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19.06.2022

18:00

Rafael Laguna im Interview

Innovationsexperte: „Deutschland braucht einen Zehn-Billionen-Euro-Staatsfonds für Start-ups“

Von: Barbara Gillmann

Frankreich, China, Skandinavien und Saudi-Arabien machen bessere Innovationspolitik als Deutschland, sagt der Chef der Agentur für Sprunginnovationen Sprind. Die Regierung agiere zu vorsichtig.

„Bis in 20, 30 Jahren wäre ein Zehn-Billionen-Fonds im internationalen Vergleich angemessen. In Norwegen und Singapur ist es heute schon eine Billion.“ dpa

Rafael Laguna de la Vera

„Bis in 20, 30 Jahren wäre ein Zehn-Billionen-Fonds im internationalen Vergleich angemessen. In Norwegen und Singapur ist es heute schon eine Billion.“

Berlin Der 2021 gestartete „Zukunftsfonds“ der Bundesregierung zur Finanzierung von Start-ups muss in den nächsten 20 bis 30 Jahren von zehn Milliarden auf zehn Billionen Euro wachsen. Das fordert der Chef-Innovator der Bundesregierung, Rafael Laguna, im Gespräch mit dem Handelsblatt. Nur so könne Deutschland die Energiewende meistern, die Kriegsfolgen abfangen und verhindern, bei Innovationen noch weiter zurückzufallen.

Vorbild sind für ihn die Staatsfonds in Norwegen, Singapur oder Saudi-Arabien, die privatwirtschaftlich langfristig investieren. Ein deutscher Staatsfonds „könnte in Europa Großes anstoßen und beispielsweise in Windkraft, Wasserstoff, Laserfusion investieren – gerne mal mehrere Hundert Millionen pro Projekt“, so Laguna. Die Erfahrung zeige, dass diese Staatsfonds immer profitabel seien, „weil sie den langen Atem haben, den es im privaten Kapitalmarkt selten gibt“. 

Generell machen diverse andere Länder eine bessere Innovationspolitik als Deutschland, sagt der Chef der Agentur für Sprunginnovationen Sprind. Lernen könne die Bundesrepublik etwa von Frankreich, China, Skandinavien und den Saudis.

Er zeigte sich vor allem von Frankreich „beeindruckt: „Die machen einfach und ziehen die Wirtschaft mit. Ob Energiewende oder Lieferkettenprobleme: Das Wirtschaftsministerium agiert selbst als Dealmaker – bei uns undenkbar. Wir sind da sehr vorsichtig und machen Industriepolitik eher langsam.“

Auch die staatlichen Mittel flössen in Deutschland unzuverlässiger. Als Beispiel nannte Laguna die Wirtschaftsdaten-Plattform Gaia-X: „Da hat die neue Regierung nun die zweite Förderungsrunde gestoppt.“

Lesen Sie hier das vollständige Interview: 

Herr Laguna, wie läuft Ihre Suche nach Mega-Innovationen für Deutschland?
Die Sprind-Maschine läuft. Herausragende Beispiele sind Großprojekte wie das Alzheimer-Medikament oder die Mega-Windräder, die schon in der Umsetzung sind. Bei den Challenges suchen fünf ausgewählte Teams nach skalierbaren Möglichkeiten, um CO2 der Atmosphäre zu entziehen und daraus langfristig werthaltige Produkte zu machen, weitere neun nach dem Antibiotikum gegen Viren. Auch die restliche Pipeline ist gut gefüllt: Insgesamt haben wir bislang knapp 1000 Einreichungen von Innovatorinnen bekommen, die wir uns alle angeschaut haben. Davon haben wir 50 Projekte ausgewählt, die Geld bekommen: Da geben wir Einreichern jeweils bis zu 215.000 Euro, damit sie ihre Erfindung weiterentwickeln können. Zusätzlich dazu finanzieren wir derzeit sechs Großprojekte mit jeweils bis zu 50 Millionen Euro in den nächsten Jahren, sowie die 14 Siegerteams der Challenges mit 600.000 bis 700.000 pro Team und Jahr.

Anders als Sie steht die deutsche Wirtschaft bei Innovationen auf der Bremse, seit Corona sind die Ausgaben – anders als in den meisten Industrieländern – gewaltig eingebrochen ...
In Krisen kann man entweder defensiv agieren oder versuchen, sich aus dem Tal herauszuinnovieren, das ist eine Frage der Mentalität – aber auch der Politik. Ich war zuletzt wegen eines 5G-Projektes viel in Kontakt mit Frankreich und bin beeindruckt, wie pragmatisch die Politik dort agiert. Die machen einfach und ziehen die Wirtschaft mit. Ob Energiewende oder Lieferkettenprobleme: Das Wirtschaftsministerium in Paris agiert selbst als Dealmaker – bei uns undenkbar. Wir sind da sehr vorsichtig und machen Industriepolitik eher langsam, und staatliche Mittel fließen unzuverlässiger. So wie z. B. bei der Wirtschaftsdaten-Plattform Gaia-X, wo die neue Regierung nun die zweite Förderungsrunde gestoppt hat.

