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23.11.2021

20:50

Pandemie

„Sie muss kommen“: Weitere Ministerpräsidenten fordern Impfpflicht – Mehrere Länder weiten Coronaregeln aus

Von: Jürgen Klöckner

PremiumDie Rufe nach einer allgemeinen Impfpflicht werden immer lauter. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Müller (SPD) ist dafür. Zugleich gelten ab Mittwoch vielerorts strengere Regeln.

Immer mehr Ministerpräsidenten sprechen sich für eine allgemeine Impfpflicht aus. imago images/Political-Moments

Volker Bouffier (l.) und Winfried Kretschmann

Immer mehr Ministerpräsidenten sprechen sich für eine allgemeine Impfpflicht aus.

Berlin Nach der Entscheidung von Bund und Ländern für eine Impfpflicht in medizinischen Berufen mehren sich die Forderungen, die Maßnahme auf die Allgemeinheit auszuweiten. „Ich glaube, dass es so kommen muss, um dauerhaft diese Wellen zu brechen“, sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) am Dienstag in Wiesbaden. Alle bisherigen Versuche, die Impfquote zu steigern, seien gescheitert. „Entweder wir gehen von Welle zu Welle, schränken jedes Mal wieder ein, oder es gelingt uns, den Impfstatus zu erhöhen.“

Auch Bayern, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein pochen darauf, die allgemeine Impfpflicht schnell einzuführen. Am Dienstagabend sprach sich mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller ein Landeschef der SPD ebenfalls für einen solchen Schritt aus. „Ich glaube, wir werden um eine Impfpflicht nicht mehr drumherum kommen“, sagte Müller in der RBB-„Abendschau“.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) argumentierte, die Maßnahme werde beim Kampf gegen das Coronavirus helfen und auch die Polarisierung in der Gesellschaft verringern. Der Staat könne damit den bestehenden Konflikt zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern an sich ziehen, sagte Kretschmann in Stuttgart.

Umgesetzt werden könne die Impfpflicht mit Bußgeldern, sagte Kretschmann. Er könne sich aber nicht vorstellen, dass die Polizei Leute zum Impfen abhole und Verweigerer im Gefängnis landeten.

Kretschmann meldete sich auch in einem gemeinsamen Gastbeitrag mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu Wort, in dem sie erklärten: „Eine Impfpflicht ist kein Verstoß gegen die Freiheitsrechte. Vielmehr ist sie die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Freiheit zurückgewinnen.“

Schleswig-Holsteins stellvertretende Ministerpräsidentin Monika Heinold (Grüne) forderte gar, die Maßnahme bereits zum Jahreswechsel einzuführen. „Angesichts der dramatischen Entwicklung der Coronapandemie und der akuten Notsituation in vielen Kliniken ist die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ab dem 1. Januar 2022 der richtige Weg“, sagte sie. „Damit wir eine Chance haben, aus der Dauerschleife der Pandemie herauszukommen.“

Andere Bundesländer äußerten sich hingegen deutlich verhaltener. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) mahnte eine gründliche Prüfung an. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) sagte, eine Impfpflicht käme zu spät, um die vierte Coronawelle zu stoppen, könne aber „für die Zukunft mit Blick auf die bundesweite Situation sicherlich“ nicht ausgeschlossen werden.

Die rheinland-pfälzische Landeschefin Malu Dreyer (SPD) begrüßte zumindest die Debatte. Und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sieht in der Maßnahme nur das letzte Mittel in der Pandemie. Dagegen stellten sich Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans, der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) und FDP-Fraktionsvize Michael Theurer.

Ampel entscheidet über Impfpflicht

Auch die Frage, ob die Impfpflicht nur in bestimmten Berufsgruppen gelten soll, war bis zuletzt umstritten. Bei ihrem Treffen am vergangenen Donnerstag hatten die Ministerpräsidenten den Bund gebeten, in bestimmten Einrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen eine Impfpflicht für alle Beschäftigte einzuführen. In der Frage verhandeln derzeit die Parteien einer möglichen Ampelregierung von SPD, Grünen und FDP, wobei sich die Grünen bereits eindeutig für eine solche Maßnahme aussprachen.

Auch die FDP-Bundestagsfraktion will nun mit SPD und Grünen über diese Möglichkeit sprechen. „Die FDP-Fraktion legt dabei besonderen Wert auf eine zeitliche Begrenzung und eine Einbettung in eine breite Impfkampagne“, sagte ein Sprecher nach Beratungen der Fraktion am Dienstag.

„In Abwägung des staatlichen Grundrechtseingriffs einerseits und des besonderen Schutzbedürfnisses vulnerabler Gruppen andererseits ist die FDP-Fraktion dafür, in Gespräche mit den Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen über eine einrichtungsbezogene Impfpflicht einzutreten“, sagte er. Das sei das Ergebnis der fraktionsinternen Debatte, die intensiv gewesen sei.

Weniger umstritten ist die Maßnahme in der SPD. Eine Impfpflicht in bestimmten Einrichtungen brauche es noch vor Weihnachten, sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese. Diese Maßnahme sollte auch für Schulen und Kitas gelten.

In der Debatte um eine allgemeine Impfpflicht solle wiederum der Ethikrat einbezogen werden. „Dies werden wir im Deutschen Bundestag möglich machen.“ Deutlicher wurde SPD-Vize Anke Rehlinger. „Die Jojo-Pandemie wird nur aufhören, wenn die Impflücke geschlossen wird“, schrieb sie auf Twitter. Um eine fünfte oder gar sechste Welle zu verhindern, solle Deutschland eine Impfpflicht einführen.

