Nach dem Scheitern der Impfpflicht geht es in der Ampelkoalition hoch her. Bei der geplanten 100-Milliarden-Aufrüstung der Bundeswehr steht die nächste Belastungsprobe an.
Lindner, Habeck und Scholz im Bundestag
Der Gesprächsbedarf zwischen Finanzminister Christian Lindner (FDP), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist groß, die Stimmung in der Koalition angespannt.
Bild: dpa
Berlin Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck (Grüne) stehen am Freitagmittag gut zwei Meter entfernt voneinander im Bundesfinanzministerium. Das Debakel bei der Impfpflicht ist zu diesem Zeitpunkt ziemlich genau 24 Stunden her, jetzt soll die Woche wenigstens gut enden.
Die beiden loben sich gegenseitig, es geht um den neuen Schutzschild für deutsche Unternehmen, die unter den Folgen des Ukrainekrieges leiden. „Das Bundeswirtschaftsministerium hat da einen sehr intelligenten Mechanismus erarbeitet“, sagt Lindner. „Vielen Dank“, sagt Habeck. „Wie es unsere Art ist.“
Die Meinungsverschiedenheiten in der Energiepolitik versuchten die beiden Minister anschließend herunterspielen. „Alles Chico“, versicherte Habeck, alles okay also.
Doch tatsächlich geht es in der Ampelkoalition derzeit hoch her. Und das nicht nur in der Energiepolitik. Nach dem Scheitern der Impfpflicht stellt sich die Frage, was diese politische Klatsche für künftige Zusammenarbeit in der Ampel bedeutet.
Das Impfpflicht-Debakel hat viele Ampelabgeordnete verunsichert. Während bei SPD und Grünen die meisten Abgeordneten den Entwurf für eine Impfpflicht ab 60 Jahren unterstützten, lehnten ihn bei der FDP 79 Abgeordnete ab, nur fünf waren dafür. Wann hatte es das jemals gegeben, dass sich ein Koalitionspartner so geschlossen gegen ein Wunschprojekt des Kanzlers stellte?
Bei SPD und Grünen herrscht darüber Fassungslosigkeit. Offenbar gingen viele fest davon aus, dass sich am Ende des monatelangen Meinungsbildungsprozesses zumindest ein größerer Teil der FDP hinter einem Kompromiss für eine Impfpflicht versammeln würde. „Die FDP muss sich überlegen, ob sie noch in der Opposition ist oder schon in der Regierung”, heißt es in der SPD-Fraktionsführung.
SPD-Vizechefin Anke Rehlinger war ähnlich bedient. „Das Scheitern der Impfpflicht steht keiner Partei besonders gut an“, sagt sie dem Handelsblatt. Eine Impfpflicht wäre die große Chance gewesen, einmal vor die Welle zu kommen, nachdem man bislang immer hinter der Welle gewesen sei. „Jetzt müssen wir uns im Herbst schlimmstenfalls auf neue Einschränkungen einstellen.“
Ähnlich genervt sind die Grünen, und zwar seit Wochen. Mit der FDP sei einfach keine Coronapolitik zu machen, sagt ein Abgeordneter. Die harsche Kritik stößt wiederum den Liberalen auf. Es sei Konsens in der Ampel gewesen, dass alle Abgeordneten ohne Fraktionsdisziplin abstimmen – dann solle man sich hinterher nicht darüber beschweren. In der FDP vermuten viele, dass die Grünen sauer sind, weil SPD und Liberale zuletzt häufig auf einer Linie waren, während die Grünen spät einbezogen wurden, etwa beim Sondervermögen für die Bundeswehr.
Mit der SPD wiederum haben die Grünen auch ihre Probleme. Die zögerliche Politik im Ukrainekrieg von Kanzler Scholz stößt immer mehr Grünen auf. Es sei „an der Zeit, dass Deutschland Führung übernimmt“, sagte etwa der frühere Fraktionschef Anton Hofreiter mit Blick auf die Lage in der Ukraine und ergänzt: Scholz müsse handeln, „Europa wartet darauf“.