Vita

Der Gründer

Der gebürtige Leipziger (58) gründete mit 16 sein erstes Start-up „Elephantsoftware“. Es folgten zahlreiche weitere Technologieunternehmen, darunter Dicomputer, micado und die Open-Xchange AG, einen heutigen Marktführer im Software-as-a-Service-Umfeld. Die Open-Xchange AG – und SUSE Linux – verschafften dem Unternehmer den Ruf als Open-Source-Pionier und Kämpfer für das offene Internet.

Der Sprind-Direktor

Im Mai 2020 gab er den Posten als CEO der Open-Xchange AG ab, um sich als Gründungsdirektor in Vollzeit der neuen Bundesagentur für Sprunginnovationen Sprind zu widmen. Neben seiner fachlichen Expertise bringe er aber auch sein Wesen als „Menschenfreund und Humanist“ mit „tief verankerten europäischen Werten“ in die Agentur ein. Schon unter der früheren Regierung kritisierte er das zu enge Korsett der Sprind – die Ampel will ihm nun per „Freiheitsgesetz“ mehr Spielraum und mehr Geld verschaffen.

Welche Länder machen denn aus Ihrer Sicht die beste Innovationspolitik?
Na ja, die Chinesen, und das hat nichts mit dem System zu tun. Peking entwickelt eine Strategie und legt konkret fest, was sie in fünf oder zehn Jahren erreichen wollen. Das vermisse ich sehr bei uns. Ich dachte früher, es gibt da im Kanzleramt im Keller so einen Control-Room wie bei James Bond, wo solche Strategien ausgebrütet werden – aber dort stehen nur Sprudelkisten, scherzte ein Mitarbeiter. Aber auch Südkorea, Taiwan und Singapur sind deutlich besser durchdacht als wir. 

Und die USA?
Die waren sehr gut, haben in den frühen 60ern Nasa und die Darpa aufgebaut und so unter anderem das Silicon Valley geschaffen. Doch selbst die Darpa, die jährlich fast vier Milliarden Dollar in Innovationen pumpt, ist mittlerweile etwas erstarrt. Wirklich Bahnbrechendes gab es dort nun auch seltener. Übrigens: Auch in der deutschen Glanzzeit vor 120 Jahren, als die großen Durchbrüche in Chemie, Pharma und Automobil gelangen, ist viel mehr Staatsknete geflossen, als man heute denkt. Ohne funktionieren Sprunginnovationen selten.

Der Stifterverband mahnt mit Blick auf China, dass wir bei Forschungskooperation viel besser aufpassen müssen, dass kein entscheidendes Wissen abfließt ...
Die jüngste Debatte um Kooperation von Hochschulen, die auch dem chinesischen Militär nutzen, finde ich etwas konstruiert. Wir haben ein offenes Wissenschaftssystem, da kann man nicht kontrollieren, wer am Ende was mit dem Wissen tut. Wissen kann man auch nur sehr kurze Zeit einsperren. Die Amerikaner waren mit dem Manhattan-Projekt bei der Entwicklung der Atombombe sehr weit vorn – aber schon nach wenigen Jahren hatte die Sowjetunion sie auch. 

Regulieren kann man das nur schwer, man sollte für mehr Vorsicht appellieren – übrigens auch mit Russland. Dafür müssten Wirtschafts- und Forschungsministerium aber konkrete Kriterien entwickeln.
Wie finden Sie die Innovationspolitik der Ampel bisher?
(schmunzelt): Für Sprind sehr gut. Ich hoffe, dass das versprochene Sprind-Freiheitsgesetz, das uns mehr Spielraum und Geld bringt, vielleicht noch vor dem Sommer ins Parlament geht. Dann könnten wir 2023 richtig loslegen. Und auch mit dem derzeitigen Budget von knapp 100 Millionen für 2022 bin ich zufrieden.

