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12.12.2022

12:14

Korruptionsskandal in Brüssel

EU-Korruptionsaffäre: Ampelkoalition uneins über schärfere Lobbyregeln in Deutschland

Von: Heike Anger, Dietmar Neuerer

Die Korruptionsermittlungen gegen die Vizepräsidentin des Europaparlaments rufen die deutsche Politik auf den Plan. SPD und Grüne fordern, anders als die FDP, eine Verschärfung der deutschen Regeln.

Es soll transparenter werden, wer die Gesetzgebung beeinflusst. dpa

Bundestag

Es soll transparenter werden, wer die Gesetzgebung beeinflusst.

Berlin In der Ampelkoalition ist ein Streit über mögliche Konsequenzen aus der Korruptionsaffäre im Europäischen Parlament entbrannt. SPD und Grüne wollen jetzt den Einfluss von Drittstaaten wie Katar auf politische Entscheidungen in den Fokus nehmen und das deutsche Lobbyregistergesetz entsprechend verschärfen. Die FDP sieht keinen Handlungsbedarf.

Eine Verschärfung der geltenden Lobbyregeln, die auch Drittstaaten umfasst, sei sinnvoll, sagte der Co-Vorsitzende der SPD-Linken, Sebastian Roloff, dem Handelsblatt. „Es muss so transparent wie möglich sein, wer Einfluss auf einen Gesetzgebungsprozess genommen beziehungsweise das versucht hat.“

Auch der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz verlangte, das Lobbyregister „dringend“ zu überarbeiten. Es sei wichtig, „auch Agenturen und Akteure, die die Interessen anderer Staaten vertreten, sehr viel stärker in den Fokus zu nehmen, damit auch derartige Einflussnahmen noch transparenter werden“, sagte von Notz dem Handelsblatt.

Hintergrund ist einer der größten Korruptionsskandale in der Geschichte des Europaparlaments. Vizepräsidentin Eva Kaili soll Geld aus dem Golfstaat Katar kassiert haben, damit sie für das WM-Gastgeberland Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt. Katar wies die Vorwürfe zurück.

Kaili wurde am Sonntag zusammen mit weiteren Verdächtigen von den belgischen Behörden in Untersuchungshaft genommen. Ihnen wird „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Korruption“ vorgeworfen. Das EU-Parlament berät am heutigen Montag über weitere Konsequenzen.

Kubicki: Neue Transparenzregeln bringen wenig

Die Europaabgeordnete Katarina Barley (SPD), ebenfalls Parlamentsvizepräsidentin, sprach mit Blick auf Kaili von einem „kriminellen Einzelfall“, den man nie ausschließen könne, trotz der schon weitreichenden Transparenzregeln des EU-Parlaments. Deutschland empfahl sie, sich stärker an den strengeren europäischen Vorschriften zu orientieren.

Barley empfiehlt Deutschland, sich stärker an den strengeren europäischen Vorschriften zu orientieren. IMAGO/Metodi Popow

Katarina Barley

Barley empfiehlt Deutschland, sich stärker an den strengeren europäischen Vorschriften zu orientieren.

„Auch der Bundestag könnte darüber nachdenken, Auskünfte einzuholen, wer in welchen Bereichen von Gesetzesvorhaben Lobbyarbeit betreibt“, sagte Barley der Nachrichtenagentur Reuters. Die europäischen Transparenzregeln seien „durchaus fortschrittlicher, als dies in Deutschland auf Bundesebene der Fall ist“.

Der FDP-Bundesvize und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki lehnt eine Verschärfung der deutschen Lobbyregeln ab. „Der Vorschlag der geschätzten Kollegin Barley in allen Ehren, aber der konkrete Fall mutmaßlicher Korruption zeigt doch, dass neue Transparenzregeln gegen kriminelle Aktivitäten wenig bringen“, sagte Kubicki dem Handelsblatt.

Denn strafbar sei Korruption schon jetzt. „Vielmehr beweist der aktuelle Fall, dass die Strafverfolgungsbehörden in der Lage sein müssen, entsprechende Korruptionsfälle aufzudecken und zu verfolgen.“

In Deutschland ist erst zu Jahresanfang das Lobbyregister des Bundestags gestartet, auf das sich Union und SPD nach jahrelangem Streit und Skandalen wie der Maskenaffäre im Vorjahr geeinigt hatten. Bislang haben sich dem Vernehmen nach über 5000 Unternehmen, Verbände, Organisationen, Netzwerke, Einzelpersonen und andere in das Register eingetragen.

