AfD-Fraktionschefin Weidel hält die Rechtsruck-Vorwürfe einer abtrünnigen Abgeordneten für Quatsch. Ein Experte spricht von „Selbstverharmlosung“ und warnt vor den Folgen.
Weidel (links) und Gauland führen die AfD-Fraktion im Bundestag
In dieser Woche verließ die Abgeordnete Verena Hartmann die AfD-Fraktion.
Bild: dpa
Berlin Die Reaktion führender AfD-Politiker ließ nicht lange auf sich warten. Kurz nach dem die AfD-Bundestagsabgeordnete Verena Hartmann erklärte, Fraktion und Partei wegen der wachsenden Macht des rechtsnationalen „Flügels“ zu verlassen, meldeten sich die Bundestagsfraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland zu Wort.
Der Vorwurf des Rechtsrucks sei „völliger Quatsch“, sagte Weidel. Hartmann habe eine „falsche Wahrnehmung“, ergänzte Gauland. Zuvor hatte die abtrünnige Abgeordnete auf ihrer Facebook-Seite eine ganze andere Einschätzung zur Lage der AfD verbreitet. Im Kern geht es dabei um die Rolle des Thüringer Landeschefs Björn Höcke und die von ihm gegründete Sammlungsbewegung „Der Flügel“. Der Verfassungsschutz stuft den Zusammenschluss als Verdachtsfall im Bereich des Rechtsextremismus ein.
Der „Flügel“ wolle die AfD „voll und ganz übernehmen, da es sich mit diesem „Etikett“ mehr erreichen lässt, als mit dem adäquateren NPD-Label“, schreibt Hartmann. Auf dem letzten AfD-Bundesparteitag seien bereits „die schlimmsten Befürchtungen“ wahrgeworden: „Der Flügel mit seinen rechtsextremen Gebaren nach innen und außen, hat es bis an die Spitze der Partei geschafft.“ Hartmann erhob dabei schwere Vorwürfe gegen Gauland. Dieser habe „ganz offen den Begründer des rechten Flügels, Herrn Höcke, der 'Mitte der Partei' zugehörig“ erklärt. Damit verschiebe sich die Mitte nach rechts und zwinge die gesamte Partei mitzugehen.
Der Rechtspopulismus-Forscher Matthias Quent hält die Analyse Hartmanns für plausibel. Die Reaktionen von Weidel und Gauland bestätigten den Wahrheitsgehalt der Aussagen. „Indem die Fraktionschefs erneut die massive Radikalisierung ihrer Partei in den Rechtsextremismus leugnen, bereiten sie dieser den Weg“, sagte der Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft dem Handelsblatt.
Mit Weidel und Gauland sei ein rationaler Diskurs über die Entwicklung der AfD nicht mehr möglich. „Stattdessen verfolgen sie weiterhin die Strategie der Selbstverharmlosung und konstruieren für sich und ihre strammen Anhänger und Anhängerinnen eine eigene Realität, die weder den Fakten noch dem Bild entspricht, dass die AfD im Großteil der Bevölkerung hinterlässt.“ Für Quent liegt damit auf der Hand: „Unter diesen Vorzeichen ist der Durchmarsch des völkisch-nationalistischen Flügels und damit auch die Beobachtung der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz voraussichtlich nicht mehr aufzuhalten.
Befördert wurde diese Entwicklung von führenden Akteuren der Partei. Weidel beispielsweise habe vor einigen Jahren noch den Versuch der damaligen Vorsitzenden Frauke Petry unterstützt, Höcke aus der Partei auszuschließen, sagte der Mainzer Politikwissenschaftler Kai Arzheimer dem Handelsblatt. Inzwischen habe sie „keine Berührungsängste mehr“. „Ob aus strategischen Gründen oder Überzeugung: die Rechtsverschiebung wird von Partei- und Fraktionsführung mitgetragen“, so Arzheimer.