Was halten Sie von der neuen Transferagentur Dati, die Wissen aus Hochschulen generell schneller in die Unternehmen lenken soll?
Gutes Konzept – aber vielleicht zu zaghaft. Die Beschränkung auf kleine und mittlere Hochschulen finde ich beispielsweise nicht gut, denn auch viele unserer großen Unis sind noch nicht so gut beim Transfer. Und warum soll sich nicht auch jemand, der nicht an einer Uni oder Fachhochschule ist, aber eine super Idee hat, an die Dati wenden können? Auch die geplante Dienstleistung der Dati ist zu schmal konzipiert. Wir haben ein Konzept für einen ,D Combinator‘ entwickelt, um das Erproben von Unternehmertum zu erleichtern, das könnte man als eine Art Super-Dati beschreiben. Teil davon: Wir geben Leuten mit guten Ideen sechs Monate lang Geld, damit sie in Uni oder Job pausieren und das Konzept ausformulieren können, betreut von erfahrenen Coaches. Das könnte man in ganz Deutschland ausrollen, in Kooperation mit den lokalen Initiativen, wo es das teilweise schon gibt. 

Wieso brauchen wir dann zwei Agenturen, Sprind und Dati?
Sprind sucht nach den 0,1 Prozent, die die ganz große Erfindung macht. Dati geht in die Fläche und soll regional verankert sein, um Ausgründungen und Transfer aus den angewandten Wissenschaften zu verbessern. Selbstverständlich wird Sürind profitieren, wenn die Dati das groß aufziehen würde und wir quasi die Super-Potentials übernehmen können. 

Die Dati ist schlecht gestartet: Finanzminister und Haushaltsausschuss haben den Großteil der Gelder erst mal gesperrt ...
Da hat die inhaltliche Kritik im Vorfeld etwa von der Expertenkommission für Forschung und Innovation sicher eine Rolle gespielt. 

Kurz darauf ist der parlamentarische Forschungsstaatssekretär Thomas Sattelberger, der die Dati konzipiert hat, zurückgetreten ...
Für den Rückzug von Thomas Sattelberger, der ja auch sein Bundestagsmandat aufgibt, waren private Gründe ausschlaggebend. Ich kann mir aber vorstellen, dass die letzte Sitzung im Haushaltsausschuss da auch eingewirkt hat.

Die neue Start-up-Strategie des Bundeswirtschaftsministers hat Ihnen ein „Wow“ entlockt – gibt es nichts zu meckern?
Letztlich müssen wir alle Finanzierungslücken in den verschiedenen Phasen der Umsetzung von Innovation schließen. Wenn das geschafft ist, kann sich der Staat auch wieder zurückziehen. Wie bei einer Kette darf aber kein Glied fehlen. Am Horizont lockt dann auch der Traum von einer europäischen Hightech-Börse. Wichtig ist aber jetzt, dass alle Teile der sehr komplexen Start-up Strategie in der richtigen Reihenfolge umgesetzt und richtig finanziert werden. Da braucht es einen guten Plan, damit man sich nicht verzettelt. 

Was fehlt an der Strategie von Wirtschaftsminister Habeck?
Der ganz große Wurf wäre ein deutscher Staatsfonds – wie in Norwegen, Singapur und Saudi-Arabien –, der privatwirtschaftlich langfristig investiert und zusätzlich privates Geld anzieht. Der könnte in Europa Großes anstoßen und beispielsweise in Windkraft, Wasserstoff, Laserfusion und was auch immer mit einem Horizont von 20 bis 30 Jahren pro Investment investieren, gerne mal mehrere Hundert Millionen pro Projekt. Da fällt zwar mancher Haushälter vom Stuhl, aber die Erfahrung zeigt, dass diese Staatsfonds immer profitabel sind. Eben weil sie den langen Atem haben, den es im privaten Kapitalmarkt selten gibt. 

Der deutsche Zukunftsfonds ist mit zehn Milliarden Euro dotiert ...
Das ist ein Anfang. Bis in 20, 30 Jahren wäre ein Zehn-Billionen-Fonds im internationalen Vergleich angemessen. In Norwegen und Singapur ist es heute schon eine Billion. Damit kann man auch auf Herausforderungen wie Energiewende und die Kriegsfolgen reagieren. 

Auch Habeck will Ausgründungen aus Unis erleichtern ...
Ja, in der Start-up-Strategie ist unser Transfervorschlag aufgegriffen, wenn auch etwas zaghaft. Wir schlagen dort ein standardisiertes schnelles Verfahren für die Übertragung von IP auf Ausgründungen vor, das die TU Darmstadt schon praktiziert. Das sollte man an 15 bis 20 Unis mal drei Jahre ausprobieren – und bei gutem Ergebnis bundesweit standardisieren. Das können wir hoffentlich bald machen und messen, wie es wirkt.

Arbeitet eigentlich die Ampel selbst innovativer als die GroKo?
Innovativ ist ein großes Wort. Aber man spürt, dass da an der Spitze neue Besen kehren, wir sehen das erster Hand im Wirtschafts- und im Forschungsministerium. Und das motiviert dann auch den etablierten Apparat enorm, wenn er merkt, dass die Führung agiler arbeitet und auch zuhört.

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