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04.05.2022

21:39

In der Konzerthalle warten vielleicht 200 Menschen auf ihn, mehr als 600 hätten Platz gefunden. dpa

Friedrich Merz (vorne) in Bad Salzuflen

In der Konzerthalle warten vielleicht 200 Menschen auf ihn, mehr als 600 hätten Platz gefunden.

Landtagswahl

Zurück auf den Bühnen der Provinz: CDU-Chef Merz kämpft um den Sieg in NRW

Von: Daniel Delhaes

Zwischen etlichen Wahlkampfterminen reiste Friedrich Merz nach Kiew. In seiner Heimat erläutert er seine Beweggründe – und skizziert seine Vorstellung von der „Volkspartei“ CDU.

Bad Salzuflen, Paderborn Nun ist er wieder zurück, im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf. Aber: War Friedrich Merz eigentlich überhaupt richtig weg? Der Sauerländer steht an diesem Mittwochnachmittag im Kurpark von Bad Salzuflen, als Vorsitzender der CDU und vor allem auch als Oppositionsführer des Bundestags.

Die Kurhäuser strahlen geweißt in der Frühlingssonne und zeugen davon, dass die Stadt seit dem Dreißigjährigen Krieg von Zerstörung verschont geblieben ist, ganz anders als der zerbombte Vorort Irpin bei Kiew, aus dem Merz gerade kommt.

Merz steigt vor dem Kurpark aus seinem Dienstwagen, heute trägt er grauen Anzug mit hellblauem Hemd und Krawatte. Die lokale CDU-Prominenz stellt sich vor, dann geht es vorbei am Springbrunnen mit den gut besetzten Bänken in die Konzerthalle. Dort warten vielleicht 200 Menschen auf ihn, mehr als 600 hätten Platz gefunden. Es sind viele Rentner da, mancher mag noch den Krieg in Deutschland erlebt haben. „Lassen Sie uns dankbar sein, dass es uns so gut geht“, sagt der 66-Jährige heute.

Am Dienstag noch lächelte Merz in den Abendsendungen der großen TV-Stationen via Schalte aus Kiew in die deutschen Wohnzimmer und stellte sich den Fragen, etwa warum er nach Kiew gereist sei, wo doch ein Oppositionsführer nichts anbieten könne.

Braun gebrannt zeigte er sich in sportlicher Jacke. Natürlich begleitete ihn ein Journalistentross, als er durch die Ruinen von Kiew lief und sich anschaute, was ein Krieg anrichtet, der sich nicht auf militärische Ziele konzentriert, sondern sinnlos zerstört. Auch blieb nicht unbemerkt, dass Merz den Ministerpräsidenten, den Parlamentspräsidenten, die Klitschko-Brüder traf und natürlich Präsident Selenski, wissen doch Merz wie Selenski um die Macht der Bilder.

Ukraine-Krieg

Friedrich Merz: „Auf unserem Land ruhen viele Hoffnungen"

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Und jetzt also Bad Salzuflen, wo sich die kleine Salze plätschernd durch die Altstadt schlängelt und der E-Bus fast geräuschlos durch die Altstadt surrt. Im Konzertsaal steht Merz am Pult auf der Bühne, davor prangt ein Plakat des NRW-Spitzenkandidaten. „Machen, worauf es ankommt“, lautet der Slogan von Ministerpräsident Hendrik Wüst. Merz bekräftigt seinen Willen, die Ukraine „wenn es nötig ist, auch militärisch zu unterstützen“.

Merz wollte schon vor Kriegsbeginn in die Ukraine

Dann erklärt er, warum er die Reise antrat. Im Februar schon habe ihn das ukrainische Parlament eingeladen. Am 22. Februar wollte er fahren, doch dann kam der Krieg. Er verblieb mit dem Parlamentspräsidenten: „Ich komme so schnell, wie es geht.“ Nach dem Bundestagsbeschluss zu Waffenlieferungen hielt er die Zeit für gekommen.

