Andreas Pinkwart
Der FDP-Politiker ist seit Sommer 2017 Wirtschafts- und Digitalminister von Nordrhein-Westfalen.
Bild: imago images / Ralph Sondermann
Der FDP-Politiker Andreas Pinkwart ist seit zweieinhalb Jahren Digitalminister von Nordrhein-Westfalen. Eine Zwischenbilanz.
Düsseldorf Auf Kommando heben die Drohnen ab und surren durch die Luft wie ein Vogelschwarm. Mal bilden sie Gruppen, mal lösen sich einzelne aus dem Schwarm heraus. Die Studenten sind erleichtert. Bis nachts um drei Uhr haben sie die Premieren-Schau vorbereitet.
Das Fraunhofer-Institut arbeitet zusammen mit der Technischen Universität Dortmund an einem biointelligenten Drohnenschwarm. Als Andreas Pinkwart (FDP) vor einem Jahr zu Besuch war, fielen die Drohnen herunter wie tote Vögel. Jetzt ist der nordrhein-westfälische Wirtschafts- und Digitalminister begeistert. „Das ist Weltklasse“, schwärmt er.
Zehn Minuten später flitzen „Loadrunner“ über die Testfläche und bringen Pakete von einer Station zur anderen. Die im Schwarm organisierten autonomen Fahrzeuge können dank Künstlicher Intelligenz selbstständig Aufträge verarbeiten. Sie kommen in der Logistik zum Einsatz, in Lägern oder bei der Gepäckbeförderung an Flughäfen.
Andreas Pinkwart ist gekommen, um den digitalen Fortschritt zu begutachten. Er leitet das wohl größte und ambitionierteste Projekt der schwarz-gelben Landesregierung von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Er soll das bevölkerungsreichste Bundesland digitalisieren.
Bis 2025 will er NRW „zur modernsten und klimafreundlichsten Industrie- und Dienstleistungsregion Europas machen“. In Berlin wird die Arbeit von Pinkwart aufmerksam beobachtet. Die Zahl der Befürworter eines bundesweiten Digitalministeriums steigt. Zuletzt sprach sich CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer dafür aus. Ist NRW die Blaupause?
Die Digitalstrategie von Pinkwart umfasst knapp 60 Seiten. Das Wichtigste in Kürze: Gigabit-Geschäftsstellen sollen die Kommunen beim Breitbandausbau beraten. Ein Kompetenzzentrum in Sankt Augustin forscht im Bereich Künstliche Intelligenz.
Ein Mobilfunkpakt mit den Netzbetreibern soll bis 2021 alle Funklöcher schließen, bis 2022 sollen alle Schulen und Gewerbegebiete an Gigabit-Netze angeschlossen sein. Mithilfe von Bürgerbeteiligung wird ein neues E-Government-Gesetz entwickelt. Bis 2025 soll die Verwaltung des Landes digital sein und Behördengänge überflüssig machen. Pinkwart spricht von der „umfassendsten Verwaltungsreform der Nachkriegszeit“.
Eigentlich hatte der promovierte Volkswirt, der aus Neunkirchen-Seelscheid im Rhein-Sieg-Kreis stammt, der Politik schon den Rücken gekehrt. Bis 2010 war er NRW-Wissenschaftsminister. Ein Jahr später wurde er Rektor der Graduate School of Management, einer privaten Wirtschaftshochschule in Leipzig. Nach der Landtagswahl 2017 bot FDP-Chef Christian Lindner ihm das Super-Ministerium an.
In anderen Bundesländern und im Bund sind die Zuständigkeiten für Digitales an verschiedene Minister und Staatssekretäre verteilt. In NRW sollte alles gebündelt werden. Pinkwart griff zu. Nach Amtsantritt erlebte er jedoch einen Realitätsschock. In der Hochschule hatte er den digitalen Wandel miterlebt, in NRW war davon wenig zu spüren. „Obwohl ich sieben Jahre weg war, war in den Arbeitsprozessen alles gleich.“
Der 59-Jährige sieht in der Digitalisierung eine Riesenchance für Arbeitswelt, Gesundheitswesen, Verwaltung und Privathaushalte. Für ihn verbindet der digitale Wandel alle Menschen und Lebensbereiche, von der digitalen Schule bis zum virtuellen Kraftwerk.
