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17.07.2022

13:36

Petersberger Klimadialog

Mit diesen Maßnahmen will Deutschland die Folgen von Wetterextremen abmildern

Von: Barbara Gillmann, Silke Kersting, Dietmar Neuerer

PremiumUmweltpolitiker aus 40 Staaten treffen am heutigen Montag in Berlin zusammen, um die nächste Klimakonferenz vorzubereiten. Für Deutschland ist klar: Es muss mehr passieren.

Die Wasservorräte im Boden sind nach Angaben des Bauernverbands nach wie vor viel zu gering. dpa

Brand auf einem Weizenfeld in Bayern

Die Wasservorräte im Boden sind nach Angaben des Bauernverbands nach wie vor viel zu gering.

Berlin Hitzewellen und Dürren häufen sich, genauso wie Starkregen, Überflutungen, Stürme. Beim inzwischen traditionellen Petersberger Klimadialog in Berlin, benannt nach dem ersten Dialog 2010 im Gästehaus der Bundesregierung auf dem Petersberg bei Bonn, beraten an diesem Montag und Dienstag Minister und Vertreter aus 40 Ländern darüber, wie es beim Schutz des Klimas international vorangehen muss.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekräftigte am Wochenende, die Klimakrise nicht zu vergessen. „Unser Ziel ist, dass wir eines der ersten Länder sein werden, das CO2-neutral ist und gleichzeitig global wettbewerbsfähig und erfolgreich als Wirtschaftsnation, als Industrieland“, sagte er in seinem wöchentlichen Kanzlerpodcast. „2045 wollen wir das schon erreichen.“

Unter den Wetterextremen litten bislang vor allem Entwicklungsländer. Aber immer häufiger treffen die hohen Temperaturen auch Industrienationen – die Schäden gehen längst in die Milliarden. Eine extreme Hitzewelle setzt derzeit den Menschen in Südeuropa zu, Waldbrände lodern in Portugal, Spanien, Frankreich. Am Samstag meldete allein Spanien 360 Hitzetote. Wie Deutschland vom Klimawandel betroffen ist, zeigt folgende Übersicht:

1. Trockenheit und Hitze

Auch hierzulande droht kommende Woche eine ungewöhnlich starke Hitzewelle mit Temperaturen von vereinzelt mehr als 40 Grad Celsius. Brandenburg und Niedersachsen schlagen Alarm. „Das, was wir jetzt erleben, gibt nur einen kleinen Vorgeschmack darauf, mit welchen Herausforderungen wir es infolge des Klimawandels noch zu tun bekommen werden“, sagt der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) dem Handelsblatt. „Wir brauchen daher ein grundsätzliches Umdenken bei der Frage, wie wir künftig mit der kostbaren Ressource Wasser umgehen.“

Brandenburg ist wegen anhaltender Trockenheit immer wieder schwer von Waldbränden getroffen. Aus Sicht von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) braucht es deutschlandweit mehr Anstrengungen, Wasser besser im Kreislauf zu halten, um so den Verbrauch zu senken. „Heute leiten wir einen Großteil unseres geklärten Abwassers in Flüsse ab, das dann in Richtung Nord- und Ostsee abfließt. Dabei müssten wir es eigentlich in der Region halten“, sagte der Politiker.

Lies zufolge sind umfassende Investitionen notwendig. „Die Folgen des Klimawandels werden uns als Volkswirtschaft viele Milliarden kosten“, so seine Einschätzung. „Wir werden aber nicht mehr um sie herumkommen.“

Wasser im Kreislauf halten

Uli Paetzel, Präsident der DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall, fordert Unternehmen dazu auf, intensiver über einen intelligenten Umgang mit der Ressource Wasser nachzudenken. „Dazu gehört die Investition in wassersparende Technologien, das Schließen von Wasserkreisläufen in der Produktion oder der Einsatz von Regen- und gereinigtem Abwasser“, sagte Paetzel.

Als gutes Beispiel nannte er den Batteriehersteller Northvolt bei Heide, der gereinigtes Abwasser statt Trinkwasser für die Produktion einsetzt. Der Lebensmittelhändler Kaufland habe jüngst im Chiemgau besonders nachhaltige Gewächshäuser eröffnet, die nur mit regenerativer Energie arbeiten und ausschließlich Regenwasser zur Bewässerung einsetzen.

