Der Streit über digitale Fahndungsmethoden gegen Verbrechen verschärft sich. Grund ist ein Tweet von Justizminister Buschmann, der auf Innenministerin Faeser abzielt.
Berlin Mit einer Bemerkung auf Twitter zu einer möglichen verpflichtenden Speicherung von IP-Adressen bei der Kriminalitätsbekämpfung hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) den Zorn des sozialdemokratischen Koalitionspartners auf sich gezogen.
Buschmann schrieb am Sonntagabend: „Statt digitale Überwachung aller Bürgerinnen und Bürger durch Vorratsdatenspeicherung und Chatkontrolle zu betreiben, sollten wir besser alle Services bei Bürgerämtern und sonstigen Behörden, mit denen die Menschen Kontakt haben, rasch digitalisieren.“
Damit spielt der Minister darauf an, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) keine Frist mehr für die Umsetzung der Verwaltungsdigitalisierung nennen will, nachdem die bis Ende 2022 geplante Behörden-Digitalisierung gescheitert war. SPD-Innenpolitiker reagierten verärgert. „Weitere Digitalisierungsprojekte gern“, erklärte der Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann. „Aber nicht gegen innere Sicherheit ausspielen.“
Der kriminalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Fiedler, warf Buschmann vor, „die Ebene der Sachargumente“ längst verlassen zu haben, wenn es um IP-Adressen-Speicherung gehe. „Ihm sollte zu denken geben, dass nicht nur alle Polizeigewerkschaften, sondern auch der Deutsche Richterbund eine Speicherung fordern.“
Die Frage der Sicherung von Telekommunikationsdaten zur Kriminalitätsbekämpfung zählt zu den Streitthemen innerhalb der Ampelregierung. Buschmann favorisiert wie die FDP das „Quick-Freeze-Verfahren“. Dabei muss ein Richter im Verdachtsfall zunächst anordnen, dass bestimmte Daten gesichert werden dürfen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht in dem Verfahren keinen Ersatz für die Speicherung von IP-Adressen. „Denn wenn keine Daten mehr vorhanden sind, fehlt oft der entscheidende Ermittlungsansatz“, sagte eine Ministeriumssprecherin dem Handelsblatt.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im September der Speicherung von Telekommunikationsdaten zur Aufklärung von Straftaten in Deutschland enge Grenzen gesetzt, die anlasslose Speicherung nur von IP-Adressen für Ermittlungen aber für vertretbar erklärt.
IP-Adressen werden bei einer Einwahl ins Internet vergeben und können Internetanschlüssen eindeutig zugeordnet werden. Für die Polizei sind sie zur Identifizierung von Tatverdächtigen daher in der Regel der vielversprechendste Ermittlungsansatz. Derzeit werden die IP-Adressen allerdings meistens nach wenigen Tagen gelöscht.
Im Fall der Anfang Januar in Castrop-Rauxel festgenommenen iranischen Terrorverdächtigen half das digitale Fahndungsinstrument, um den beiden Brüdern auf die Spur zu kommen. Das Innenministerium strebt nun eine klare Regelung für die Speicherdauer an. „Es bedarf eines gesetzlich festgelegten Zeitraums für die Speicherung von IP-Adressen“, sagte die Ministeriumssprecherin. Das habe das Terrorismusverfahren zu Castrop-Rauxel erneut gezeigt.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hartmann lädierte dafür, mit Ampel-Mehrheit die Rechtsgrundlage zu schaffen, „dass künftig die IP-Adressen immer für 14 Tage gespeichert werden“.
IP-Adressen
IP-Adressen werden bei einer Einwahl ins Internet vergeben und können Internetanschlüssen eindeutig zugeordnet werden.
Bild: dpa
Auch der SPD-Innenpolitiker Fiedler sieht dringenden Handlungsbedarf. „Bei den Ermittlungen in Castrop-Rauxel zu dem vereitelten Giftanschlag war außerordentlich viel Glück im Spiel“, sagte er. „Beim nächsten Mal nutzen Täter vielleicht nicht einen Telekommunikationsanbieter, der IP-Adressen freiwillig ein paar Tage speichert.“
Dabei geht es laut Fiedler aber lange um die früher diskutierte „große“ Vorratsdatenspeicherung. Das sei Schnee von gestern. „Wir reden über IP-Adressen, also gewissermaßen die Nummernschilder der Endgeräte, mit denen man ins Netz geht“, erläuterte der Abgeordnete. „Damit lässt sich im Einzelfall nach einem Richterbeschluss feststellen, welches Endgerät sich hinter einer Zahlenabfolge befindet – mehr nicht.“ Die Bewegungen einer Person im Internet seien damit nicht feststellbar.
Widerspruch kommt jedoch auch von den Grünen. „Das alte Theater in neuer Verkleidung muss aufhören“, sagte der Innenexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, Marcel Emmerich, dem Handelsblatt.
Eine Speicherpflicht sei nichts anderes als eine Vorratsdatenspeicherung. „Im Endeffekt wäre das abermals eine massenhafte Speicherung sensibler Kommunikationsdaten ohne konkreten Anlass und auf Vorrat.“ Das sei aber „rechtsstaatlich nicht haltbar und im Koalitionsvertrag ausgeschlossen“, betonte Emmerich.
Der Grünen-Politiker warb für das von Justizminister Buschmann vorgeschlagene Quick-Freeze-Verfahren. Dieses sei „ein effektives und klar verfassungskonformes Instrument, das die Ermittlungsbehörden bei ihrer Arbeit unterstützen würde“, sagte Emmerich.
Darauf müsse endlich der Fokus liegen. „Mit Quick Freeze können die Ermittlungsbehörden relevante Telekommunikationsdaten umgehend bei den Providern einfrieren lassen, wenn der Verdacht auf eine Straftat von erheblicher Bedeutung besteht.“
Ähnlich äußerte sich der Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom, Bernhard Rohleder. „Es macht keinen Sinn, sich an einer anlasslosen und massenhaften Speicherung von Verbindungsdaten abzuarbeiten“, sagte Rohleder dem Handelsblatt. Neben dem sogenannten Quick-Freeze-Verfahren gebe es bereits heute zahlreiche gesetzeskonforme Möglichkeiten der digitalen Forensik, die nach richterlichem Beschluss durchgeführt werden können.
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