PremiumDer Ex-Finanzminister setzt mit anderen Prominenten auf das Steuer-Start-up eClear. Es soll mehr Klarheit in Europas Binnenmarkt bringen und für Onlinehändler die komplizierte Zahlung der Mehrwertsteuer regeln.
Peer Steinbrück und das Team von eClear
Das Steuer-Start-up eClear hat über Jahre eine Datenbank aufgebaut, die die unterschiedlichen Mehrwertsteuer-Tarife in der EU erfasst. Es hat eine europaweite Lizenz der Finanzaufsichtsbehörde Bafin.
Bild: eClear AG
München Als Bundesfinanzminister hatte Peer Steinbrück zwischen 2005 und 2009 wenig am europäischen Binnenmarkt auszusetzen. Einzig Tricksereien und Betrug rund um die Mehrwertsteuer („Karussell-Geschäfte“) besorgten ihn. Inzwischen, nach der politischen Karriere, schaut der Sozialdemokrat ganz anders auf das Geschehen.
Als Investor bekam er vor sechs Jahren mit, wie kompliziert Europas Realität sein kann – mit sage und schreibe 550.000 unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen. Pures Glück, wenn Händler bei Exportgeschäften auch die richtige Prozentzahl angeben. Denn es zählt, was der Fiskus im „Bestimmungsland“ der verschickten Päckchen und Pakete, also in der Zielregion, an Steuern verlangt.
Im „explodierenden grenzüberschreitenden Onlinehandel“, so Steinbrück, wüssten viele Händler und Plattformen oft schlicht und einfach nicht, dass sie es „mit einer komplexen europäischen Rahmensetzung zu tun haben, in der man leicht illegale Handlungen mit falschen Mehrwertsteuersätzen vornimmt“. Selbst bei großen Handelsplattformen würden in bestimmten Warengruppen in teils mehr als 50 Prozent der Fälle falsche Tarife zugrunde gelegt.
Der einstige SPD-Kanzlerkandidat sinnt auf praktische Lösungen: Wo die Politik versagt, soll Marktwirtschaft helfen. Steinbrück reihte sich ein in eine Phalanx von Geldgebern für ein ambitioniertes Steuer-Start-up: eClear hat über Jahre hinweg gegen das Umsatzsteuerchaos eine Datenbank aufgebaut, die die unterschiedlichen Tarife erfasst. Inzwischen wickelt die in Berlin ansässige Aktiengesellschaft, vom gelernten Journalisten Roman Maria Koidl gelenkt, für Händler die Zahlung der Mehrwertsteuer in 30 Ländern ab. Eine europaweite Lizenz der Finanzaufsichtsbehörde Bafin für den Zahlungsdienstleister macht es möglich.
Er bringe sich gerne bei einem Unternehmen ein, „das sowohl den Händlern Rechtssicherheit gibt als auch den europäischen Staaten, von Polen bis Portugal, die ihnen zustehende Steuer sicherstellt“, kommentiert Steinbrück: „Also eine klare Win-win-Position.“
Die Finanzminister der EU würden ja immer wieder das Ziel erwähnen, bei der Mehrwertsteuer „zu europäisch verbindlichen, rechtlich befolgten Regeln“ zu kommen: „Daraus lässt sich ein Geschäftsmodell bauen.“ Ihn und weitere namhafte Persönlichkeiten habe man deshalb für ein Investment gewinnen können: „Das wird auch im Aufsichtsrat abgebildet und bietet den richtigen Rahmen für Know-how und Erfahrung.“
Dort im Kontrollgremium sitzen neben ihm beispielsweise Ex-Krupp-Chef Gerhard Cromme, der einstige Pro-Sieben-Sat-1-Manager Thomas Ebeling, Verbandsfunktionär Hanns-Eberhard Schleyer und Finanzexperten wie Rothschild-Banker Oliver Schiller.
CEO Koidl, der auch die Mehrheit der Aktien hält, spricht von „Europas größter Mehrwertsteuerdatenbank“, die laufend mit der Hilfe von Steuerberatungsbüros aktualisiert werde: „Dafür haften wir auch - das ist eine Arbeit, die die EU-Kommission weder machen konnte noch machen wollte.“ Brüssel stelle lediglich eine Liste zur Verfügung, die „in weiten Teilen unvollständig oder sogar nicht korrekt ist“. Die EU-Kommission lehne daher auch jede Haftung für deren Richtigkeit ab.
Immerhin ist seit einer großen Reform vom 1. Juli der Freibetrag von 10.000 Euro für alle Händler verbindlich. Es handelt sich insgesamt um einen Riesenmarkt: Im Corona-Jahr 2020 wuchs der Onlinehandel brutto um 15 Prozent auf 83 Milliarden Euro. Der bürokratische Mehraufwand sei vor allem für kleine Händler seit der jüngsten Reform „immens“, sagt der Digitalverband Bitkom, auf Firmen kämen zusätzliche Haftungsrisiken zu.