Der deutsche Städte- und Gemeindebund hält im Zuge von Hitzeperioden regionale Wasserknappheiten für möglich. Engpässe beim Trinkwasser seien hierbei aber nicht das Hauptproblem. Deutschland verfüge über 180 Milliarden Kubikmeter an Wasservorkommen, von denen die kommunale Trinkwasserversorgung nur rund drei Prozent benötige, betont Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. „Problematisch ist der drastisch steigende Wasserbedarf in der Industrie, in der Landwirtschaft, aber auch in Privathaushalten.“

Klimaoasen in Städten

Landsberg hält eine bessere Vorsorge gegen die zunehmenden Hitzewellen für geboten und verlangt „kommunale Hitzeaktionspläne“, um Menschen vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen. Lang anhaltende Temperaturen von über 35 Grad gelten als Gesundheitsrisiko für Menschen. Für Ältere oder Kranke können sie lebensbedrohlich sein.

„Wir müssen in den Städten grüne Klimaoasen etablieren“, betont Landsberg. Dazu gehörten Investitionen in Dach- und Fassadenbegrünungen, Sitzgelegenheiten mit kühler Umgebung, auch sogenannte Wasservernebler seien denkbar. „Langfristig werden wir auch die Bebauung ändern müssen“, sagt Landsberg. In Ländern wie Spanien sei die Bebauung so angelegt, dass die Häuser sich gegenseitig beschatten. „Auch Überlegungen, den schwarzen Asphalt durch einen helleren Asphalt zu ersetzen, können Temperaturreduzierungen bringen.“

Gerade die Gartenbewässerung und die Befüllung von großen Pools mit Leitungswasser in den Sommermonaten könne zum „echten Problem“ werden. Auch Rasensprenger verteilten in einer Stunde bis zu 800 Liter Trinkwasser. „Das kann die Versorgungsinfrastruktur in manchen Regionen an ihre Grenzen bringen“, warnt der Städtebundchef. Privatpersonen sollten im Rahmen ihrer Möglichkeiten Regenwasser auffangen. „In Einzelfällen können auch kommunale Verwendungsverbote notwendig sein.“

2. Starkregen und Überflutungen

Das Hochwasser in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen vor einem Jahr zeigt die Verwundbarkeit Deutschlands. Klimaforscher sind sich sicher: Starkregenereignisse werden zunehmen. „Es gibt kaum eine Region in Deutschland, die vor Starkregen und urbanen Sturzfluten sicher ist“, sagte Ende Mai Theo Schmitt, Wissenschaftler an der Technischen Universität (TU) Kaiserslautern.

Schmitt fordert, dass Städte und Gemeinden zu einem Starkregen-Risikomanagement verpflichtet werden. Die Kommunen müssten künftig Gefahren- und Risikokarten erstellen. Straße für Straße müsse die lokale Überflutungsgefahr ermittelt werden, um die Wirkung von Sturzfluten digital simulieren zu können.

Die Flut vor einem Jahr zerstörte im Ahrtal ganze Dörfer und kostete in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz über 180 Menschen das Leben. imago

Zerstörung im Ahrtal

Die Flut vor einem Jahr zerstörte im Ahrtal ganze Dörfer und kostete in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz über 180 Menschen das Leben.

Auch DWA-Präsident Paetzel fordert Städte und Kommunen zum Handeln auf. „Das sogenannte Schwammstadtprinzip muss zum Leitbild für Stadtplanung werden“, sagt er. „Städte müssen künftig stärker Wasser speichern können – wie ein Schwamm.“ Dazu gehöre, die Versiegelung der Innenstädte zurückzunehmen und Versickerungsflächen einzurichten.

Grundgedanke ist, Regenwasser in möglichst vielen Bereichen zurückzuhalten und nur schrittweise an den Boden, die Kanalisation oder Gewässer abzugeben. Diese sogenannten grünen Oasen tragen also nicht nur dazu bei, die Städte bei Hitze kühl zu halten, sondern helfen auch ein Stück weit gegen Starkregen.

Das Bundesumweltministerium hatte im März ein Paket an Sofortmaßnahmen zur Klimaanpassung für Kommunen auf den Weg gebracht. Das Maßnahmenpapier sieht vor, dass die Beratungsangebote und die Wissensvermittlung zur Klimavorsorge in Deutschland deutlich ausgeweitet werden.