Hier in Bad Salzuflen absolviert Merz – exklusive Kiew – seinen dritten Wahlkampfauftritt in dieser Woche. Am Montag hatte Merz die Präsidien von CDU und CSU nach Köln geladen, um ein sicherheitspolitisches Papier der Partei zu präsentieren. Eigentlich sollte es ein Energiepapier werden, aber dieser Tage schien dies ungeeignet. Die Präsidiumsmitglieder hatten über die Medien erfahren, dass ihr Vorsitzender ins Kriegsgebiet Ukraine reisen wollte, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Danach fuhr er nach Olpe und dann gen Osten.

Telefonate oder Videokonferenzen ersetzten nicht die persönliche Begegnung, hatte Merz Richtung Bundeskanzler Olaf Scholz aus Kiew gestichelt. Der SPD-Politiker hatte am Montagabend im Fernsehen seinen Kurs verteidigt, um nicht wie ein Getriebener zu wirken. Zumindest kann er sich darüber freuen, dass die Hälfte der Deutschen laut Meinungsforschungsinstitut Yougov seine Meinung teilt, nicht nach Kiew zu reisen, nachdem die Ukraine Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ausgeladen hatte – angesichts seiner in der Vergangenheit zweifelhaften Russlandpolitik und Rolle als Außenminister nach der Annexion der Krim 2014.

„Es ist ein Problem, dass der Präsident der Bundesrepublik Deutschland ausgeladen wurde. Und das steht im Raum“, sagte Scholz am Mittwoch nach einer Kabinettsklausur in Schloss Meseberg noch einmal. Dennoch konnte Merz am Dienstagabend zufrieden wieder in seinen Schlafwagen nach Polen steigen, um von dort nach seinem Mediencoup zurück in die Heimat zu fliegen.

Merz’ Ziel: Bundesweit „stabil über 30 Prozent liegen“

Die Kiewreise hat Merz zwischen zehn Wahlkampfauftritten arrangiert, die er allein in dieser Woche in NRW absolviert. Schließlich geht es für den CDU-Chef um viel: Zum einen ist NRW sein Heimatland, zum anderen das bevölkerungsreichste Bundesland, das immer auch ein Seismograf für die Stimmung im Bund ist. Merz geht es um mehr: Die CDU solle wieder bundesweit „stabil über 30 Prozent liegen. Ich gebe den Anspruch, Volkspartei zu sein, nicht auf“. Die Wahl in NRW sei „eine wichtige Etappe auf dem Weg“. „Wir sind am Anfang dieses Weges. Dafür bitte ich um Ihre Unterstützung.“

Merz bekräftigt seinen Willen, die Ukraine „wenn es nötig ist, auch militärisch zu unterstützen“. dpa

Wahlkampf in Bad Salzuflen

Merz bekräftigt seinen Willen, die Ukraine „wenn es nötig ist, auch militärisch zu unterstützen“.

Ministerpräsident Wüst soll unbedingt an der Macht bleiben, nachdem Tobias Hans im Saarland schon verloren hat. Wüst regiert erst seit einem halben Jahr anstelle von Armin Laschet, entsprechend knapp ist das Rennen. Herausforderer Thomas Kutschaty wirbt auf Plakaten gemeinsam mit Kanzler Scholz: „Gemeinsam für NRW und Deutschland.“ Die SPD-Gallionsfigur Scholz zu schwächen gehört da zur vornehmlichen Aufgabe der CDU. Und vielleicht sorgt am Sonntag noch Daniel Günther für den entscheidenden Schwung in der letzten Woche, wenn er in Schleswig-Holstein die Mehrheit verteidigen sollte. „Wir werden wahrscheinlich ein sehr, sehr gutes Ergebnis sehen“, sagt Merz vorher.

Kein Wunder, dass der einstige Europaabgeordnete vor allem über die Ukraine redet, die Außenpolitik, über „Putin und sein Regime“. Er wolle „Demokratie und Freiheit“ verteidigen. Willy Brandt habe Führung gezeigt, aber Scholz? Zwei Regierungserklärungen gab es von ihm bisher, vorgetragen, „als hätte er sie selbst zum ersten Mal gelesen“.

