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10.10.2019

15:45

Rechtsextremismus

Schwere Vorwürfe gegen die AfD nach Angriff auf Synagoge

Von: Dietmar Neuerer

Nach dem Anschlag kritisieren Vertreter jüdischer Verbände und Politiker die AfD scharf. Sie sehen eine Verbindung der Partei zur Tat des schwerbewaffneten Rechtsextremisten in Halle.

Trauerbekundungen am Tatort des rechten Terroranschlags. AFP

Synagoge in Halle

Trauerbekundungen am Tatort des rechten Terroranschlags.

Berlin Die AfD sieht sich nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle an der Saale schweren Vorwürfen ausgesetzt. „Das eine sind diese schrecklichen Gewalttäter, vor denen wir uns schützen müssen. Das andere sind auch die geistigen Brandstifter, da sind in letzter Zeit auch einige Vertreter der AfD in unverschämter Weise aufgefallen“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) dem Sender Bayern 2 des Bayerischen Rundfunks.

Ein schwerbewaffneter Rechtsextremist hatte am Mittwoch versucht, in die Synagoge einzudringen und dort unter Dutzenden Gläubigen ein Blutbad anzurichten. Der Versuch scheiterte, woraufhin er vor der Synagoge eine 40 Jahre alte Frau aus Halle und in einem Imbiss einen jungen Mann aus Merseburg erschoss. „Was wir gestern erlebt haben, war Terror“, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank am Donnerstag in Karlsruhe.

Auch SPD-Politiker geben der AfD eine Mitschuld an der Tat. „Der Angreifer ist ein radikaler Rechtsterrorist, der sich auch wegen der Verharmlosung und Leugnung der Naziterrorherrschaft durch AfD-Vertreter ermutigt fühlen konnte“, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Damit zeige sich einmal mehr, „dass das Schüren von Hass und Chauvinismus fatale Auswirkungen nach sich zieht“. Eine Verharmlosung von rechtsradikalem Gedankengut dürfe nicht länger hingenommen werden.

Die AfD wies die Vorwürfe zurück: „Wer dieses entsetzliche Verbrechen missbraucht, um die politische Konkurrenz mit haltlosen Diffamierungen zu verleumden, der spaltet die Gesellschaft und schwächt das demokratische Fundament, auf dem wir stehen“, sagte Fraktionschefin Alice Weidel. Ihr Mitfraktionsvorsitzender Alexander Gauland ergänzte: „Versuche, den Terroranschlag und das von ihm verursachte Leid tagespolitisch zu instrumentalisieren, sind infam und werden dem Ernst der Lage nicht gerecht.“

Die AfD-Spitzenpolitiker sprachen von einem „antisemitischen Terroranschlag“, bezeichneten den Täter von Halle aber nicht als Rechtsextremisten. Gauland betonte vielmehr, antisemitischer Terror und extremistische Gewalt müssten „konsequent bekämpft und hart bestraft werden, egal aus welcher Richtung und Gesinnung sie kommen“.

CSU-Minister Herrmann richtete seine Vorwürfe insbesondere an die Adresse des Thüringer AfD-Spitzenpolitikers Björn Höcke: Er sei „einer der geistigen Brandstifter, wenn es darum geht, wieder mehr Antisemitismus in unserem Land zu verbreiten. Darüber müssen wir jetzt die politische Auseinandersetzung konsequent führen.“

„Anschlag auf uns alle“

Höcke gilt als Gründer und wichtiger Wortführer des rechtsnationalen „Flügels“. Die Gruppierung wurde vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ im Bereich des Rechtsextremismus eingestuft.
Im Jahr 2017 hatte Höcke mit der Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ eine heftige Debatte ausgelöst. Zuvor hatte Höcke in einer Rede mit Blick auf das Holocaust-Mahnmal in Berlin gesagt: „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“

Auch AfD-Bundesparteichef Gauland sorgte mit einer Äußerung zur Nazi-Zeit für Empörung, als er geäußert hatte: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“ Gauland hatte seine Äußerung allerdings später als „missdeutbar und damit politisch unklug“ bezeichnet.

