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07.02.2022

04:00

Kriminalität

Städtebund-Chef sieht „neue Dimension“ der Gewalt gegen Kommunalpolitiker

Von: Dietmar Neuerer

PremiumAktuelle Zahlen des Bundeskriminalamts zur Kriminalität gegen Politiker alarmieren die Kommunen. Auch die Innenministerin schaltet sich ein.

Radikalisierungstendenzen infolge der Coronapandemie – insbesondere in den sozialen Medien. dpa

Protest gegen Coronamaßnahmen in Berlin

Radikalisierungstendenzen infolge der Coronapandemie – insbesondere in den sozialen Medien.

Berlin Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, hat sich besorgt über die zunehmende Gewalt gegen Kommunalpolitiker während der Coronapandemie geäußert.

Hass und Frust hätten noch mal „eine neue, beängstigende Dimension erreicht“, sagte Landsberg dem Handelsblatt. Besonders gefährdet seien kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger, die vor Ort als Vertreter des Staates wahrgenommen würden. Gegen sie hätten Bedrohungen, Beleidigungen, Einschüchterungen, aber auch Gewalttaten „drastisch“ zugenommen.

Laut aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamts (BKA), die dem Handelsblatt vorliegen, sind die Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger um fast 200 Prozent gestiegen. Im Jahr 2021 waren es demnach 4458 Straftaten; 2017 waren es noch 1527. Die Zahlen sind erst vorläufig.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser zeigte sich besorgt über die Zunahme politisch motivierter Kriminalität gegen Politikerinnen und Politiker. „Der starke Anstieg dieser Taten zeigt eine Verrohung und eine Verachtung von Staat und Demokratie, die mir große Sorge macht und die konsequentes Handeln erfordert“, sagte die SPD-Politikerin dem Handelsblatt.

Faeser will dafür sorgen, dass die sozialen Medien sich nicht als „Brandbeschleuniger für Hass und Verschwörungsideologien missbrauchen lassen und die gesetzlichen Verpflichtungen zum Löschen und Melden von Mordaufrufen und ähnlich gefährlichen Hass-Spots einhalten“.

Beleidigungen, Bedrohungen und Aufrufe zu Tötungsdelikten

Das BKA führt den Anstieg unter anderem auf Radikalisierungstendenzen in den sozialen Medien durch die Coronapandemie zurück. Die Behörde hat dabei vor allem den Messengerdienst Telegram im Blick. Dort seien im Rahmen der Coronapandemie Beleidigungen, Bedrohungen und Aufrufe zu Tötungsdelikten sichergestellt worden.

Auch Städtebundchef Landsberg sieht vor allem in sozialen Netzwerken als Verbreitungsplattformen für Drohungen ein Problem. „Die sich abzeichnende Radikalisierungstendenz ist eine ernste Gefahr für die lokale Demokratie und unser demokratisches Gemeinwesen insgesamt“, sagte er.

Wenn Mandatsträger bedroht und eingeschüchtert würden, bestünde die Gefahr, dass sie ihr Amt aufgeben oder bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten. „Dies ist insbesondere dann zu befürchten, wenn sich die Drohungen auch gegen deren eigene Familien richten.“ Daher müsse in der Öffentlichkeit immer wieder verdeutlicht werden, dass es sich bei diesen Taten nicht um Kavaliersdelikte, sondern um Straftaten handele.

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Der Städtebundchef rief die Politik zum Handeln auf. Zwar seien die einschlägigen Strafvorschriften verschärft worden. Eine deutliche Reduzierung der Straftaten sei aber bislang nicht erreicht worden. „Deswegen sollte die Strafverfolgung weiter verstärkt und auch gegen die einschlägigen Plattformen, wie zum Beispiel Telegram, konsequent ausgeweitet werden“, sagte Landsberg.

Teilerfolg der Innenministerin gegen Telegram

Er begrüßte in diesem Zusammenhang, dass das Bundesverfassungsgericht am vergangenen Mittwoch klargestellt habe, dass die Betreiber entsprechender Netzwerke wie etwa Facebook verpflichtet seien, Nutzerdaten herauszugeben, wenn klare Beleidigungen oder Straftaten vorliegen.

Landsberg spielt damit auf den Fall der Grünen-Politikerin Renate Künast an, die im Kampf gegen wüste Beschimpfungen auf Facebook vor dem höchsten deutschen Gericht einen wichtigen Erfolg erzielt hatte. Die Karlsruher Richterinnen und Richter hoben Entscheidungen der Berliner Zivilgerichte auf, wie sie am vergangenen Mittwoch mitteilten. Diese verletzten die Klägerin in ihrem Persönlichkeitsrecht. (Az. 1 BvR 1073/20)

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Die Bundestagsabgeordnete streitet darum, dass Facebook ihr die Daten mehrerer Nutzer herausgibt, damit sie gegen diese gerichtlich vorgehen kann. Unbekannte hatten Künast unter anderem als „Stück Scheiße“ und „altes grünes Dreckschwein“ bezeichnet und noch drastischere und auch sexistische Posts geschrieben.

Der Fall hatte für Aufsehen gesorgt, weil das Berliner Landgericht anfangs entschieden hatte, dass Künast als Politikerin alle 22 Beschimpfungen hinnehmen müsse – sie habe Widerstand provoziert. Später hatten die Richter sich teilweise korrigiert.

Das Bundesinnenministerium hat derweil im Kampf gegen Radikalisierung und Hetze auf der Online-Plattform Telegram einen Teilerfolg erzielt. „Wir haben Kontakt zur Konzernspitze von Telegram hergestellt“, erklärte Ministerin Faeser am Freitag auf Twitter. „In einem ersten konstruktiven Gespräch zur weiteren Zusammenarbeit haben wir vereinbart, den Austausch fortzusetzen und zu intensivieren.“ Dieser Schritt sei ein guter Erfolg, auf dem man aufbauen werde.

In Deutschland steht Telegram im Fokus der Kritik, weil sich über den Kommunikationsdienst teils radikale Gegner der Coronapolitik organisieren. Die von dem Russen Pawel Durow gegründete Plattform soll ihren Sitz in Dubai haben. Es ist damit schwer, an die Verantwortlichen heranzukommen.

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