Pinkwart hat inzwischen die Aktenwagen aus dem Ministerium verbannt. Im Dienstwagen liegen keine Ordner mehr, nur noch ein Tablet. Pinkwarts Mitarbeiter können bis zu 40 Prozent ihrer Arbeitszeit mobil arbeiten. Seit Juli 2019 ist das ganze Haus auf E-Verwaltungsarbeit umgestellt. Im Laufe des Jahres 2020 soll alles papierfrei sein. Pinkwart will Schnittstelle und Antreiber sein.
Mitte November ist er in Soest. „Ich komme gerade vom Glasfaserkabelverlegen in Hückeswagen“, sagt der Minister, der verspätet eintrifft. In Soest wird an diesem Tag ein Stadtlabor vorgestellt. Das Ladenlokal in der Fußgängerzone soll offen sein für alle, die sich über Digitalisierung informieren oder sie gestalten wollen.
Digitalisierung zum Anfassen. Die Stadt will sich als Smart City profilieren, zum Beispiel mit dem vom Kreis Soest entwickelten Bigbird-Projekt. Die Mobilitäts-App ist mehr als eine Fahrplaninfo. Behinderte können dem Fahrer frühzeitig signalisieren, dass sie zusteigen wollen.
Zusätzlich soll ab dem kommenden Jahr ein Check-in per Smartphone möglich sein und die klassische Bezahlung entfallen. Stattdessen wird am Ende des Monats anhand aller Fahrten tarifübergreifend automatisch der beste Preis berechnet. Zunächst ist das Projekt auf den Großraum Paderborn, Bielefeld, Münster und Dortmund beschränkt. Ziel ist die Ausweitung auf das ganze Bundesland.
Bigbird ist deutschlandweit das größte E-Tarif-Projekt. Städte wie Jena, Erfurt, Stuttgart, Freiburg und Wien ließen sich bereits beraten. Pinkwart setzt auf digitale Modellkommunen: Die Regionen Wuppertal, Soest, Paderborn, Aachen und Gelsenkirchen werden bis 2021 mit 91 Millionen Euro für digitale Pilotprojekte unterstützt.
In Gelsenkirchen und Aachen wird eine Blockchain-Infrastruktur für Kommunalverwaltungen erprobt, in Wuppertal ein digitales Bürgeramt. Das Know-how bringe nicht nur die Modellregionen weiter, so Pinkwart, sondern sei auf alle 396 Städte und Gemeinden in NRW übertragbar.
Von der Opposition im Landtag wird der Minister kritisch beäugt. Pinkwart lade gern zu PR-Terminen, seine Schwäche liege im Handeln, sagt Mona Neubaur, Vorsitzende der Grünen in NRW. Sie wirft dem FDP-Politiker vor, Städte und Unternehmen zu wenig zu unterstützen.
Pinkwart zieht eine zufriedene Zwischenbilanz. Er verweist auf die 280 neuen und die 1 600 umgerüsteten LTE-Stationen. Laut Breitbandatlas des Bundes hat NRW mit 99,3 Prozent der Haushalte die beste LTE-Abdeckung und die wenigsten weißen Flecken. Im Deutschland-Index der Digitalisierung 2019, der vom Kompetenzzentrum Öffentliche IT und dem Fraunhofer-Institut erhoben wird, belegt NRW den fünften Platz.
Im digitalen Länderkompass von Eco, dem Verband der Internetwirtschaft, liegt NRW auf Rang drei. Das Bundesland könne Vorreiter beim E-Government werden, heißt es. Der Deutsche Startup-Monitor kürte NRW kürzlich zum Gründerland Nummer eins.