Für die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, liegt indes auf der Hand, dass aus den Worten von politischen Extremisten Taten werden können, wie der Anschlag mit zwei Todesopfern an der Hallenser Synagoge.

Der AfD warf sie in diesem Zusammenhang vor, solchen Exzessen „mit ihrer Unkultur von Hass und Aufhetzung den Boden bereitet“ zu haben. „Der demokratische Staat und die freiheitliche Gesellschaft stehen gemeinsam in der Pflicht, einzuschreiten und die weitere Ausbreitung von Extremismus jetzt zu stoppen, um noch Schlimmeres zu verhindern.“

SPD-Bundesvize Ralf Stegner sprach mit Blick auf Halle von einem „Anschlag auf uns alle“. „Insofern bleibt es die Aufgabe auf allen Ebenen von Staat und Gesellschaft gegen Gewalt und Hass, gegen Rassismus und Antisemitismus, gegen rechte Netzwerke mit aller Konsequenz unseres Rechtsstaates aber auch mit einer neuen politischen Kraftanstrengung für gesellschaftlichen Zusammenhalt gegen diese Bedrohung vorzugehen“, sagte Stegner dem Handelsblatt.

Querverbindungen zwischen AfD und „Identitärer Bewegung“

Dazu gehöre auch, endlich die „Verharmlosung rechtsradikaler Parteien wie die AfD“ zu beenden. Einzelne Vertreter der Partei wie Höcke seien „Demokratiefeinde und müssen auch so behandelt werden“. Höcke steht auch deshalb besonders im Fokus, weil er mit Götz Kubitschek befreundet ist.

Kubitschek ist zwar nicht AfD-Mitglied, gilt aber als eine Art Vordenker des „Flügels“. Das von ihm mitgegründete Institut für Staatspolitik (IfS) sei der „ideologische Thinktank“ für Höcke, sagte der Jenaer Soziologe und Rechtsextremismus-Experte Matthias Quent.

An einer Veranstaltung des Instituts im September nahm AfD-Fraktionsvize Weidel als Rednerin teil. Auch Vertreter der „Identitären Bewegung“ (IB), die der Verfassungsschutz als rechtsextremistisches Beobachtungsobjekt eingestuft hat. Die Gruppierung lehnt Zuwanderung ab und warnt vor einem „Bevölkerungsaustausch“ in Europa. Sie hat nach Einschätzung der Behörden in Deutschland etwa 600 Mitglieder. In Halle betreibt die IB ein Haus, das als Zentrum der Gruppierung in Deutschland gilt.

AfD-Chef Jörg Meuthen räumte jüngst Querverbindungen zwischen der AfD und der Gruppierung ein. „Es gibt vereinzelt Leute bei uns, die Kontakte in diese Kreise hinein unterhalten haben“, sagte er. Allerdings gelte seit 2016 ein Unvereinbarkeitsbeschluss. „Unvereinbarkeit heißt: Wir haben mit denen nichts gemein, und wir halten maximale Distanz. Wenn Einzelpersonen das nicht befolgen, müssen wir genauer hinschauen.“

Der Rechtsextremismus-Forschers Quent stellt generell fest, dass nicht nur die radikale Rechte eine neue Stärke erlangt habe. Auch werde der Antisemitismus „durch Kräfte in der AfD salonfähig gemacht“, sagte Quent dem Online-Portal „Watson“. „Björn Höcke etwa schreibt von „neoliberalistischen Multikulti-Kräften“, die „Freunde des Volkstods“ seien und gegen die man sich mit „deutscher Unbedingtheit“ wehren müsse.“ Das sei strukturell antisemitisch und schaffe ein „Klima des Hasses“.

Mehr: Der Anschlag in Halle ist kein isolierter Einzelfall: Der Rechtsextremismus internationalisiert sich. Er ist inzwischen genauso mörderisch wie der radikale Islamismus.

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