Deswegen ist der Austritt Hartmanns aus der Fraktion auch ein Hinweis darauf, dass die AfD nicht ganz so einheitlich und geschlossen ist, wie es manchmal nach außen erscheint. „Diejenigen, die die Partei eher als konservative neue Heimat jenseits der CDU angesehen haben, fühlen sich zunehmend vom rechten Flügel an den Rand gedrängt und sehen, wie dieser langsam die gesamte Partei unterwandert“, sagte der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst dem Handelsblatt.
Auch die Kritik an der Partei- und Fraktionsspitze, die seit langem den „Flügel“ gewähren lasse, sei „vollkommen berechtigt und nachvollziehbar“, so Probst. „Alexander Gauland und Alice Weidel suchen immer wieder den Schulterschluss mit dem rechtsextremen Teil der Partei, um diesen nicht zu verlieren, weil das eine erhebliche Schwächung der AfD bedeuten würde.“
Pikant dabei ist: Der wachsende Einfluss des Höcke-Flügels dürfte auch eine Rolle spielen bei der Beantwortung der Frage, ob der Verfassungsschutz die AfD als Ganzes unter Beobachtung stellen soll. Aktuell trügen Bundes- und Landesämter alle Informationen dazu zusammen und bildeten sich gemeinsam eine Meinung, sagte der Chef der Innenministerkonferenz, der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD), vor kurzem dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Ich werbe dafür, dass wir das bald machen. Es wird Zeit. Die Informationen liegen ja vor.“ Es gebe keinen Grund, noch sehr viel länger zu warten, so Maier.
Aktuell wirf die AfD als Ganzes schon jetzt als „Prüffall“ im Bereich Rechtsextremismus behandelt. Und neben Höckes „Flügel“ hat der Verfassungsschutz auch die Junge Alternative zum sogenannten Verdachtsfall erklärt - die letzte Stufe vor der Einstufung als Beobachtungsobjekt.
Der Politik-Professor Probst ist sicher sicher: „Der Kurs der Parteiführung und der Vormarsch des Flügels beschwören die Gefahr einer Beobachtung der gesamten Partei durch den Verfassungsschutz herauf.“ Das sei gerade für diejenigen, die im öffentlichen Dienst oder sensiblen staatlichen Sicherheitsbereichen arbeiten, „natürlich ein Problem, weil sie damit perspektivisch ihren Job riskieren oder zumindest Nachteile in Kauf nehmen müssten“. Ob andere nachziehen, sei allerdings offen. „Personen aus dem Sicherheitsbereich - Polizisten, Sicherheitsdienste, Bundeswehr - sind jedenfalls überproportional bei der AfD vertreten.“
Kai Arzheimer von der Uni Mainz schätzt die Folgen für die Partei negativer ein, zumal eine drohende Beobachtung durch den Verfassungsschutz auch für Menschen, die weit rechts stehen, einer „Stigmatisierung“ gleichkomme. „Für AfD-Mitglieder und -Mandatare, die sich ohnehin fragen, ob sie in der Partei noch gut aufgehoben sind, kann dies der letzte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt“, glaubt der Experte. Für Personen, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, bedeute eine Beobachtung zudem ein „existentielles Risiko“. „Wenn es tatsächlich zu einer Beobachtung kommt, steht hier eine große Absetzungsbewegung bevor“, so Arzheimer.
Darauf, dass vor allem Beamte der AfD den Rücken kehren, spekulieren Hardliner wie Höcke, ist der Wissenschaftler Quent überzeugt. Für sie seien solche Abwanderungsbewegungen „ein notwendiger Aderlass“. Ihr Zwischenziel sei die Normalisierung, und dabei seien sie durchaus erfolgreich. „In Ostdeutschland hat sich der völkische Flügel schon lange durchgesetzt und erreicht damit große Wahlerfolge“, so Quent. Daher riskiere die CDU ihre Glaubwürdigkeit als Rechtsstaatspartei, wenn sie in Kommunal- oder Landesparlamenten „mit den Rechtsextremen gemeinsame Sache macht“.
Mehr: Lesen Sie hier, warum die AfD in der Rentenpolitik auf eine heftige Auseinandersetzung zusteuert.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (3)