In digitalen Start-ups sieht Pinkwart „Katalysatoren des Wandels“. Erst kürzlich übergab er das 1000. Gründerstipendium. Innovative Ideen werden ein Jahr lang mit monatlich 1000 Euro gefördert. Das Land unterstützt auch kleine und mittlere Unternehmen bei der Digitalisierung, mit vergünstigten Krediten bei der NRW.Bank. Bis September 2019 wurden 483 Kreditzusagen in Höhe von 178 Millionen Euro ausgesprochen.
In Soest trifft Pinkwart Hans-Günter Trockels. Der Geschäftsführer der Firma Kuchenmeister hat eine ausgefallene Idee und hofft auf Förderung vom Land. Viele alte Städte wie Soest haben ein Problem. Das Kopfsteinpflaster mit seinen tiefen Furchen hat zwar seinen Charme, ist aber nicht barrierefrei. Ein Tausch ist aufwendig. Die Steine müssten entfernt und teuer neu verlegt werden.
Der Soester Unternehmer will – mithilfe von Künstlicher Intelligenz und Robotik – die vorhandenen Steine bearbeiten und schleifen, ohne sie herauszunehmen. Das historische Pflaster bliebe erhalten und wäre anschließend geebnet und barrierefrei. Trockels sieht darin großes Wertschöpfungspotenzial und verweist auf 1000 historische Stadtkerne in Deutschland. Pinkwart ist beeindruckt.
Der damalige Vizekanzler Willy Brandt drückte bei der Funkausstellung 1967 auf einen roten Knopf und startete damit symbolisch die Ära des Farbfernsehens. Auch Pinkwart will „Enabler“ sein, aber mit einem Knopfdruck ist es nicht getan. Die Digitalisierung ist komplexer. Wo es noch ruckelt? Pinkwart kneift die Augen zusammen und denkt kurz nach. „Die Deutschen haben die Bürokratisierung nicht nur erfunden, sondern in der analogen Welt zur Perfektion entwickelt“, sagt er. Seine Aufgabe ist es, den Knoten zu lösen.
Vieles ist angeschoben in NRW, aber der Weg noch lang. Das merkt nicht nur Pinkwart jeden Tag. Wer mit Auto oder Bahn durch das Land fährt, zweifelt schnell daran, dass mehr als 92 Prozent der Fläche des Landes mit LTE versorgt sein sollen. Immer wieder ist die Mobilfunkverbindung weg. Die Versorgung entlang der Hauptverkehrswege sei besser geworden, betont das Ministerium und verweist etwas zähneknirschend darauf, dass die Mobilfunkbetreiber verpflichtet worden seien, bis Ende 2019 Bundesautobahnen und ICE-Strecken zu versorgen.
Einige Zielmarken von Pinkwart reichen über 2022 hinaus. Und wenn er am Ende gar nicht so viel Zeit hat? In zweieinhalb Jahren wird in NRW gewählt. Den Minister sorgt das nicht. Wenn die Prozesse erst einmal aufgelegt seien, trage das lange und unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen, ist er überzeugt. Aus Berlin gibt es Lob für Pinkwarts Arbeit.
„Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen macht vieles richtig“, sagt Thomas Jarzombek (CDU), Digitalbeauftragter im Bundeswirtschaftsministerium, dem Handelsblatt. Das Gründerstipendium könne ein Vorbild für andere Bundesländer sein. „Was man von NRW lernen kann, ist vor allem, dass die Länder starke Hebel in der Digitalpolitik haben.“
Könnte ein Bundesdigitalministerium den digitalen Wandel in der Republik also beschleunigen? Aus Sicht von Pinkwart müsste es im Bund gar nicht zwingend ein reines Digitalministerium geben. Die Kräfte sollten gebündelt, das Thema innerhalb der Regierung wertgeschätzt werden, empfiehlt er. „In ein paar Jahren werden wir hoffentlich sagen: Über Digitalisierung brauchen wir gar nicht mehr zu reden, das machen wir einfach.“
Mehr: Es war überfällig, dass sich die CDU für ein Bundesdigitalministerium ausspricht, kommentiert unser Berliner Korrespondent Dietmar Neuerer.
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