Koidl, ein im schweizerischen Küsnacht lebender Österreicher, hat ein bewegtes Leben in den Medien hinter sich – mit mehreren Buch-Erfolgen wie „Scheißkerle“, „Blender“ und „Web-Attack: Der Staat als Stalker“. Er besaß Coffeeshops und eine Confiseriekette, arbeitete für Finanzfirmen wie Cerberus und entwickelte 2012 in der SPD-Zentrale für den damaligen Kanzlerkandidaten Steinbrück ein Online-Wahlkampfkonzept, scheiterte damit aber an den Genossen.
Seine Fans halten ihn für extrem innovativ, seine Gegner für extrem schillernd, alle zusammen aber für extrem kommunikativ. „Die Geschichten liegen auf der Straße“, hat Koidl früh von Radio-Gong-Gründer Helmut Markwort gelernt. In den 1980er-Jahren war der heutige Multiunternehmer zur Privatradioszene in München gekommen.
Die Idee für ePlus kam Koidl, als er bei einem früheren Investment, einem Onlinemarktplatz für zeitgenössische Kunst, die Werke per E-Commerce europaweit verkaufte. Da merkte er, wie schwierig es ist, sich in Steuerfragen immer rechtskonform zu verhalten, vertiefte sich in die Details und gewann erste Expertise. „Das ist kurios“, kommentiert Koidl: „Da kommt einer, der mit Steuern nichts zu tun hat, erkennt ein Problem, und fängt damit an im Sinne des Soziologen Georg Simmel: Ein Fremder, der heute kommt und morgen bleibt.“ Er sei ja gelernter Journalist und kein Steuerberater, und auch diese Karriere liege mehr als 30 Jahre zurück.
Nach außen ist Europas Mehrwertsteuer gar nicht so kompliziert: Es gibt den Standardsatz von 19 Prozent, den ermäßigten Satz sowie Befreiungen. Das Problem: Jedes Land, jede Branche definiert dies höchst eigenwillig. Es handelt sich schließlich um ein beliebtes, schnell änderbares politisches Instrument. Keine andere Steuer bringt mehr Geld ein.
So wird für Turnschuhe in Großbritannien erst ab Größe 29 Mehrwertsteuer zwingend, und allein bei deutschen Tannenbäumen existieren sechs Tarife. Für Artikel der „Monatshygiene“ (Binden, Tampons) wiederum gilt inzwischen der reduzierte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent, für Slipeinlagen aber weiterhin der Höchstsatz von 19 Prozent.
Im Gespräch mit Gerassimos Thomas, Generaldirektor Steuern und Zollunion in Brüssel, erfuhren Koidl und Steinbrück, dass die EU nur eine kompilierte Liste mit Angaben der 27 Mitgliedsländer anbietet. Inzwischen erwähnt man immerhin per Disclaimer, für die Richtigkeit keine Verantwortung zu übernehmen.
„Bei unseren Kontakten mit Brüssel hat sich herausgestellt, dass dort niemand die Codes für die Mehrwertsteuersätze in den europäischen Ländern hat – und auch niemand damit beauftragt ist, sie zu sammeln und zur Umsetzung des von der EU selbst gesetzten Rechtsrahmens zur Verfügung zu stellen“, sagt Steinbrück: „Das hat uns gewundert, aber auch bestätigt.“
Die Arbeit von eClear ist nach IDW880 zertifiziert, Partner sind Deloitte, SAP im Vertrieb und ein auf Zollfragen spezialisiertes norddeutsches Steuerbüro. Neben den EU-Staaten werden auch Großbritannien, die Schweiz und Nordirland erfasst. Die Kunden, Onlineplattformen und -händler, können alles, was mit Mehrwertsteuer zu tun hat, auslagern. Das sei „wie bei einer Versicherung“, erklärt Koidl. Man zahle dem Fiskus in den jeweiligen Ländern das Geld und erhalte dafür von den Kunden zwischen einem bis vier Prozent Gebühr.
Der ganze Vorgang, ein Kommissionsmodell, ist über einen 14-stelligen Code automatisiert und in den Onlineshop integriert. Händler ersparten sich viel Mühe. Koidl: „Ich habe gelernt: Wo Schmerz ist, ist Geschäft.“ Es gebe in Europa keinen Dienstleister außer eClear, der Mehrwertsteuerzahlungen vornehmen könne. Sogar herkömmliche Zahlungsdienstleistungen könne man anbieten. Konkurrenten wie Taxdoo bieten bei der Mehrwertsteuer die Automatisierung einzelner Schritte an.
