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22.09.2020

10:00

Konjunktur

Ökonomen einig: Deutschland kommt besser durch die Wirtschaftskrise als erwartet

Von: Donata Riedel

Alle Herbstprognosen sehen nun eine schnellere Erholung als im Sommer gedacht – auch die des Ifo-Instituts. Doch es gibt Faktoren, die alle Berechnungen zunichte machen könnten.

Die Institute haben ihre Prognosen für die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland durchweg nach oben korrigiert. dpa

Eurogate Terminal im Hafen von Hamburg

Die Institute haben ihre Prognosen für die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland durchweg nach oben korrigiert.

Berlin Deutschland kommt besser durch die Wirtschaftskrise. „Besser“ meint hier allerdings nicht die Steigerungsform von gut. Das zeigen sehr deutlich die aktuellen Herbstprognosen der großen Wirtschaftsforschungsinstitute, der Bundesregierung und der OECD. Die Bewertung „besser“ bezieht sich lediglich auf den Vergleich zu den Schätzungen aus dem zweiten Quartal.

Im September haben alle Konjunkturbeobachter ihre früheren Prognosen für 2020 nach oben korrigiert. An diesem Dienstag folgte diesem Trend auch das Ifo-Institut. Es hob seine Prognose von minus 6,7 auf minus 5,2 Prozent an. „Der Rückgang im zweiten Quartal und die Erholung derzeit verlaufen günstiger, als wir erwartet hatten“, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. 

Die Prognosen für 2020 liegen nun mehrheitlich nicht mehr zwischen fast  minus sieben und minus zehn Prozent, sondern „nur“ noch zwischen minus 4,7 und minus 6,6 Prozent, wobei die meisten Konjunkturbeobachter eine Rezessionstiefe zwischen minus fünf und minus sechs Prozent erwarten. Zum Vergleich: Vor der Pandemie war mit einem Minus von 5,7 Prozent das Finanzkrisenjahr 2009 jenes mit der tiefsten Rezession in Nachkriegsdeutschland.

Der größte Unterschied zu damals ist das Tempo von Absturz und Wiederaufschwung: Vor einem Jahrzehnt vollzog sich beides viel langsamer, stellte vergangene Woche das Statistische Bundesamt fest.

Absturz und Aufstieg der Wirtschaft in Rekordzeit

Wie die Virologen können auch die Ökonomen die Coronakrise inzwischen besser einschätzen als noch vor ein paar Monaten. So war der Absturz der Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal zwar mit 9,7 Prozent beängstigend tief. Aber er führte – auch dank der Rettungsmilliarden von Bund und Ländern - nicht ins Bodenlose. 

Ähnlich ging es dem Konjunkturverlauf in der gesamten Euro-Zone. Auch in Frankreich, Italien und Spanien setzte mit den Lockerungen im Mai eine schnelle wirtschaftliche Erholung ein.

„Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal weniger stark eingebrochen als noch im Juni erwartet“, stellte auch das RWI Essen fest, das für das Gesamtjahr den BIP-Verlust jetzt auf 4,7 Prozent taxiert und damit die optimistischste Prognose abgab. 


Grafik

Das Ifo-Institut betonte allerdings, dass die Unsicherheit der Prognose weiterhin hoch sei. „Niemand weiß, wie die Corona-Pandemie weiter verläuft, ob es nicht doch noch einen harten Brexit gibt und ob die Handelskriege beigelegt werden“, sagte Wollmershäuser. 

Bisher jedenfalls zeigt die Konjunkturkurve für Deutschland einen Verlauf, auf den vor drei Monaten nur wenige zu hoffen gewagt hatten. Sie sieht aus wie ein V: Erst geht es steil bergab, dann steil bergauf.

Das noch bis Ende September laufende dritte Quartal werde daher nach dem Rekordeinbruch des zweiten Quartals ein Rekordplus aufweisen, erwartet etwa Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) zum Beispiel rechnet mit einem Quartalsplus von 6,2 Prozent., das Ifo sogar mit plus 6,6 Prozent.

Wirtschaftliche Erholung verlangsamt sich

Jedoch: Nach dem Sommer des Aufschwungs rechnen die Beobachter nun genauso einhellig mit einem eher trüben Herbst. „Die Wirtschaft verliert nach der Aufholjagd an Tempo“, befürchtet das IfW. Die Institute verschoben zumeist einen Teil des Wachstums, das sie im Juni erst für 2021 erwartet hatten, ins Jahr 2020. Für nächstes Jahr erwarten sie entsprechend weniger Wachstum als zuvor.