3G im Job und in Bussen und Bahnen: Neue Regel ab Mittwoch

Ab Mittwoch gelten in Deutschland darüber hinaus schärfere Coronaregeln. Dann treten die von den Ampelfraktionen beschlossenen Änderungen am Infektionsschutzgesetz in Kraft. Dazu zählen Regeln für 3G am Arbeitsplatz, in Bus und Bahnen. Am Montag hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) das Gesetz mit den neuen Auflagen unterschrieben. Flächendeckende Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen gibt es mit dem neuen Gesetz vorerst nicht mehr. Es soll aber bereits am 9. Dezember in einer Bund-Länder-Runde evaluiert und gegebenenfalls nachgeschärft werden.

Mit dem Gesetz müssen künftig Fahrgäste in Fern- und Regionalzügen sowie in Bussen und Straßenbahnen geimpft, genesen oder getestet sein. Die Deutsche Bahn kündigte am Dienstag entsprechende Kontrollen an. Diese sollen stichprobenartig vom Sicherheits- und Kontrollpersonal durchgeführt werden, hieß es.

„Allein im Fernverkehr sind in den ersten Tagen nach Inkrafttreten der neuen Regeln Kontrollen auf 400 Verbindungen geplant“, teilte das Unternehmen mit. Sollten Fahrgäste von der Fahrt ausgeschlossen werden müssen, weil sie die sogenannten 3G-Regeln nicht befolgten, könnten die Beschäftigten die Bundespolizei um Unterstützung bitten. Die Bahngewerkschaften EVG und GDL hatten die neuen Regeln im Bahnverkehr kritisiert. Sie fürchten eine zusätzliche Belastung der Zugbegleiterinnen und -begleiter.

„Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Bahn sind keine Hilfssheriffs, das muss Sache der Bundespolizei sein“, teilte bereits vergangene Woche der stellvertretende Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Martin Burkert, mit. GDL-Chef Claus Weselsky pflichtete ihm bei: „Das Zugpersonal kann die Kontrolle der 3G-Regelungen nicht übernehmen. Wer das verlangt, hat von Eisenbahn keine Ahnung“, sagte er der Zeitung „Die Welt“.

Homeoffice-Pflicht für Beschäftigte

Auch am Arbeitsplatz gilt künftig die 3G-Regel in Verbindung mit einer Homeoffice-Pflicht. Unternehmen müssen ab Mittwoch die Zugangsregeln für Beschäftigte täglich kontrollieren und dokumentieren. Wenn der Arbeitgeber einen Genesenen- oder Impfnachweis einmal kontrolliert und dokumentiert hat, können die jeweiligen Beschäftigten von den täglichen Kontrollen ausgenommen werden. Arbeitgeber sollen zudem mindestens zweimal pro Woche kostenlose Tests anbieten. Wirtschaftsverbände wie der Arbeitgeberverband BDA sehen darin viel bürokratischen Aufwand für Firmen.

Der Arbeitgeberverband Südwestmetall erwartet gar, dass nicht alle Unternehmen die Regel ordnungsgemäß umsetzen können. „Wir fürchten, dass eine ganze Reihe von Arbeitgebern, auch ungewollt Arbeitnehmer, in die Bredouille kommen“, sagt Hauptgeschäftsführer Peer-Michael Dick. Manche Firmen könnten die Kontrollen nicht so schnell organisieren oder seien unsicher, wie sie diese rechtskonform mit den Datenschutzvorschriften ausüben können.

Am Dienstag berieten auch mehrere Bundesländer über schärfere Coronaregeln. So kündigten Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen eine flächendeckende 2G-Regel an, die ab Mittwoch gilt. Berlin wiederum verständigte sich auf die 2G-Regel für den Einzelhandel. Zudem sollen bald zusätzliche Vorgaben wie Masken- und Testpflichten gelten (2G plus).

Auch Hamburg weitete die bestehende 2G-Regel aus. Dort gilt die Regel ab kommenden Montag künftig auch für den Kulturbereich und für Beherbergungsbetriebe. Ähnliche Pläne kündigte Sachsen-Anhalt für den Freizeitbereich an.

Thüringen bereitet Verlegung von Patienten vor

Auch Thüringen, wo das Infektionsgeschehen besonders dramatisch ist, beschloss weitgehende Einschränkungen für das öffentliche Leben. Klubs, Bars und Diskotheken sollen demnach geschlossen werden, Weihnachtsmärkte werden verboten, und in der Gastronomie soll eine Sperrstunde um 22 Uhr gelten. Auch Schwimmhallen, Freizeitbäder, Saunen und Thermen müssen schließen. Ausnahmen gibt es für den Schulsport.

Die neue Coronaverordnung unterscheidet teils stark nach dem Impfstatus der Menschen. So wird für diejenigen, die weder geimpft noch von einer Covid-19-Erkrankung genesen sind, eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 22 und 5 Uhr gelten. Auf Ungeimpfte kommen zudem Kontaktbeschränkungen zu. Außerdem gilt ab Mittwoch in sehr vielen Bereichen des öffentlichen Lebens eine 2G-Regelung.

Als besonders bedenklich gilt die Situation in Thüringens Krankenhäusern. Mit Stand vom Dienstag war mehr als ein Drittel der im Land verfügbaren Intensivbetten mit Covid-19-Patienten belegt. Die Hospitalisierungsrate lag mit 18,3 Coronapatienten je 100.000 Einwohner in einem Sieben-Tage-Zeitraum bundesweit mit Abstand am höchsten. Das Bundesland bereitet sich derzeit darauf vor, Krankenhauspatienten in andere Bundesländer zu verlegen.

Angesichts der Infektionslage rechnet eine Mehrheit der Deutschen auch im gesamten Bundesgebiet mit weiteren Einschränkungen. 71 Prozent halten einen neuen Lockdown über Weihnachten für wahrscheinlich, ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov.
Mit Agenturmaterial

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