Je mehr Öl und Gas eingespart werden, desto weniger schmerzhaft wäre ein Importstopp der Tank- und Heizstoffe. Aber auch ein Tempolimit ist wieder im Gespräch.
Wenig Verkehr im Lockdown
Wenn die Deutschen so wenig Auto fahren würden wie während der ersten Coronawelle, könnte das die Ölimporte spürbar senken.
Bild: dpa
Brüssel, Berlin Die Energieabhängigkeit von Russland schnell zu verringern, das ist angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erklärtes Ziel Deutschlands und der Europäischen Union. Von Versorgungsengpässen beim Gas auf Privathaushalte sei zwar derzeit nicht auszugehen, sagte Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) dem Handelsblatt. Dennoch sollten die Bürgerinnen und Bürger „versuchen, den eigenen Energieverbrauch dauerhaft zu senken“. Dies gelte nicht nur mit Blick auf die Nebenkostenabrechnung, sondern auch mit Blick auf die Klimafolgen.
Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) rief, nachdem er die Gas-Frühwarnstufe verkündet hatte, zum Sparen auf. „Jeder Kubikmeter Gas, der nicht verfeuert wird, hilft“, sagte er in der ARD.
Für konsequentes Energiesparen hatte sich kürzlich erst das Umweltbundesamt (UBA) stark gemacht. „Die beste Energie ist die, die gar nicht verbraucht wird“, sagte UBA-Präsident Dirk Messner.
Zuvor hatte der frühere Bundespräsident Joachim Gauck dazu aufgerufen, für die Freiheit „mal zu frieren“, also den Temperaturregler in der Wohnung herunterzustellen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht Energiesparen als oberste Bürgerpflicht.
Derzeit kursieren viele Vorschläge, wie Bürgerinnen und Bürger kurz- und mittelfristig Energie einsparen könnten, um die Gas- und Ölimporte aus Russland zu reduzieren. Welche Maßnahmen sinnvoll sind und welche nicht – ein Überblick:
Für eine Geschwindigkeitsreduzierung plädiert die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Es sei wichtig, Signale zu setzen, die darauf hindeuteten, dass es im Falle eines Lieferstopps russischer Energielieferungen eine brisante Lage geben könnte, sagte sie. Ein solches Signal könnte die Einführung eines generellen Tempolimits auf Autobahnen sein.
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), forderte Tempo 100 auf der Autobahn, 80 außerorts und 30 in der Stadt. „Ein Tempolimit verringert die Öl-Abhängigkeit von Russland und spart pro Jahr 3,7 Milliarden Liter Diesel und Benzin und 9,2 Millionen Tonnen CO2“, so sein Aufruf.
Jeder dritte Liter Öl, der derzeit aus Russland nach Deutschland importiert wird, ließe sich sofort einsparen, das ist auch das Ergebnis einer Analyse der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Die Geschwindigkeit auf Autobahnen auf 100 Stundenkilometer zu begrenzen, würde demnach etwa zwei Prozent der Ölimporte Deutschlands einsparen. „Ich glaube, den Weg sollte man jetzt gehen“, sagt auch Wirtschaftsweise Grimm.
Bei den Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP war die Einführung eines generellen Tempolimits auf deutschen Autobahnen am Widerstand der Liberalen gescheitert.
>> Lesen Sie auch: Importreduzierung um zwei Drittel binnen eines Jahres: So will Europa von russischem Gas unabhängig werden
Die Berliner Grünen haben sich als kurzfristig wirksame Maßnahme zum Energiesparen für einen autofreien Sonntag pro Monat ausgesprochen. Greenpeace ist ambitionierter. Würde zweimal im Monat ein autofreier Sonntag verhängt, würde sich – bezogen auf ein Jahr – der Kraftstoffabsatz um 1,3 Millionen Tonnen verringern, rechnet die Umweltorganisation vor. Dies entspreche einem Anteil am Kraftstoffabsatz in Deutschland von 2,6 Prozent und einem Anteil von 1,4 Prozent an den Mineralölimporten.
Würde jeder Sonntag als autofreier Tag deklariert, ließen sich 2,9 Millionen Tonnen Kraftstoff vermeiden, was etwa 5,6 Prozent des gesamten Kraftstoffabsatzes entspreche. Für die Wirtschaftsweise Grimm ist auch dieser Vorschlag kein Tabu. Sollte Russland einen Lieferstopp verhängen, dann wäre die Lage schon herausfordernd und durchaus Anlass, zu „extremeren Maßnahmen“ zu greifen, sagte Grimm.
Die Debatte über die Verlagerung von Inlandsflügen auf den Schienenfernverkehr wird so regelmäßig geführt wie über das Tempolimit. Der Bahnverkehr ist vor allem bei Kurzstrecken effizienter, da der Start bei Flügen besonders viel Kerosin benötigt.