Das sieht auch das Ifo so: Für 2021 rechnet das Münchener Institut nun nur noch mit einem Plus von 5,1 Prozent für das BIP anstatt 6,4 Prozent. 
 

Auch das RWI, das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) teilen die Einschätzung, dass es noch ein weiter Weg bis zur vollständigen Erholung wird. Das „V“ werde „asymmetrisch“ aussehen, sagte DIW-Konjunkturexperte Claus Michelsen: Der Aufwärtsteil des „V“ schafft es demnach das ganze nächste Jahr noch nicht bis auf die Höhe des BIP vor Corona.

Diese Höhe werde erst 2022 erreicht. Und wenn man unterstellt, dass die Wirtschaft ohne Corona 2020 bis 2022 stetig gewachsen wäre, fehlen dem deutschen BIP nach Schätzungen auch Ende 2022 noch - je nach Schätzung - zwischen 100 und 150 Milliarden Euro.

Dass die Erholung lange brauchen wird – auch darin sind sich die Forscher einig –, liegt an den verbliebenen Corona-Einschränkungen, vor allem für die Reise- und Veranstaltungsbranche, für Restaurants und Kneipen.

"Diese Branchen werden sich erst vollständig erholen können, wenn es einen Impfstoff gibt", sagte Wollmershäuser. In Deutschland stehen sie für acht Prozent der Volkswirtschaft. Gleichzeitig bleiben erhebliche Unsicherheiten im Außenhandel: Exporteure jedenfalls sind darauf angewiesen, dass sich auch in anderen Ländern die Erholung fortsetzt, vor allem in Europa.

Zweite Welle? Ökonomen glauben: eher nicht

Dort zeigt sich laut IfW bislang ein ähnliches Muster von Absturz des BIP zu schneller Erholung. Meist aber war der Absturz tiefer als in Deutschland. Und die Erholung ist vor allem in Südeuropa inzwischen durch steigende Infektionszahlen in ernster Gefahr. In Madrid und Paris gibt es erneut größere Lockdowns. Gelingt es nicht, die Infektionen einzudämmen, droht mit harten Shutdowns eine zweite Rezession.

Noch rechnen die Ökonomen nicht mit diesem Szenario. Die Regierungen könnten die Lage heute besser einschätzen und flexibler mit lokalen, kleineren Lockdowns reagieren, erwarten sie. Sie machen sich vor allem Gedanken darüber, was die unvollständige Erholung bedeutet.

Nichts Gutes jedenfalls: Wenn die Wirtschaftsleistung nur wieder auf 90 bis 95 Prozent des vierten Quartals 2019 steigt, dann kostet das auf jeden Fall Arbeitsplätze. Das Ifo erwartet 2020 eine Zunahme der Arbeitslosenquote von 5,0 auf 5,9 Prozent. Das bedeutet: 400.000 Menschen werden in diesem Jahr ihren Arbeitsplatz verlieren, und die Arbeitslosigkeit wird ab 2021 nur langsam zurückgehen.

Vielen Firmen, vor allem aus den Corona-sensiblen Branchen, droht die Insolvenz. Den Innenstädten droht Verödung, wenn Läden schließen müssen. Das bedeutet auch für viele bisher gesunde Einzelhändler, dass sie in den Abwärtsstrudel geraten könnten. So warnte der Einzelhandelsverband HDE am Dienstag, dass die vom Lockdown betroffenen Innenstadt-Geschäfte in diesem Jahr einen Umsatzverlust von elf Prozent verkraften müssen - im Durchschnitt. Der Onlinehandel dagegen boomt mit plus 15 Prozent.

Dass die Regierungen weltweit Milliarden für Rettungspakete bereitstellten, finden die Ökonomen in dieser Pandemie ebenfalls in breiter Übereinstimmung richtig. Weltweit wurden dafür laut Internationalem Währungsfonds (IWF) bis Ende August 11,5 Billionen Dollar mobilisiert, allein in Europa sind es drei Billionen.
Die internationalen Ökonomen von IWF und OECD sind sich aber auch mit vielen deutschen Ökonomen einig: Ab jetzt muss das Geld zielgerichtet für Investitionen ausgegeben werden, vor allem zum klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft. „Man sollte die Menschen nicht in Jobs ohne Zukunft festhalten“, mahnte OECD-Chefvolkswirtin Laurence Boone. Kurzarbeiter zum Beispiel sollten nebenbei anderswo arbeiten oder sich weiterbilden dürfen.

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