Russland blockiert die Häfen der Ukraine im Schwarzen Meer. Speditionen setzen alles in Bewegung, so viel Getreide wie möglich abzutransportieren – bevor es zu spät ist.
Getreideumschlag im rumänischen Schwarzmeerhafen Constanta
Durch die russische Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen können große Mengen an Getreide nicht exportiert werden.
Bild: dpa
Berlin Der Bund bemüht sich gemeinsam mit der Logistikbranche, möglichst viel Getreide über alternative Routen aus der Ukraine zu exportieren. Allerdings scheint es unmöglich, den sonst üblichen Schiffsverkehr aus der Kornkammer der Welt über das Mittelmeer mit Binnenschiffen, Lastwagen oder Zügen zu ersetzen. Dies wurde bei ersten Beratungen des Koordinators der Bundesregierung für Güterverkehr und Logistik, Oliver Luksic (FDP), mit der Branche deutlich.
Es geht um mehr als 20 Millionen Tonnen Getreide im Jahr, die die Ukraine verlassen müssen, um wieder Platz in den Lagern für die neue Ernte zu schaffen. „Der russische Angriff auf die Ukraine verursacht enormes Leid im Osten Europas und riskiert zugleich eine weltweite Hungersnot“, sagt Luksic. „Statt über Schwarzmeerhäfen, die von Russland blockiert werden, muss ukrainisches Getreide nun andere Wege aus dem Land finden.“
Wie es hieß, werden inzwischen zumindest rund zwei Millionen Tonnen Getreide im Monat über alternative Routen außer Landes geschafft. Es könnten aktuell allerdings nur noch 500.000 Tonnen hinzukommen. Die Ukraine hoffe hingegen, dass es sogar drei bis fünf Millionen Tonnen werden, um in den heimischen Lagern Platz für die neue Ernte zu schaffen, verlautete aus der Runde, die vorige Woche getagt hatte.
Doch das scheint wenig realistisch. Denn es gibt Probleme, die sich kurzfristig nicht lösen lassen. Es fehlen Kapazitäten und Personal. Ausgerechnet das Schienennetz gerät an seine Grenzen.
Denn nicht nur Getreidezüge brauchen Slots auf der Schiene. Vor allem sind auch etliche Züge mit militärischem Gerät unterwegs – und ebenso Züge, die angesichts der Energiekrise Kohle transportieren. Von ihnen dürfte bald noch weit mehr das Netz belasten und die ohnehin schon angespannten Fahrpläne durcheinanderbringen.
So hat die Bundesregierung gerade mit dem Energiesicherungsgesetz ermöglicht, dass im Notfall „schienengebundene Transporte von Erdöl und Erdölerzeugnissen und sonstigen festen Energien“ Vorrang im Netz erhalten. Der Fall der Energieknappheit könnte bereits in diesem Monat eintreten, wie selbst Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwochabend im ZDF einräumte.
Eisenbahnen sind Massengut-Transportmittel Nummer eins. „Wir tun, was wir können“, sagte Peter Westenberger, Geschäftsführer beim Netzwerk Europäischer Eisenbahnen dem Handelsblatt. „Allerdings gibt es Limits durch Wagen, Loks, die Netzkapazität, Zoll- und Betriebsvorschriften und die Umlademöglichkeiten an der Grenze.“ Er wundere sich, dass für das kommende Jahr trotz der bekannten Probleme nur ein „mickriges Budget für den Schienenaus- und -neubau“ vorgesehen sei.
Das Bahnnetz drohte bereits vor dem Ukrainekrieg zu kollabieren. Grund sind übermäßig viele Baustellen, marode Trassen und fehlende Ausweichstrecken. Die Branche beklagte bereits im vergangenen Herbst das Baustellenmanagement der Netztochter der Deutschen Bahn AG. Die Lage verschärfte sich im Frühjahr noch und sorgte dafür, dass Hunderte Güterzugtransporte gestrichen werden mussten – selbst bei der Gütertochter der Bahn, der DB Cargo.
