsausfälle, abhängig von der Stärke des Klimawandels.
Verhindern lassen sich die Folgen der Klimakrise nicht mehr, aber sie lassen sich durch Anpassungsmaßnahmen eindämmen, sagen die Autoren.

Demnach könnten sich die volkswirtschaftlichen Folgekosten deutlich reduzieren, und zwar im Fall eines starken Klimawandels von 900 auf 350 Milliarden Euro.

Erstpublikation: 06.03.2023, 04:00 Uhr.

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