Hofreiter hat dabei die zögerliche Haltung der SPD bei der Frage eines Energieembargos gegenüber Russland im Blick. Aber auch das sensible Thema Waffenlieferungen könnte in der Koalition noch für großen Ärger sorgen.
Hier stehen Habeck und Lindner Seite an Seite. Beide fordern, mehr Material an die Ukraine zu liefern, auch schweres Gerät wie etwa Panzer. Doch Scholz und SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht bremsen. Sie betonen logistische und wehrtechnische Probleme und fürchten, durch den Export von schwerem Kriegsgerät werde Deutschland selbst zur Kriegspartei. Doch mit jedem Tag, an dem es neue erschreckende Bilder aus der Ukraine gibt, dürfte diese defensive Haltung in der Ampel stärker hinterfragt werden.
Dazu macht Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) der Ampel das Leben schwer. Merz trimmt die Union gerade auf fundamentale Opposition. Bei der Impfpflicht zog er diesen Kurs durch. Und so wird es weitergehen.
Als Habeck und Lindner den neuen Schutzschirm für die Wirtschaft vorstellten, verkündete Merz mit CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt in der Bundespressekonferenz: Die Union reicht Verfassungsklage gegen den Nachtragshaushalt der Ampel ein. Damit hatte die Koalition 60 Milliarden Euro nicht genutzter Corona-Kreditermächtigungen in den Energie- und Klimafonds verschoben.
Merz sprach von einer Umgehung der Schuldenbremse. Noch in diesem Jahr soll das Bundesverfassungsgericht über die Klage entscheiden. Sollte Merz Erfolg haben, würde das die gesamte Haushaltspolitik der Ampel ins Wanken bringen.
Noch brisanter ist der Streit über die 100-Milliarden-Aufrüstung der Bundeswehr, das von Scholz als Zeitenwende angekündigte Projekt. Für das geplante Sondervermögen ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig, weshalb die Ampel wieder auf Stimmen der Union angewiesen ist. Merz will das Sondervermögen zwar mittragen, hat aber angekündigt, nur so viele Unions-Abgeordnete im Bundestag darüber abstimmen zu lassen, wie es für eine Zweidrittelmehrheit braucht, wenn die Ampel zu 100 Prozent geschlossen für die Aufrüstung stimmt.
Auf die Frage, ob er das Sondervermögen an zwei Grünen scheitern lassen wolle, die vielleicht nicht für das Sondervermögen sind, antwortete Merz jüngst: „Dann scheitert es nicht an uns, dann scheitert es an den beiden Grünen.“ Sollte Merz die harte Linie durchziehen, steht der Ampel eine schwierige Abstimmung bevor.
Dass die Koalition kein gutes Erscheinungsbild hinterlässt, zeigen auch Umfragen. Vor allem FDP-Chef Lindner stürzte neben Scholz in den persönlichen Beliebtheitswerten ab. Nachdem die FDP schon im Saarland den Einzug ins Parlament verpasste, schauen die Liberalen nun sorgenvoll nach Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, wo im Mai Landtagswahlen anstehen.
Insbesondere die NRW-Wahl gilt als entscheidend. Sollte die FDP dort aus der Regierung fliegen, würde dies die Nervosität noch verstärken, fürchtet man bei den Grünen und der SPD. „Wenn Lindner dann meint, ohne Rücksicht auf die Koalitionspartner Hardcore-FDP-Politik zu machen, macht es uns das Leben noch schwerer“, stöhnt ein SPD-Spitzenpolitiker.
Die Ampel hat in diesen Tagen viel zu bereden. Nach ihrer Pressekonferenz am Freitag standen Lindner und Habeck im Foyer des Finanzministeriums noch kurz beisammen. Sie hätten „Vertrauliches miteinander zu bereden“, sagte Habeck. Der Wirtschaftsminister braust dann mit dem Auto los, während Lindner mit winkender Aktenmappe die Treppen zu seinem Büro hocheilt.
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