Das öffentlich einsehbare Lobbyregister soll sichtbar machen, wer Einfluss auf politische Entscheidungen und die Gesetzgebung nimmt. Professionelle Interessenvertreter müssen Angaben unter anderem über ihre Auftraggeber und zum personellen und finanziellen Aufwand ihrer Lobbytätigkeit bei Bundestag und Bundesregierung machen. Zu erläutern sind auch der Interessenbereich und die Tätigkeit.

Lobbyisten werden zudem verpflichtet, sich an einen vorgegebenen Verhaltenskodex zu halten. Wenn sie sich nicht an die Regeln halten, droht ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro. Zu den bereits Registrierten gehört auch die Organisation Lobbycontrol, die schon länger für eine „legislative Fußspur“ als „wichtige Ergänzung des Lobbyregisters“ wirbt. Dadurch soll sichtbar werden, welche Interessenvertreter Einfluss auf welche Gesetze genommen haben.

Regierung arbeitet bereits an schärferen Lobbyisten-Regeln

Eine Verschärfung des deutschen Lobbyregisters in diese Richtung ist nicht ausgeschlossen. Jedenfalls haben SPD, Grüne und FDP dies in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Dazu gehört, dass Kontakte zu Ministerien ab Referentenebene – nicht erst ab der Ebene der Unterabteilungsleiter – einbezogen werden und der Kreis der eintragungspflichtigen Vertretungen erweitert wird. Auch der sogenannte „legislative Fußabdruck“ ist genannt.

Der SPD-Politiker Roloff hält es für richtig, die deutschen Transparenzregeln regelmäßig auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Denn: „Korruption ist Gift für die Demokratie und das Vertrauen in sie.“

Der Grünen-Politiker von Notz begründete die Notwendigkeit für schärfere Lobbyregeln mit zahlreichen Einflussnahmeversuchen und Korruptionsskandalen in den vergangenen Jahren. Als Beispiel nannte er die „Aserbaidschan-Connection“ mehrerer CDU-Politiker, die im Verdacht standen, sich von der postsowjetischen Autokratie schmieren gelassen zu haben.

Den Handlungsbedarf hätten auch „anhaltende Diskussionen um Einflussnahmen Russlands um die Nord-Stream-2-Pipeline immer wieder gezeigt“, sagte der Grünen-Abgeordnete. Der Korruptionsskandal in Brüssel habe nun noch einmal die Dringlichkeit deutlich gemacht, bei den Lobbyregeln „tatsächlich zu Verbesserungen zu kommen“.

Eine Änderung des Lobbyregistergesetzes ist auch schon in Arbeit. „Derzeit stimmt sich die Bundesregierung in Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer Ausweitung der Eintragungspflicht sowie Fragen des Gesetzgebungsverfahrens ab“, heißt es in einer im September veröffentlichten Regierungsantwort auf eine Anfrage der Linksfraktion. Zu einer möglichen Einführung eines „Fußabdrucks“ laufe aktuell eine „interne Willensbildung“.

Der FDP-Bundesvize und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki lehnt eine Verschärfung der deutschen Lobbyregeln ab. dpa

Wolfgang Kubicki

Der FDP-Bundesvize und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki lehnt eine Verschärfung der deutschen Lobbyregeln ab.

Das aktuelle Lobbyregistergesetz hatte der Bundestag unter der Großen Koalition am 25. März 2021 beschlossen. In der damaligen Parlamentsdebatte verwies der CDU-Abgeordnete Patrick Schnieder, heute parlamentarischer Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, auf die „Geschäftsordnungsautonomie“ der Bundesregierung: „Sie kann alles, was im Rahmen eines exekutiven Fußabdrucks gefordert ist, machen, aber sie muss es selbst machen, und zwar in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien.“

Das hieße: Für einen exekutiven Fußabdruck bräuchte es wohl keine Verschärfung des Lobbyregistergesetzes. Die Regierung könnte eine solche Maßnahme einfach ergreifen.

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