Eine wichtige Rolle spielt auch das Bundeszentralamt für Steuern in Bonn. Es soll nach der jüngsten EU-Reform den Händlern als Anlaufstelle in einem „One-Stop-Shop“-Verfahren die Abführung ausländischer Umsatzsteuer ermöglichen. Die Bereiche seien „gut ausgestattet, um eine zeitgerechte Weiterleitung von Steuererklärungen und Zahlungen, die von registrierten Unternehmern abgegeben werden, zu gewährleisten“, antwortet die Behörde auf Anfrage. Man hat die – unverbindliche – EU-Liste mit den vielen Steuersätzen auf der Website eingebunden.
Nach eigener Darstellung versteht sich das Steuer-Zentralamt im europäischen Handel als Drehscheibe für Steuererklärungen und Zahlungen. Unternehmer, die „One-Stop-Shop“ nutzen, „können und dürfen sich eines Vertreters beziehungsweise steuerlichen Beraters bedienen“, erklärt eine Behördensprecherin, die Befugnis zur Hilfeleistung in Steuersachen richte sich „nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen“.
Das Interesse der Finanzverwaltungen daran, „wie in Brüssel gesetzte Steuerregeln national auch tatsächlich umgesetzt werden, erscheint mir nicht sehr ausgeprägt“, findet Steinbrück, einst Ober-Dienstherr des Bundeszentralamts für Steuern.
Peer Steinbrück mit Angela Merkel
Der SPD-Politiker war während der Finanzkrise Bundesfinanzminister unter der Kanzlerin.
Bild: imago stock&people
Das Geschäft sei „enorm komplex“ und werde durch die Roadmap der EU zum abschließenden Steuersystem bis 2024 „noch deutlich komplizierter werden“, assistiert Koidl. Nach dem Marktstart kommt eClear auf rund fünf Millionen Euro Jahresumsatz. Im ersten Schritt hatte man von Investoren 20 Millionen eingeworben, in der laufenden Finanzierungsrunde sollen noch mal 30 Millionen hinzukommen.
Aktuell werde das Unternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro bewertet, ist aus Finanzkreisen zu hören. Als Aktionäre sind zwei Family Offices großer Mittelständler aus Süddeutschland dabei, sowie zum Beispiel der Schweizer Verleger Michael Ringier und sein CEO Marc Walder. Für Ringiers Boulevardzeitung „Blick“ hatte Koidl eine tägliche Kolumne geschrieben.
Ein Unternehmen, das in der digitalen Welt schnell vorankommen will, brauche drei Dinge, erklärt Ringier-Manager Walder: „Eine starke Idee, starke digitale Tools und starke Umsetzung – eClear hat das.“ Auch wenn es vielleicht großspurig klinge: Die Firma könne „mit automatisierten Lösungen die E-Commerce-Industrie fundamental vereinfachen“. Auch im Firmenbeirat sitzt Walder, nebst zwei Uniprofessoren und dem emeritierten Zollrechtsprofessor Hans-Michael Wolffgang. Die Gremien von eClear gleichen Prominentenklubs.
Die Zahl von derzeit 65 Mitarbeitern soll kurzfristig auf 110 ansteigen, es gibt Büros in Berlin, München, Konstanz, Köln und bald auch in Hamburg. Die kümmern sich um derzeit 700 Händler mit 1000 angeschlossenen Shops.
„Mit Kraft ausrollen“ will CEO Koidl das Geschäft im kommenden Jahr. Die „Early Adopter“ habe man schon gewonnen, jetzt komme es darauf an, auch den Reifenhändler aus Wanne-Eickel zu erreichen, der Felgen exportiert. Hoffnung macht ihm ein jüngst geschlossener Vertrag mit Ebay, die die Beratungsfirma Oliver Wyman zur „Due Dilligence“ schickten.
Es gehe nicht darum, „ganz schnell ein Unicorn mit Milliardenbewertung zu werden“, erläutert Koidl, also ein Start-up mit einer Marktbewertung von über einer Milliarde US-Dollar. Es müsse stattdessen das Ziel sein, langsam aufzubauen, immer wieder zu testen, um dann zu adaptieren und schließlich die Umsätze hochzufahren.
Für Ex-Minister Steinbrück, 74, ist eClear das bedeutendste unternehmerische Engagement. Ansonsten dient der Diplom-Volkswirt der Großbank ING als Senior Adviser und sitzt in etlichen Stiftungen. Dem neuen Steuer-Start-up half der Chefaufseher in Einzelfragen schon mal direkt, etwa als die öffentliche Landesbank Helaba als Investor gewonnen werden sollte. Steinbrücks optimistische Lagebeurteilung: „Das Unternehmen fängt an zu fliegen.“
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