100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr ist er bereit mitzutragen, aber die Bundeswehr benötige dauerhaft mehr Geld. „Wir sind Zeitzeugen einer Zeitenwende“, überhöht Merz die Lage und fordert, dass Europa Verantwortung übernimmt. Für ihn ist es sein wichtigstes Thema. Es sei „nicht mehr angemessen“, dass Deutschland „immer auf dem Beifahrersitz Platz nimmt“. Die Zeit heute entscheide darüber, „ob wir vor der Geschichte bestehen“. Es gehe nicht um Parteipolitik.

Union steht noch am Anfang ihrer Neuerfindung

Die Omnipräsenz des Oppositionsführers kann schwerlich darüber hinwegtäuschen, dass die Union noch ganz am Anfang ihrer Neuerfindung steht nach 16 Jahren Regierungszeit. Dies zeigt allein das Verhalten des Präsidiumsmitglieds, des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Während Merz den Bundestagsbeschluss für Waffenlieferungen an die Ukraine als Erfolg verbuchte („Wir haben etwas bewegt in der letzten Woche“), kritisierte Kretschmer ihn.

Die CDU sei sozial, liberal und konservativ, sagt der Parteichef. dpa

Friedrich Merz in Paderborn

Die CDU sei sozial, liberal und konservativ, sagt der Parteichef.

Er steht ebenso für einen russlandfreundlichen Kurs wie lange Zeit auch CSU-Chef Markus Söder. Die Nähe zu Wladimir Putin ist nicht nur ein Problem der SPD. „Die Ukraine braucht Waffen, um sich verteidigen“, stellt Merz klar. „Es wäre gut, wenn Deutschland sich nicht immer drängen lassen müsse“, fordert er gen Scholz. 30 Botschaften seien zurück in Kiew, „nur die Amerikaner liegen noch hinter uns“.

Es dauert eine halbe Stunde, bis er auf den Landtagswahlkampf zu sprechen kommt, um den es eigentlich geht. Wüst mache seine Sache „hervorragend gut“, er sei einer der „jungen Leistungsträger“. Die CDU sei sozial, liberal und konservativ. Da gibt es Applaus. Auch bei Aussagen wie: „null Toleranz gegen Kleinkriminalität“.

Nach 35 Minuten endet seine Rede. Ein kleiner Talk mit den Landtagskandidaten, dann geht es weiter nach Paderborn. Es ist die Heimat von Carsten Linnemann, Stellvertreter von Friedrich Merz in der Bundespartei und zugleich Chef der Grundsatzprogrammkommission.

Bis 2024 soll die Partei sich ein neues Programm geben, elf Gruppen haben gerade erst mit der Arbeit begonnen. Die Leitplanken hat eine eigene Kommission mit Markus Kerber, Sonderbeauftragtem von Parteichef Merz, bei einem letzten Treffen an diesem Dienstag beschlossen, während Merz in Kiew war. Nach intensiven Diskussionen über die Grundwerte der Partei, wie Teilnehmer berichten, kamen „kurz und knackig“ fünf Seiten heraus.

Der Gottesbezug soll Teil der CDU-Grundwerte bleiben. dpa

Vor dem Paderborner Dom

Der Gottesbezug soll Teil der CDU-Grundwerte bleiben.

Demnach will die CDU eine „bürgerliche Partei“ bleiben, aber ebenso als „Volkspartei“ offen für alle sein, die sich nicht als bürgerlich bezeichnen und auch nicht als christlich. Der Gottesbezug aber bleibt, darauf bestand Merz bereits frühzeitig. Ebenso bleibt der Leistungsgedanke, der aber Schwache, Alte und Kranke nicht ausschließen soll. Merz habe selbst noch einige Anmerkungen für das finale Papier eingebracht, die natürlich eingefügt wurden. Am 30. Mai will er das Papier in Berlin präsentieren.

Doch ums Grundsätzliche geht es auf der Bühne nicht. „Kriegstreiber“ rufen einige, buhen und pfeifen und trommeln, nachdem sie kurz vorher auf dem Nebenplatz bei Bundesfinanzminister Christian Lindner auf der FDP-Veranstaltung gestört haben. „Benutzen Sie Ihren Kopf, nicht Ihren Kehlkopf“, ruft Merz, während die Polizei die Störer zurückdrängt. Zu Beginn seiner Rede, da kann er sich zumindest noch wohlfühlen: Da beginnen die Domglocken zu läuten – so laut sie können.

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