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28.10.2020

16:27

Neue Nothilfen für die Wirtschaft

Corona-Lockdown: Bundesregierung will Firmen 75 Prozent des Umsatzes erstatten

Von: Martin Greive, Jan Hildebrand, Donata Riedel, Frank Specht

Die Bundesregierung plant Nothilfen für vom Lockdown betroffene Branchen und will erstmals Umsatzeinbrüche ersetzen. Bis zu zehn Milliarden Euro sollen dafür bereitgestellt werden.

Corona Deutschland: Bund will Firmen 75 Prozent des Umsatzes erstatten REUTERS

Angela Merkel und Olaf Scholz

Die Kanzlerin und ihr Finanzminister planen weitere Hilfen für Unternehmen.

Berlin Die Bundesregierung will von einem möglichen Corona-Lockdown betroffenen Firmen bis Ende November 75 Prozent des Umsatzes erstatten. Dies erfuhr das Handelsblatt aus Regierungskreisen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) skizzierte den Plan für die Wirtschaft in der Videoschalte mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten.

Den von temporären Schließungen betroffenen Unternehmen und Einrichtungen werde der Bund eine Nothilfe gewähren, um sie für die finanziellen Ausfälle zu entschädigen, hieß es in der Beschlussvorlage für das Bund-Länder-Treffen. Welche Branchen alle schließen sollen, wurde noch verhandelt. Genannt wurden in der Vorlage etwas Restaurants, Fitnessstudios und Kinos. Die Schließungen waren aber bis zuletzt umstritten.

Wie immer die Details zum Lockdown aussehen, klar ist schon jetzt: Es wird großzügige Hilfe geben. „Ich gehe davon aus, dass falls es zu Einschränkungen kommt, auch die Hilfsangebote gleichzeitig mitbeschlossen werden“, sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Das Konzept für die Nothilfen ist fertig.

Die Erstattung soll sich an dem Umsatz aus dem November 2019 bemessen. Bereits gewährte Hilfen wie Überbrückungshilfen oder Kurzarbeitergeld sollen von den Nothilfen abgezogen werden. Dabei geht es vor allem um die Gastronomie oder den Tourismus.

Die Kosten für die Nothilfen beziffert das Bundesfinanzministerium auf acht bis zehn Milliarden Euro. Dies sei auch abhängig davon, welchen Branchen die Nothilfen gewährt werden.

Überbrückungshilfen sollen ausgebaut werden

Ein dritter Nachtragshaushalt sei in diesem Jahr aber nicht notwendig, hieß es. Die Mittel für die Nothilfen könnten aus dem bereits existierenden Topf für Überbrückungshilfen stammen. Von den dafür vorgesehenen 25 Milliarden Euro sind bislang erst rund zwei Milliarden Euro abgerufen.

Neben den neuartigen Nothilfen, sollen auch die Überbrückungshilfen noch mal ausgeweitet werden. Auch darüber wurde in der Runde von Merkel und den Ministerpräsidenten beraten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte schon vor dem Treffen weitere Unterstützung angemahnt: „Wir werden auch Zusatzhilfen für die Wirtschaft brauchen.“ Als Beispiel nannte Söder einen Unternehmerlohn für Soloselbstständige.

Auch Altmaier machte den Soloselbstständigen Hoffnung und sprach sich für eine entsprechende Regelung aus. Die SPD lehnt das aber bisher ab. Der Unternehmerlohn sei systematisch nicht sinnvoll, hieß es in SPD-Kreisen. Dort verweist man darauf, dass Grundsicherung beantragt werden kann.

Aber auch die Sozialdemokraten sind zu einer großzügigeren Überbrückungshilfe bereit. Die SPD kann sich etwa eine Art Betriebskostenpauschale vorstellen, bei der dvor allem die vielen Kleinunternehmer nur nachweisen müssen, dass sie Corona-bedingt Mindereinnahmen haben. „Das ist unbürokratisch und kann neben der Grundsicherung beantragt werden“, heiß es.

Proteste in Berlin

Der Druck auf die Politik ist groß, bei neuen Beschränkungen die Hilfen auszuweiten. Während die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten konferierten, zogen Tausende Kulturschaffende und Beschäftigte aus der Veranstaltungsbranche in zwei Demonstrationszügen durch Berlin. Organisiert hatte den Protestmarsch das Aktionsbündnis #AlarmstufeRot.