Peter Kasten, Verkehrsexperte beim Öko-Institut, hält wenig von einem Verbot von Inlandsflügen. Zielführender wäre es, wenn der Bund die Attraktivität der Bahn und des öffentlichen Personennahverkehrs kurzfristig etwa durch vergünstigte Tickets und Bahncards beispielsweise für Familien erhöhen würde, sagte er. „Sinnvoll wäre auch die flächendeckende Einführung eines 365-Euro-Jahrestickets.“ Das würde den Umstieg vom Auto zum öffentlichen Verkehr fördern.
Gas ist in Deutschland der meistgenutzte Energieträger, wenn es ums Heizen geht. Rund die Hälfte aller Wohnungen wird mit Erdgas beheizt. Ein Viertel aller Wohnungen heizt mit Öl. Laut Internationaler Energieagentur (IEA) liegt in der EU die durchschnittliche Temperatur in beheizten Gebäuden bei 22 Grad Celsius.
Verzichteten die Menschen nur auf ein Grad Wärme, hätte das sofortige jährliche Energieeinsparungen von etwa zehn Milliarden Kubikmetern Erdgas zur Folge: sieben Prozent der Gasmenge, die Europa bislang aus Russland importiert.
Das UBA schätzt, dass durch eine um zwei Grad niedrigere Raumtemperatur in allen deutschen Wohn- und Nichtwohngebäuden sowie durch den Einsatz von Spar-Duschköpfen rund zehn Prozent des russischen Erdgases einsparbar sind.
Der Deutsche Mieterbund begrüßte, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Frühwarnstufe als erste von drei Krisenstufen des sogenannten Notfallplans Gas in Kraft gesetzt hat. Denn private Haushalte und damit alle Mieterhaushalte stünden im Rahmen des Notfallplans unter einem besonderen Schutz und würden prioritär mit Heizenergie versorgt, sagte Verbandspräsident Lukas Siebenkotten dem Handelsblatt.
Da fast 50 Prozent aller Wohnungen in Deutschland mit Gas beheizt werden, sei aber „kurzfristig die stärkere Diversifizierung der Lieferquellen sowie die präventive Auffüllung der Gasspeicher notwendig“. Auch Mieter und Mieterinnen könnten durch energiesparendes Verhalten ihren Beitrag leisten.
Sie dürften aber mit den gestiegenen Energiekosten in dieser aber vor allem auch in der kommenden Heizperiode nicht alleine gelassen werden, mahnte Siebenkotten.
Greenpeace glaubt, eine Fortführung des Homeoffice könnte zu erheblichen Einsparungen von Kraftstoff führen. Regulatorisch wäre es denkbar, die derzeit noch geltende Homeoffice-Pflicht zu verlängern.
Die Organisation weist darauf hin, dass sich die Maßnahmen überlappen und sich darum nicht addieren lassen. Die Berechnungsmethoden hat Greenpeace in einer Analyse offengelegt. Insgesamt ließen sich mit den Maßnahmen zehn bis zwölf Prozent der Nettoimporte von Öl und Ölprodukten ersetzen, heißt es.
Ökonom Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) betrachtet die Vorschläge dennoch mit Zurückhaltung: „Wenn Haushalte mit Gasheizung weniger verbrauchen, leisten sie natürlich einen kleinen Beitrag zur Lösung des Problems“, sagte der IW-Geschäftsführer dem Handelsblatt. „Immerhin werden 31 Prozent des Erdgases in Deutschland von Privathaushalten verbraucht.“ Gerade jetzt, wo es langsam wärmer werde, könne vielleicht etwas früher auf die Heizung verzichtet werden. „Ich bin aber skeptisch, ob der Gesamteffekt wirklich spürbar ist.“
Zudem, so Bardt, gäben die hohen Preise einen guten Anreiz, sparsamer mit Energie umzugehen. Wenn ein Liter Diesel über zwei Euro koste, werde jede Autofahrt teurer. Typischerweise reagierten die Verbraucher nicht stark darauf, aber bei der ungewöhnlichen Dimension des Anstiegs könne das anders sein. „Bei Zwangsmaßnahmen analog zur Ölkrise in den 1970er-Jahren bin ich zurückhaltend, wir sind nicht in der Rationierung aufgrund fehlender Mengen.“
Dagegen hält die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die „Vielzahl von Energiesparmaßnahmen“ für einen substanziellen Beitrag dafür, die Abhängigkeit von russischem Gas und Öl zu verringern.
Kemfert sieht das Energiesparen als einen „schlafenden Riesen, der bisher unentdeckt ist“. Es sei „realistisch, dass bis zu 15 Prozent des Ölverbrauchs auf diese Weise gesenkt werden können“, sagte sie. Das sei etwa die Hälfte des Öls, das Deutschland aus Russland importiere. Die andere Hälfte könne aus anderen Quellen bezogen werden.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (2)