Die bundeseigene Bahn AG hat eingeräumt, dass sich die Lage weder in diesem noch im nächsten Jahr bessern wird. Ab 2024 will die Bahn die hochbelasteten Strecken sanieren. „Der Bund und damit der Verkehrsminister müssen die selbst angekündigte ‚Chefsache‘ nun durchziehen“, forderte Westenberger. „Aus unserer Sicht heißt das, eine Verständigung mit der gesamten Branche über die zukünftige Organisation der Infrastrukturgesellschaft zu erlangen und Baustellen nach dem Leitsatz: ‚bauen und fahren‘ zu organisieren.“ Derzeit kommt es in der Regel zu langen Vollsperrungen.
Auch auf dem Wasser binden Kohletransporte inzwischen Kapazitäten, vor allem aus den niederländischen Seehäfen Richtung Ruhrgebiet. Getreidetransporte erfolgen derzeit über die Donau. Dazu begrenzt Niedrigwasser die Möglichkeit, Schiffe zu beladen. Inzwischen werden schon „absurd hohe Preise für Schiffsraum bezahlt“, wie es in der Branche heißt.
„Bei uns stehen alle Kapazitäten unter Dampf.“ Martin Staats, Präsident des Bundesverbands der deutschen Binnenschifffahrt
Von 100 Euro je Tonne ist die Rede. Gleichzeitig dauern die Transporte sehr lange. Getreide werde entweder an die EU-Außengrenze verschifft oder weiter bis an rumänische Seehäfen. Selten führen sie weiter Richtung Westeuropa. „Bei uns stehen alle Kapazitäten unter Dampf“, sagte Martin Staats, Präsident des Bundesverbands der deutschen Binnenschifffahrt.
Auch gibt es kaum noch freie Lastwagen oder Fahrer. Entsprechend helfe es auch nicht, das Sonntagsfahrverbot aufzuheben. „Die Lkw-Fahrer fahren schon ohne Ende, mehr geht nicht“, heißt es bei einem großen Hamburger Verlader.
Das Bundesverkehrsministerium hat mit den Ländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern vereinbart, dass auf der Route zum Hafen Rostock ab sofort Lastwagen das üblicherweise zulässige Höchstgewicht von 40 Tonnen um zehn Prozent überschreiten dürfen. Auch dürfen Lastwagen aus der Ukraine und aus Moldau mit der alten Umweltnorm Euro 2 wieder in Deutschland fahren.
Die Führerscheine der Fahrer müssen ebenfalls nicht wie sonst üblich zuerst umgeschrieben werden. Das Bundeswirtschaftsministerium stelle zudem Hermes-Bürgschaften für die Transporte aus der Ukraine bereit, um sie zu versichern, hieß es.
In der Runde mit Logistikkoordinator Luksic sei schnell klar gewesen: Alle müssen an einem Strang ziehen. Es sei allen bewusst geworden, dass mittelfristig kein Getreide mehr aus der Ukraine über das Mittelmeer in die Welt verschifft werde. Es sei an der deutschen Logistik, Alternativen zu schaffen.
So kann Getreide über Rumänien per Lkw gelangen, wobei die Häfen schon stark belastet sind. Nach Litauen fahren Lastwagen über Polen und in Zukunft auch Züge. In den polnischen Ostseehäfen können Züge und Lastwagen ankommen, allerdings fehlt dort Gerät zum Entladen, wie es hieß. In Deutschland können die Häfen in Rostock, Hamburg und Brake an der Unterweser Getreide umschlagen. Die Fahrten dorthin sind zwar auch die längsten, es gebe dort aber freie Kapazitäten.
Je nach Lage müsse jede Route von den Verladern kurzfristig disponiert werden. Allerdings gebe es in den Häfen kaum freie Silos, um das Getreide zu lagern. Da die Waren nicht beliebig schnell auf Seeschiffe verladen werden können, werde mit der Ukraine darüber geredet, sogenannte Silo-Bags anzuschaffen. In ihnen könnte das Getreide auch im Freien lagern, was den Druck auf die Transportbranche senken würde. Mit der Frage müssten sich internationale Gremien wie die Vereinten Nationen oder die Weltbank beschäftigen, hieß es.
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