Auch vor dem Hintergrund der Lehren aus der Flutkatastrophe will das Ministerium von Ressortchefin Steffi Lemke (Grüne) demnach bis 2026 zusätzliche 60 Millionen Euro bereitstellen, um Städte und Gemeinden für die Extremwettereignisse der Zukunft zu rüsten.

3. Binnenschifffahrt

Die Binnenschifffahrt spielt in Deutschland eine wichtige Rolle in der Versorgung mit relevanten Gütern, die nur begrenzt anderweitig transportiert werden können. Für den Chemiekonzern BASF weckt das Jahr 2018 immer noch böse Erinnerungen. Damals blockierte lang anhaltendes Niedrigwasser die Schiffbarkeit des Rheins, am Unternehmensstandort Ludwigshafen wurde die Produktion gedrosselt, der finanzielle Schaden ging in die Millionen.

Mittlerweile hat BASF eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt, die den Standort Ludwigshafen widerstandsfähiger gegen lang anhaltende Niedrigwasserereignisse machen sowie die Versorgungssicherheit der Produktion erhöht. So wurden unter anderem vermehrt Niedrigwasser-geeignete Schiffe gechartert. Zudem ist ein Schiff in Bau, „das selbst bei niedrigsten Rheinpegelständen noch wesentliche Mengen verlässlich transportieren kann“, sagte BASF dem Handelsblatt.

Des Weiteren hat das Unternehmen gemeinsam mit der Bundesanstalt für Gewässerkunde ein digitales Frühwarnsystem für Niedrigwasser mit einer Vorwarnzeit von bis zu sechs Wochen umgesetzt.

4. Ernten

Die deutschen Bauern rechnen angesichts von Hitze und Trockenheit mit erneut niedrigeren Getreideernten: Für diesen Sommer erwartet der Verband aktuell insgesamt nur 41,2 Millionen Tonnen. Das wäre noch einmal weniger als im Vorjahr, als es 42,3 Millionen waren und deutlich unter dem Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2020 von 44,2 Millionen Tonnen, sagt Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauerverbandes (DBV).

Die Wasservorräte im Boden sind nach seinen Angaben nach wie vor viel zu gering. Und es geht nicht nur um Getreide: Gleichfalls für die Ernte von Mais, Kartoffeln und Zuckerrüben seien ausreichende Niederschläge auch in den kommenden Wochen wichtig.

Landwirtschaft

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Landwirtschaft: „Das zeigt die ganze Dramatik der Klimakrise“ – Özdemir besorgt über Dürre in Deutschland

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Die Lage beim Getreide ist allerdings regional extrem unterschiedlich: „Regionen im Osten, in Nordbayern und in der Mitte Deutschlands sind besonders stark von Trockenheit und Hitze betroffen“, sagt DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken dem Handelsblatt. Traditionell besser sieht es an den Küsten und im Alpenvorland aus.

Einzelne Landwirte etwa in Brandenburg sind schon dazu übergegangen, Felder zu beregnen. Das treibt allerdings die Kosten für Wasser und für Diesel für die Pumpen in die Höhe. Daher würden nur Kulturen wie Kartoffeln, Weizen, Mais und Soja gewässert, bei denen sich das lohnt.

Dazu kämen seit Jahresbeginn Lieferprobleme bei Düngemitteln, die durch den Krieg nochmals verschärft worden seien, sagt der DBV-Vize. „Das zentrale Problem ist aber das teure Erdgas, aus dem in Europa Dünger hergestellt wird. Im Falle eines Gaslieferstopps wird es hier auch ein Problem mit der Verfügbarkeit geben. Dann kann es auch zu größeren Ertragsausfällen in der Landwirtschaft kommen“, so Krüsken.

Zuletzt hatte 2018 die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) die Ernteschäden durch Dürre als Ereignis „nationalen Ausmaßes“ eingestuft – und erstmals seit 2003 wieder Bundeshilfen wegen einer Dürre zugesagt. Insgesamt wurden damals knapp 292 Millionen Euro an Bauern ausgezahlt, die die Trockenheit in ihrer Existenz bedrohte. Rund 7000 Betriebe vor allem in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen erhielten im Schnitt 43.800 Euro.

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