Auch der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga, der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft sowie weitere Branchenvertreter hatten aber zur Teilnahme aufgerufen. Viele Branchen, die jetzt durch erneute Schließungen besonders betroffen würden, fürchten um ihre Existenz.

Einem Drittel der 245.000 Betriebe des Gastgewerbes drohe bei einer erneuten Schließung das Aus, warnte beispielsweise Dehoga-Präsident Guido Zöllick. „Sollte unsere Branche aus pandemiebedingten Gründen quasi mit einem Berufsverbot belegt werden und damit eine Sonderlast in der Corona-Pandemie tragen, müssen die politisch Verantwortlichen schnell und vollumfänglich für den Schaden aufkommen“, forderte er. Es gehe um das Überleben der Branche.

Für viele Kulturschaffende, Soloselbstständige und Freiberufler stand die Forderung nach einem „Unternehmerlohn“ ganz oben auf der Prioritätenliste. Sie profitieren bisher kaum von den staatlichen Hilfen, weil sie keine nennenswerten Betriebskosten haben, die sie angeben könnten.

Zur Deckung ihres Lebensunterhalts dürfen die Hilfen in den meisten Fällen jedoch nicht verwendet werden, Ausnahmen gibt es in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Die übrigen Betroffenen müssen ihren Lebensunterhalt im Zweifel mit der staatlichen Grundsicherung, umgangssprachlich Hartz IV, bestreiten.

Schulden steigen deutlich

Aufgrund der neuen Hilfsmaßnahmen wird die Verschuldung im nächsten Jahr deutlich höher ausfallen als bislang geplant. So will die Bundesregierung etwa die ursprünglich bis Jahresende befristeten Überbrückungshilfen für die Wirtschaft bis Mitte nächsten Jahres verlängern. Auch die Verlängerung weiterer Hilfsmaßnahmen ist wahrscheinlich. Die geplante Nettokreditaufnahme von 96 Milliarden Euro für 2021 sei damit nicht zu halten.

Die Neuverschuldung werde auch im nächsten Jahr „weit über 100 Milliarden Euro liegen“, sagte ein Regierungsvertreter. In diesem Jahr plant die Bundesregierung bereits mit einer Rekordverschuldung von 218 Milliarden Euro.

Ifo-Präsident Clemens Fuest findet es richtig, dass der Staat in dieser Krise den betroffenen Branchen mit Betriebskostenzuschüssen und Liquiditätshilfen, und Unternehmern auch mit einem leichteren Zugang zu Sozialleistungen hilft. Allerdings: „Einen Unternehmerlohn sehe ich skeptisch“, sagte der Ökonom. „Es gehört zum Unternehmertum dazu, Risiken zu tragen“, sagte er. Das Wort „Unternehmerlohn“ sei ein Widerspruch in sich.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sieht das ähnlich. Ein erneuter Lockdown werde die Gastronomie, den Einzelhandel und die Reisebranche hart treffen. „Ein großzügigerer Verlustrücktrag wäre der beste Weg um Unternehmen in diesen Branchen zu entlasten und sofort finanzielle Hilfe zukommen zu lassen“, sagte er dem Handelsblatt.

Eine Erstattung von Umsätzen hält er für unrealistisch, „denn die Umsätze vieler waren schon im Oktober auch ohne Restriktionen gering“. Und von einem Unternehmerlohn hält er wie Fuest gar nichts: „Er würde eine zwei Klassengesellschaft schaffen, bei denen Unternehmer besser gestellt wären als Arbeitnehmer.“ Das sei weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich zu rechtfertigen.

Für einen großzügigen steuerlichen Verlustrücktrag ist auch die FDP. Sie will am Donnerstag einen entsprechenden Antrag im Bundestag einbringen. „Dieses Jahr hat massive Auswirkungen auf die arbeitenden Menschen und die Unternehmen in Deutschland“, sagte FDP-Fraktionsvize Christian Dürr. „Die Antwort kann nur Entlastung sein, damit die Wirtschaft nicht weiter einbricht.“

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